Angelika B. Klein

Schuld, die dich schuldig macht


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ruft eine schmerzhafte Erinnerung aus der Vergangenheit in mir wach.

      Ich spüre Louis Hand auf meiner Schulter. „Können wir ihm noch helfen?“, will er aufrichtig wissen. Ich stehe auf und schaue Louis in die Augen.

      „Ja, wir können ihm helfen sein Leiden zu beenden“, antworte ich leise. Meine Hand greift zu meinem Jagdmesser und zieht es aus der Halterung.

      Louis Augen weiten sich. „Du willst doch nicht etwa…?“ Sein Satz bleibt unausgesprochen. Schnell beuge ich mich über den Kopf des Tieres, lege mein Messer an seinem Hals an und ziehe es mit einem geübten festen Zug über seine Kehle.

      „Shit!“, höre ich hinter mir einen Ausruf. Der Kopf des Tieres sinkt zu Boden und die letzten Züge seines Lebens fließen aus der klaffenden Wunde.

      Bevor ich mein Messer wieder einstecke, übergieße ich es mit etwas Wasser aus meinem Trinkbeutel und säubere es mit dem zur Genüge vorhandenen Gras. Ich drehe mich zu Louis um und bemerke, dass er blass und mit schmerzhaft verzogenem Gesicht hinter mir steht und mich beobachtet.

      „Geht es dir gut?“, frage ich besorgt.

      Befremdlich schaut er mich an und nickt: „Ja, danke. Da kommen ja ganz neue Seiten an dir zum Vorschein!“

      Grinsend antworte ich: „Du hast keine Ahnung, was noch alles in mir schlummert!“

      Auf dem weiteren Weg zu unserem Ziel, erzähle ich Louis, wie und wo ich das Töten von Tieren gelernt habe und warum das hier in der Einöde Afrikas überlebenswichtig sein kann.

      Interessiert fragt er: „Warst du auch einmal in Gefahr, von einem Tier verletzt zu werden?“

      „Ja, war ich. Das war ziemlich am Anfang, als ich hier angekommen bin. Ich war auf dem gleichen Weg, wie wir jetzt und war noch sehr unvorsichtig und unbedarft. Plötzlich stand ein Büffel vor mir. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Der Büffel senkte den Kopf und schnaubte wütend. Er scharrte mit dem Vorderhuf und ich dachte: Das war es jetzt. Welch spektakulärer Abgang nach einer Woche Aufenthalt in Afrika. Plötzlich hörte ich ein Zischen neben meinem Ohr und ein Pfeil traf den Büffel in seiner Schulter. Ein zweites Zischen folgte und traf den Oberkörper des Tieres. Mit wütendem Gebrüll drehte er um und trabte weg.“

      „Und wer war dein Retter in der Not?“, fragt Louis neugierig.

      „Das war Nangila, Tidjanis Vater! Der Junge, dem ich vorhin sein Bein verbunden habe.“

      „Dann sollte ich mich vielleicht bei ihm bedanken, dass er dich gerettet hat, sonst hätte ich dich nie kennen gelernt“, bemerkt Louis mit einem Lächeln. Dabei zieht er mich zu sich heran und legt den Arm um meine Schultern.

      Kurze Zeit später erreichen wir den Fuß des Hügels. Louis Blick wandert von der Spitze des kleinen Berges zu mir. „Wenn es da oben nicht so schön wäre, würde ich nicht noch einmal hinauf marschieren.“

      „Ich weiß“, antworte ich grinsend und gehe schnellen Schrittes voraus den Berg hinauf.

      Nach einigen Minuten haben wir unser Ziel erreicht. Die Aussicht über die Landschaft lässt einen augenblicklich die Anstrengungen des steilen Aufstiegs vergessen. Wir setzen uns nebeneinander und erfrischen uns an den Resten des Wassers aus meinem Lederbeutel.

      Schweigend genießen wir die Ruhe und die Aussicht. Nach einigen Minuten spricht Louis mich vorsichtig an. „Mia, was ich dich den ganzen Tag schon fragen wollte…“ Ich weiß augenblicklich was er meint. Seit gestern Abend kann ich auch an nichts anderes mehr denken.

      „…hast du dir noch einmal überlegt, ob du mit nach London kommen willst?“ Unsicher schaut er mich an. Ich blicke ihm tief in die Augen und lasse ein paar Sekunden schweigend verstreichen.

      Dann antworte ich wahrheitsgemäß: „In meiner Vergangenheit ist etwas vorgefallen… es hat einen Grund, dass ich nach Afrika gegangen bin. Ich habe Drohungen bekommen und glaube, dass ich von dieser Person immer noch gesucht werde.“

      „Warum bist du nicht zur Polizei gegangen?“, unterbricht mich Louis.

      „Das kann ich nicht… mir würde keiner glauben.“

      Verständnislos schaut mich Louis an. „Willst du mir davon erzählen?“

      Ich überlege ernsthaft, schüttle dann jedoch den Kopf. „Im Moment lieber nicht! Jedenfalls habe ich deshalb Angst nach London zu gehen.“

      Louis umschließt meine Hände und redet ermutigend auf mich ein: „Mia, wenn du bei mir bist, kann dir keiner etwas tun. Wir haben meistens Security-Leute um uns herum. Außerdem gibt es in London eine hervorragende Polizei. Ich lasse nicht zu, dass dir irgendjemand etwas antut.“ Wie gerne würde ich jedes Wort glauben, das er sagt.

      „Bitte, lass es uns versuchen. Wir haben uns gerade erst kennengelernt. Ich will dich nicht schon wieder verlieren“, fleht er mich an.

      Traurig schaue ich ihm in die Augen und bringe kein einziges Wort hervor. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und in meiner Brust breitet sich ein unerträglicher Druck aus. In diesem Moment erkenne ich an seinem Gesichtsausdruck, dass er weiß, wie meine Entscheidung lautet.

      „Du wirst nicht mitkommen, habe ich Recht?“, fragt er mit brüchiger Stimme.

      „Louis, es tut mir so leid! Ich kann einfach nicht!“, bricht es aus mir heraus.

      Enttäuscht dreht er sich zur Seite und schaut über die Weite der Steppe auf den Horizont. Tränen steigen mir in die Augen und der Schmerz in meiner Brust wird fast unerträglich.

      „Louis! Ich weiß, dass du das nicht verstehen kannst. Wir kennen uns ja erst seit ein paar Tagen und …“

      „Und du glaubst, ich kann mich nach ein paar Tagen noch nicht in dich verliebt haben? Willst du mir das sagen?“, wirft Louis mir vorwurfsvoll entgegen.

      „Nein! Ja, doch! Ich weiß, dass ich dich sehr vermissen werde, aber ich kann nach drei Tagen noch nicht sagen, ob es Liebe ist. Meine Angst vor einer Zukunft in einer Stadt, wie London, ist einfach größer!“, versuche ich ihm zu erklären.

      „Größer, als das Gefühl, das zu mir gegenüber empfindest?“

      Mein Schweigen beantwortet seine Frage. Er wendet sich wieder ab und schaut gedankenverloren in die Ferne.

      Behutsam berühre ich seinen Arm mit meiner Hand. Ich rücke näher an ihn heran und lege meinen Kopf auf seine Schulter. So sitzen wir einige Minuten schweigend nebeneinander und beobachten eine Herde Gnus am Fuße des Hügels.

      Plötzlich dreht sich Louis zu mir um und legt seine Hand an meine Wange. „Mia, du brichst mir das Herz, weißt du das?“

      „Es tut mir leid, aber ich habe nicht den Mut zu mehr.“

      Seine Hand streicht mir liebevoll eine meiner braunen Strähnen aus dem Gesicht und bleibt auf meinem Hals liegen. Langsam und behutsam zieht er mich zu sich heran und küsst mich zärtlich auf die Lippen. Seine Zunge sucht mit zartem Druck Einlass, den ich ihm gerne gewähre. Der Kuss wird leidenschaftlich und einfühlsam. Seine Berührungen lassen mich augenblicklich alle Sorgen vergessen. Langsam lehne ich mich zurück, wobei Louis sich leicht über mich beugt. Eine Gefühlsexplosion findet in meinem Körper statt. Im Bauch entsteht ein Kribbeln, das sich bis zu den Gliedmaßen ausweitet. Mein Herz schlägt schneller und mein Atem beschleunigt sich. Louis Hand gleitet langsam unter mein Shirt.

      Plötzlich löst er sich von mir und schaut mir abschätzend in die Augen. „Sag mir lieber jetzt, wenn du es nicht willst“, flüstert er atemlos. Schnell greife ich in seine struppeligen Haare und ziehe ihn wieder zu mir heran. Unsere Lippen treffen sehnsüchtig und fordernd aufeinander. Meine Hände wandern mittlerweile an seinem Rücken entlang, bis ich seine nackte Haut spüre. Wir liegen völlig in unserer Zweisamkeit versunken aufeinander, nur den Geruch und den Geschmack des Anderen wahrnehmend.

      Plötzlich ertönt ein lauter Schrei: „Kojo!“