Wieland Barthelmess

HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron


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Wohnung im königlichen Palast. Selbstverständlich hatte während der ganzen Zeit das gesamte Hauspersonal, einschließlich der Musiker, weiterhin zur Verfügung gestanden. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sich mit der Zeit so manche Eigentümlichkeit eingeschlichen hatte. Warum sollte man einer nicht anwesenden Person Tag für Tag frisch zubereitete Mahlzeiten auf den Tisch stellen? Warum Truhen von Räucherwerk verbrennen, wenn niemand da war außer den Bediensteten? Warum Musiker auftreten lassen, denen niemand lauschte? Glücklicherweise hatte Hat-schepsut ihre Amme Sit-Re an der Seite, der man in Bezug auf Organisation und Wirtschaftlichkeit eines Haushaltes nichts vormachen konnte. So wehte schnell ein frischer Wind durch den verstaubten Palast.

      Seit Ah-hotep seinerzeit den Titel der Gottesgemahlin des Amun für ihre Tochter Ah-mose Nefertari ersonnen hatte, war der Palast nahezu unverändert geblieben. Hat-schepsut fand ihn grässlich finster und altmodisch. Schon Ah-hotep hatte ständig über die kleinen, verwinkelten und allesamt irgendwie miteinander verbundenen, dunklen Kammern geklagt, so dass Hat-schepsut nun angeordnet hatte, ihn gründlich umzubauen. So ließ sie die Front zum Garten hin über die gesamte Breite des Palastes durch eine offene Säulenhalle ersetzen. Welch ein Geschrei erhob sich daraufhin! Es ginge nicht und sei völlig unmöglich, wurde immer wieder behauptet. Einmal war es ein Sakrileg, den alt-ehrwürdigen Palast derart zu verändern, dann waren es wieder statische Probleme, die vorgeschoben wurden. Schließlich fing Onkel Pen-Nechbet noch an, sich als General des Heeres um die Sicherheit Sorgen zu machen. „Ein geübter Bogenschütze …“, brummte er mit solch finsterer Miene, dass einem Angst und Bange werden konnte. Die Familie habe ja schon hinreichend Erfahrungen mit tödlichen Pfeilen gemacht, war doch auch Prinz Ahmose-Sa-pair, der Vater Pharaos, von solch einem Geschoss ums Leben gebracht worden. Sogar Pharao hatte sich schließlich besorgt gezeigt. Doch so schnell gab Hat-schepsut nicht auf. Sie konnte Pen-Nechbet davon überzeugen, dass die Bemühungen um Sicherheit eben bereits an den Außenmauren des Palast- und Tempelkomplexes greifen müssten, so dass man sich in seinem Inneren sicher fühlen konnte.

      Mit dem Oberpriester Hapu-seneb war sie noch schneller einig geworden. Er mochte sie, wie sie immer wieder feststellen durfte und ja, Hat-schepsut mochte ihn ebenso. Also behandelte sie ihn freundlich und zuvorkommend, ließ aber keinerlei Zweifel daran, dass nach ihrer Meinung die Erhabenheit aller vorangegangenen Gemahlinnen des Amun nicht im Geringsten in Frage gestellt sei, wenn die gewünschten Veränderungen vorgenommen würden. Sogar als sie darauf bestand, einige der Räume von den Malern aus Kefdet ausgestalten zu lassen, überwand Hapu-seneb seine ursprünglichen Einwände und ließ sie schließlich gewähren. Die vorgeschobenen statischen Probleme wurden durch einen ihrer Lehrer unter den Amun-Priestern entkräftet. Binnen einer einzigen Nacht schuf er einen viel bewunderten Entwurf für den Umbau, der dann schließlich auch umgesetzt wurde. Eigentlich war es ja Sen-en-Muts Aufgabe, Hat-schepsut in die Pflichten einer Gottesgemahlin des Amun sowie in die Geheimnisse der Verwaltung des Tempels einzuweihen. Die meiste Zeit des Tages saß sie also mit dem Lehrer beisammen und hörte sich an, welches ihre Aufgaben waren und was alles es zu berücksichtigen galt. Der Tempel des Amun war ein weitverzweigtes Wirtschaftsunternehmen, das Tausenden von Menschen Arbeit und Brot gab. Wie sie erstaunt feststellte, war die Verwaltung ähnlich groß wie jene des südlichen Kemet, die im königlichen Palast zu Waset untergebracht war. Selbst im Delta hatte der Tempel des Amun Liegenschaften, um unabhängig zu sein von unregelmäßigen Papyrus-Lieferungen. Aber auch die täglichen Riten galt es für Hat-schepsut zu vollziehen, die bei Abwesenheit der Gottesgemahlin jedoch ausnahmsweise auch von einem Priester des Vertrauens durchgeführt werden konnten. Jede der Riten, jede Opfergabe, jedes Gebet hatte seine Bedeutung und seinen Ursprung, die man freilich kennen musste, um den Sinn in seiner Gesamtheit zu verstehen. Manchen Abend brummte Hat-schepsut der Schädel und sie hätte sich am liebsten gleich in ihr Bett zurückgezogen. Doch dann ging es weiter mit der Umgestaltung ihres Palastes. Anfangs meinte ihre Mutter, die Große königliche Gemahlin Ahmes, ihn nach Gutdünken ausstatten zu können, doch auch hier bestand Hat-schepsut darauf, das letzte Wort zu haben. So waren ihre Ausflüge in die Palastwerkstätten und Schatzhäuser bald berüchtigt. Sie erschien dort jedoch nie mit leeren Händen. Entweder brachte sie Statuen von alt-ehrwürdigen Verblichenen aus dem Palast mit, die ohne Schwierigkeiten wieder verwendet werden konnten, indem man die Namen der Dargestellten schlicht ausmeißelte und durch neue ersetzte, oder sie ließ Berge von Kissen und Decken zurückbringen, da ihr deren Farben oder Muster nicht recht gefielen. Jahrhunderte alte Alabastergefäße wurden an die Werkstätten zurückgegeben und gegen neue aus Glas eingetauscht. „In deinem Zimmer lebe bescheiden“, hatte ihr Ah-hotep immer eingeschärft. „Nach außen hin aber zeige, wer du bist. Lass die Menschen keinen Zweifel daran haben, dass du göttlicher Abstammung bist. Lass sie staunen und raube ihnen mit Prunk und Pomp den Atem.“

      Ihre Mutter Ahmes war schon immer knauserig gewesen und ihr Vater der Pharao interessierte sich für derartiges sowieso nicht. Er dachte praktisch und all das Gebimmel und Gebammel, mit dem man sich ausstaffieren konnte, war ihm nur lästig. „Lass doch das Kind, wenn es ihr Freude macht“, entgegnete er seiner Großen königlichen Gemahlin als sie wieder einmal die Verschwendungssucht der Tochter zur Sprache brachte. Er hoffte dabei immer nur inständig, dass seine kleine Tochter den großen Rahmen, den sie für sich absteckte, auch würde mit Leben erfüllen können, ohne sich lächerlich zu machen. Doch Hat-schepsut tat genau das Richtige: Sie wählte die erlesensten Dinge, die sie umgeben sollten und zeigte sich dabei jedoch als bescheiden gekleidetes, humorvolles und den Menschen stets wohlwollend zugewandtes Mädchen. „Erobere die Herzen der Menschen“, hatte Ah-hotep ihr geraten. „Deine Untertanen müssen die loyalsten Verbündeten sein, die du hast. Lass das Volk dich lieben.“

      Tag und Nacht wurde am Umbau des Palastes gearbeitet, damit Hat-schepsut gleich nach Ah-hoteps Beisetzung zur Gottesgemahlin des Amun ernannt werden konnte und ihr neues Domizil auch bezugsfertig war. Als hätte sie es darauf angelegt, wurde Ah-hotep prompt während der Epanogemen bestattet, jener fünf Zusatztage des Kalenders, die als Geburtstage der Götter Osiris, Horus, Seth, Isis und Nephthys galten. Jeder Monat zählte drei Wochen zu je zehn Tagen und jede der drei Jahreszeiten umfasste vier Monate, so dass jene fünf heiligen Tage eingeführt werden mussten, um ein Jahr von 365 Tagen zu erhalten. Und prompt am ersten jener fünf heiligen Tage, dem Geburtstag des Osiris, wurde Ah-hotep in ihrem Felsengrab zur letzten Ruhe gebettet. Tags darauf, am Geburtstag des Horus, wurde Hat-schepsut in ihr Amt als Gottesgemahlin des Amun eingeführt. Pharao hatte sich entschlossen, bei dieser Gelegenheit auch Thot-mose als Thronfolger zu ernennen. Am liebsten hätte er den Sohn gleich zum Mitregenten erhoben, um ein für alle Male unumstößliche Tatsachen zu schaffen. Doch Pharao wollte ihm dann doch lieber noch ein paar zusätzliche, unbeschwerte Jahre gönnen, die Thot-mose für seine Ausbildung nutzen konnte, ohne bereits jetzt schon etliche Pflichten eines Pharaos erfüllen zu müssen.

      Angeregt durch Hat-schepsuts intensive Umbauarbeiten, entschloss sich Pharao, die baulichen Unzulänglichkeiten des Tempel- und Palastkomplexes in Waset ebenfalls zu beseitigen. Das gesamte Areal wurde von einer hohen Mauer umgeben und der Haupteingang zum Tempel neu gestaltet, indem Pharao einen vierten und fünften Pylon errichten ließ, zwischen denen sich sodann eine großzügige Halle mit Osiris-Statuen erstreckte, die mit edlem Zedernholz gedeckt war. Vor den somit neu entstandenen Eingang ließ er ein Paar Obelisken aufrichten, die aus dem rotem Granit gefertigt waren, der nur in Sunu gebrochen wurde. Es dauerte Jahre bis dies alles vollendet war und die Bauarbeiten verursachten derart viel Lärm und Schmutz, dass die königliche Familie, wann immer es ihr möglich war, nach Sedjefa-taui auswich, das eine knappe Tagesreise nördlich von Waset, gegenüber von Gebtu, am westlichen Nilufer lag. So sehr Hat-schepsut die Ruhe und Abgeschiedenheit Sedjefa-tauis auch genoss, so blieb sie doch meistens in ihrem Palast in Waset zurück. War es doch gern gesehen, wenn die Gottesgemahlin des Amun in der Nähe ihres Gatten, des Gottes, und seines Tempels blieb. Denn nur so, wenn die nötigen Riten von ihr entsprechend vollzogen wurden, war die eheliche Gemeinschaft mit dem Gott glaubhaft. Auch ein Gottesweib hatte bei seinem Gemahl zu sein. Da Hat-schepsut ihre Aufgabe überaus ernst nahm, ließ sie sich kaum einmal bei einer der Riten vertreten. Außerdem gab es noch genug für sie zu lernen, so dass sie jeder Tag Abwesenheit fast reute.

      Ihr erster Lehrer, der sie in die grundlegenden Dinge um den Amun-Kult einweihte, war der alte Juef. Er hatte schon Ah-hotep beigestanden und war dafür von ihr mit etlichen Ämtern belohnt worden. Ihre lebenslange