Wieland Barthelmess

HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron


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er schließlich überwachte. Es war seinerzeit während der bürgerkriegsähnlichen Unruhen unter Teti-an zerstört und ausgeplündert worden. Ah-hotep vergaß Juefs fürsorglichen Einsatz nie. Aber auch Hat-schepsuts Mutter Ahmes hielt große Stücke auf den besonnenen, alten Mann. Sie hatte ihm eigene Ländereien zugesprochen und ihn bis zum Ende seiner Tage mit einer täglichen Lebensmittelzuwendung belohnt. Hat-schepsut schätzte den gutmütigen Alten ebenfalls, war sich aber nicht sicher, ob seine Loyalität nicht doch vor allem ihrer Mutter galt. Sie vermutete, dass er sie über Hat-schepsuts Fortschritte sowie über die Vorgänge im Palast der Gottesgemahlin genauestens informierte. Sie ließ ihn gewähren, gab es ihrer Ansicht nach doch nichts, was Ahmes nicht hätte erfahren dürfen.

      Ein weiterer ihrer Lehrer war jener Sen-en-Mut, der seine Begabung als Baumeister überraschend offenbart hatte, als er den Umbau ihres Palastes entwarf. Er stammte aus dem eine halbe Tagesreise weiter südlich gelegenen Iunu-Monthu und kam aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater Ra-mose war Gärtner und hatte es im Lauf seines Lebens zu bescheidenem Wohlstand gebracht, indem er eigenes Land hatte erwerben können, auf dem er die Pflanzen züchtete, die er schließlich in die Gärten der Reichen pflanzte. Sen-en-Mut hatte drei Brüder und zwei Schwestern und sein Vater hatte größten Wert darauf gelegt, dass jedes seiner Kinder lesen und schreiben lernte. Und da Pharao Amun-hotep, seiner Großmutter Ah-hotep folgend, davon überzeugt war, dass der wahre Reichtum eines Landes in den Begabungen seiner Kinder lag, wurde der fähige Nachwuchs unter ihm besonders gefördert. Schon jung kam Sen-en-Mut also an den königlichen Hof nach Waset und besuchte die Palastschule. Dort wurde General Pen-Nechbet auf ihn aufmerksam, der ihn gern als Offizier gesehen hätte. Schnell hatte Sen-en-Mut in der Armee Karriere gemacht, entschied sich dann aber doch, sich den Amun-Priestern anzuschließen. Auch dort wurde man schnell auf seine überragenden Scharfsinn und beeindruckenden Fähigkeiten aufmerksam, so dass er schon bald zum Vermögensverwalter des Amun aufstieg. Somit trug er die Verantwortung für den gesamten Besitz des Amun-Tempels in Waset und sämtlicher angeschlossenen Tempel, mit allen Vorräten an Edelmetall und Edelsteinen, Ländereien, Viehherden, und sonstigen Wirtschaftsbetrieben. Der Oberpriester Hapu-seneb vertraute ihm blind und auch seine neue Schülerin, die zur Gottesgemahlin des Amun ernannte Tochter des Königs war von der Weisheit und Loyalität des Mannes zutiefst beeindruckt. Hat-schepsuts Nennonkel Pen-Nechbet unterstützte sie darin, indem er ihr bestätigte, welch große Stücke er auf Sen-en-Mut hielt. Eigentlich war Pen-Nechbet nur ein angeheirateter Onkel, da er Ah-mose Inhapi geheiratet hatte, die jüngste Schwester Ah-hoteps, die somit um etliche Jahre älter war als ihr Ehemann. Pharao Amun-hotep hatte Pen-Nechbet für seine Verdienste bei den nubischen Feldzügen riesige Ländereien im Grenzgebiet zu den eroberten Gebieten Nubiens übereignet. Dort lebte er einige Jahre zufrieden und sein Weib gebar ihm ein Kind nach dem anderen, obwohl sie schon längst die Vierzig überschritten hatte. Doch jeder, der sie kannte, schätzte Ah-mose Inhapi um mindestens zehn Jahre jünger ein. Als sie schließlich mit sechzig starb, setzte Pen-Nechbet einen Verwalter für die Güter ein und ging mit seinen sechs Kindern wieder nach Waset an den königlichen Hof zurück. Sehr schnell lernte er dort Ipu kennen, deren Aufgabe es war, die Haushalte des königlichen Harems zu betreuen. Und da er schon allein wegen der Kinderschar dringend eine Gemahlin an seiner Seite brauchte, vermählte er sich mit der tüchtigen, um Jahrzehnte jüngeren Frau. Eigentlich gehörte er seit Ah-mose Inhapis Tod ja nicht mehr zur königlichen Familie, doch da Pharao die Loyalität sowie die Fähigkeiten Pen-Nechbets überaus schätzte und jeder in der Familie ihn aufrichtig mochte, blieb er dennoch ein geschätztes Familienmitglied.

      Als hätte sie es geplant, war es also der Geburtstag des Osiris, an dem die Beisetzung Ah-hoteps stattfand. Dutzende von Booten und Barken mit den Mitgliedern der königlichen Familie, den Würdenträgern und Adeligen, den Generälen und Admiralen, den obersten Priestern, den ersten Sängerinnen und Tänzerinnen sowie deren Familien überquerten den Nil, um den riesigen vergoldeten Sarkophag auf seiner letzten Reise zu begleiten. Es folgten die Schreiber und Beamten, die Angestellten des Palastes und die Handwerker der königlichen Werkstätten. Wie ein Schwarm von Bienen scharten sie sich um die königliche Barke, die den goldenen Sarg trug, der in den ersten Strahlen der Sonne wie ein übergroßes Trugbild strahlte. Pharao hatte Hunderte von Rauchgefäßbetreuern in den Booten mitfahren sowie an den Ufern aufstellen lassen, so dass sich das Räucherwerk ebenso schwer über den Fluss legte wie der monotone Gesang der Priester und ihn zu einer geheiligten Zone werden ließ. Das Volk, das die Verstorbene aufrichtig verehrte, war zu Zehntausenden gekommen, um der Großen königlichen Gemahlin Ah-hotep das letzte Geleit in den Westen zu geben. Auf dem Nil wimmelte es nur so vor kleinen Papyrusbooten, die in gebührendem Abstand der königlichen Barke mit dem Sarg folgten. Am westlichen Ufer sorgte schließlich ein Spalier von Räuchergefäßen dafür, dass die Verstorbene auf dem Weg zu ihrer Grabstätte nur durch gereinigte Luft getragen wurde. Ergriffen waren die meisten Zuschauer am Ufer zurückgeblieben und sahen die Trauergemeinde in den betörenden Rauchschwaden verschwinden. Andere, die Ah-hotep persönlich gekannt hatten oder sie aber auch nur ganz besonders verehrten, folgten dem Zug bis er die Felsen erreicht hatte.

      Die Beisetzung selbst fand schließlich in den schroffen Berghängen nur im engsten Familienkreis statt. Während Pharao die letzten Riten zelebrierte und allergrößte Mühe hatte, nicht in Tränen auszubrechen, weinte seine Mutter Seni-seneb hemmungslos. Die Große königliche Gemahlin Ahmes verdrehte die Augen, offenbarte ihrer Meinung nach die Tochter des Palastgärtners mit diesem Verhalten doch nur ihre niedere, nicht königliche Abkunft. Hat-schepsut riss sich also zusammen und biss sich auf die Unterlippe, damit sie bloß nicht ebenfalls zu weinen begann. Ihr Halbbruder Thot-mose jedoch, der am nächsten Tag zum Thronfolger erklärt werden sollte, schluchzte erbarmungswürdig und versuchte krampfhaft, nicht vollends von der Trauer durchgeschüttelt zu werden. Der Affe auf seiner Schulter war völlig durcheinander und büchste bei der nächsten Gelegenheit aus, nur um sich zu Füßen von Ah-hoteps aufgerichtetem Sarg niederzusetzen und erbärmlich zu kreischen. Dabei klopfte er sich ständig an den Kopf, als wolle er den Anwesenden damit etwas mitteilen. Ahmes zischte ihren Stiefsohn an, dass er sich gefälligst um die Bestie kümmern solle, so dass der arme Thot-mose nicht recht wusste, wie er möglichst unauffällig wieder seines Schoßtiers habhaft werden sollte. Pharao griff entschlossen zu und setzte den zappelnden Wicht seinem Sohn zurück auf die Schulter, während Hat-schepsut die zitternde Hand des Thronfolgers in die Ihre nahm und fest drückte. Selten einmal hatte sie in dankbarere Augen geblickt und Thot-mose ließ die Hand seiner Schwester nicht mehr los, bis sie am Ende des Tages wieder im Palast zu Waset angelangt waren.

      Bis spät in die Nacht saß die Familie im großen Saal des königlichen Palastes beisammen und gedachte der Dahingeschiedenen. Sänger sangen Lieder über die große Frau und rühmten sie als Befreierin Kemets. Pharao rief allen ins Gedächtnis welche Ehrungen Ah-hotep bereits erfahren hatte und welche Verehrung noch in Zukunft zu erwarten war. Schließlich wurde Hat-schepsuts dumpfe Trauer von strahlendem Stolz abgelöst, dieser bedeutenden Frau so nahe gestanden zu haben. Entgegen der üblichen Einschätzung sah Hat-schepsut Ah-hoteps Bedeutung nicht einmal in erster Linie darin, dass sie an der Befreiung Kemets so entschieden mitgewirkt hatte. Sie war vor allem deshalb Hat-schepsut Heldin, weil sie der Welt gezeigt hatte, dass königliche Damen ebenso gerecht und gut und zum Vorteil des Landes herrschen konnten, wie königliche Prinzen auch. „Es mag noch ein wenig dauern“, pflegte Ah-hotep zu sagen, „aber eines Tages wird es einerlei sein, ob eine Frau oder ein Mann auf dem Thron sitzt.“ Seltsamerweise war es ihr Vater, der Pharao, der Hat-schepsut stets darin bestärkt hatte, dass es nichts gäbe, was Mädchen nicht auch tun könnten.

      Am nächsten Tag, der östliche Horizont war kaum grau geworden, brach Hat-schepsut in aller Frühe zum Amun-Tempel auf. Sie wusste, dass ihr stundenlange Riten bevorstanden, mit denen sie als Gottesgemahlin des Amun bestätigt werden sollte. Sie würde Amun höchstselbst im tiefsten Inneren seines Tempels begegnen, wie er sich in einer Statue aus purem Gold verdinglichte, das ja schließlich das Fleisch der Götter war. Die immer kleiner und düsterer werdenden Räume des Tempels ließen sie schaudern. Die Räucherwaren und die verschiedenen Trünke von denen sie kosten musste, hatten sie schnell ganz benommen gemacht. Schließlich stand Hat-schepsut nach unzähligen Gebeten und Riten im finsteren Allerheiligsten. Nur der Oberpriester sowie Pharao und nun auch sie hatten Zutritt und durften in das Antlitz des goldenen Gottes schauen. Er war überraschend klein, stellte Hat-schepsut enttäuscht