Wieland Barthelmess

HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron


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mit den Jahren tatsächlich so etwas wie ein Familienmitglied geworden; wenn auch ein etwas Entfernteres. Hat-schepsut hatte immer ein wenig den Eindruck, dass der um sechs Jahre ältere Nubier nie ganz aufrichtig war, sondern manchmal nur von sich gab, was man von ihm zu hören erwartete. Thot-mose hingegen suchte Turis Freundschaft geradezu. Er bewunderte den schon allein wegen seiner dunklen Hautfarbe und den Kraushaaren andersartigen Jungen, der jedoch gerade auf seine Andersartigkeit stolz zu sein schien. Ah-hotep hatte angeregt, ihn in der Weltanschauung von Kemet erziehen zu lassen, um ihn ‑ wenn er dann schließlich alt genug wäre ‑ als Statthalter Pharaos in seine Heimat zurückkehren zu lassen. In wenigen Tagen würden nun also Pharao und die ehemalige Geisel nach Kusch reisen, um Turi dort als Vizekönig einzusetzen. Hat-schepsut hatte Thot-mose noch nichts davon erzählt, aber sie wollte ihren Vater unbedingt noch überreden, sie auf diese Reise mitzunehmen. Was hatte ihr Ah-hotep nicht alles von Nubien erzählt? Und da eine kriegerische Auseinandersetzung keinesfalls zu erwarten war, dürfte es dem Vater schwer fallen, Gründe zu finden, die dagegen sprachen.

      Ein Dutzend Boote hatte Hat-schepsut gezählt, von denen zwei mit königlichen Truppen besetzt waren, die zum Schutz des Konvois mitgeschickt wurden. Die übrigen zehn Lastschiffe wurden mit Lebensmitteln und Luxusgegenständen vollgepackt vorausgeschickt, damit Pharao und seine Begleiter während der Reise sowie nach ihrer Ankunft in Nubien entsprechend versorgt werden konnten. Hat-schepsut war, als würde der halbe Palast verladen werden. Goldene Betten, köstliche Kleider, Dutzende von Dienern, herrliche Möbel, ja, sogar lebendes Vieh und Geflügel wurden von den Schiffen verschlungen, um rechtzeitig vor Pharaos Ankunft an den einzelnen Stationen der Reise sowie in Nubien wieder ausgespieen zu werden. Während Hat-schepsut von den angelieferten Reichtümern vollkommen fasziniert war, wurde Thot-moses auf einen Händler aufmerksam, der in schlichten tönernen Gefäßen eine Medizin anpries, die laut seiner Aussage dazu geeignet war, eine ganz Reihe von Gebrechen zu heilen. Schmerzende Zähne ebenso wie juckende Pusteln, quälende Ausschläge wie stumpfes, glanzloses Haar, hartnäckigen Husten wie Vergesslichkeit und sogar Blödheit. Seine Medizin vertrieb die Unfruchtbarkeit der Weiber genauso zuverlässig, wie eine mangelnde Standfestigkeit der Männer; jedenfalls behauptete der Quacksalber dies stolz. Jegliches Grollen und Grummeln der Kaldaunen gehörten ebenso der Vergangenheit an, wie jedwedes Unwohlsein. Die Göttin Sachmet selbst habe ihm die Rezeptur eingegeben, behauptete er frech, deren ergebener Priester er einst gewesen war. Nun aber habe er sich entschlossen, der Menschheit beizustehen und sein Wundermittel unters Volk zu bringen. Auf seiner Karre türmten sich die unterschiedlichsten Dinge, die man ihm zum Tausch für sein Elixier überlassen hatte.

      „Gib mir einen Flakon davon“, herrschte Thot-mose den Kurpfuscher an.

      Der sah ihn von oben bis unten an. „Was tust du mir dafür geben?“ Längst hatte er die schrundigen Stellen an den Armen und Beinen sowie im Gesicht seines Gegenübers entdeckt. „Es dürfte wohl besser sein, du tust gleich zwei oder drei Fläschchen nehmen. Morgen ziehe ich weiter und es wird wohl ein Weilchen dauern, bis ich wieder einmal hier in Waset bin.“

      Ratlos sah ihn Thot-mose an. „Ich habe aber nichts, was ich dir dafür geben könnte.“

      „Deine Tunika ist wie neu. Ich tu dir zwei Fläschchen dafür geben“ entgegnete der Scharlatan geschäftstüchtig. „Und für deinen Affen kriegst du glatt viere.“

      „Den gebe ich aber nicht her“, antwortete Thot-mose hastig. „Und meine Tunika auch nicht. Ich lauf doch nicht nackt herum.“

      „Du hast doch noch deinen Schurz. Aber bitte, wenn du nicht willst, dann wirst du deine Schrunden eben weiterhin nicht los.“

      Hat-schepsut zog ein Udjat-Auge aus blauer Keramik hervor, das sie vorsichtshalber gegen den bösen Blick um den Hals gehängt hatte.

      „Oha“, erwiderte der Quacksalber mit Kennerblick. „Ein Stück aus den königlichen Werkstätten. Ihr habt das doch wohl nicht geklaut?“

      Hätte er seine Wachen dabei gehabt, so hätte er sie augenblicklich gerufen, um den flegelhaften Kurpfuscher in seine Schranken zu verweisen. So aber blieb Thot-mose nur mit offenem Mund sprachlos stehen. Gerade als er Atem holen wollte, um sein Gegenüber zurechtzuweisen, mischte Hat-schepsut sich ein.

      „Aber nein, guter Mann. Wir haben nichts gestohlen. Unser Vater dient im Tempel des Amun.“

      „Aha“, grunzte der Händler, „bessere Kundschaft also.“ Und schon rief er aus voller Kehle in die Menge: „Schaut nur her! Sogar die Kinder von Priestern tun meine Medizin kaufen! Das will doch was heißen!“ Thot-mose wurde kreidebleich.

      Hat-schepsut drückte dem Schreier das Udjat-Auge in die Hand und nahm dafür einen Flakon von der Auslage. Dann griff sie Thot-moses Hand und zog ihren Bruder mitten ins Menschengewirr, in dem sie sich bald verloren.

      Etwas abseits vom Markttrubel setzten sie sich auf ein Mäuerchen, von wo aus sie dem Treiben zuschauen konnten. Thot-mose konnte es kaum abwarten, das Elixier auszuprobieren und benetzte seine Finger mit der soeben erstandenen Medizin und betupfte eine der wunden Stellen am Bein. Die Flüssigkeit brannte auf der Haut, doch er ließ sich nichts anmerken, wäre es doch nicht das erste Mal, dass Schlechtes mit Üblem vertrieben werden musste. Er spürte, dass er beobachtet wurde und sah sich forschend um.

      Die Blicke, die auf ihm lagen rührten von einem Mädchen her, kaum älter als er, das etwas abseits stand und beide nicht aus den Augen ließ. Obgleich sie schlicht gekleidet war, unterscheid sie sich deutlich von den anderen Kindern um sie herum. Zeigten ihre helle Haut und die gepflegten Hände doch eindeutig, dass sie nicht auf den Feldern arbeitete oder ihrem Vater in einer Werkstatt zur Hand gehen musste. Thot-mose saß mit offenem Mund da als sich ihre Blicke trafen. Das Mädchen war nichts weniger als vollkommen. Gerade gewachsen und schön wie eine der Göttinnen in den Tempeln. Sie bemerkte Thot-moses staunenden Blick und lächelte ihn geschmeichelt an.

      „Es wird wohl nichts weiter als Krokodilsdreck gewesen sein, was euch der Halunke angedreht hat.“ Sie deutete mit ihrem Kinn nach der Stelle auf Thot-moses Schienbein, die er soeben eingerieben hatte. „Gib nur Acht, dass es von dem Zeugs nicht noch schlimmer wird. Die Leute sind skrupellos, wenn es darum geht, sich einen Vorteil zu verschaffen. Morgen ist der Kerl über alle Berge und schon längst in Djerti oder Iunu-Monthu und verkauft dann dort sein Zeug. Und wenn er in einem Jahr wiederkommt, ist sein Betrug vergessen und der Zorn auf ihn verraucht. Dann wird er wieder etwas Neues feilbieten.“

      „Kennst du ihn etwa?“, fragte Thot-mose erstaunt.

      „Ach wo! Aber einer ist wie der andere von diesen Fahrensleuten.“ Das Mädchen zuckte mit den Schultern. „Man kann keinem von denen trauen.“ Sie setzte sich neben Thot-mose auf das Mäuerchen. „Ihr seid die Kinder eines Amun-Priesters?“

      „Ja“, zögerte Thot-mose. „Nicht eigentlich. Unser Vater ist allerdings Amun zu Diensten. Und meine Schwester hier neben mir auch.“

      „Sie wird eine Sängerin des Amun sein“, sagte das Mädchen lächelnd. „Sie hat eine schöne klare Stimme.“

      „Ja“, nickte Thot-mose, dankbar, dass sich eine Ausrede gefunden hatte. „Und du? Was treibst du hier im Hafen von Waset?“

      „Ach, ich guck mich nur ein wenig um, wenn ich schon mal hier bin.“

      „Dachte ich mir’s doch“, mischte sich nun Hat-schepsut ein. „Du kommst nicht aus Waset, nicht wahr?“

      „Nein, ich komme aus Sauti“, entgegnete das Mädchen stolz. „Ich bin mit meinem Vater hier, der den Konvoi nach Nubien begleiten wird.“

      „Du fährst nach Nubien?“, fragte Hat-schepsut ganz aufgebracht. „Da will ich auch mit.“

      Thot-mose sah seine Schwester erstaunt an. „Du willst nach Nubien? Davon hast du mir ja noch gar nichts erzählt!“

      “Ja, ich will nach Nubien. Gleich heute Abend werde ich mit Babu darüber reden.“ Als ob sie keinerlei Zweifel daran hätte, den Vater überzeugen zu können, richtete Hat-schepsut sich auf. „Es wird eine friedliche Reise werden, also wird er nichts dagegen haben.“

      „Eine friedliche Reise?“