Wieland Barthelmess

HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron


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bewirken mochte. Auch der Erbprinz Thot-mose war von seiner zukünftigen Gemahlin überaus angetan, wie jeder ohne weiteres sehen konnte. Er himmelte sie geradewegs an und wich während des ganzen Abends nicht mehr von ihrer Seite, als hätte er Angst, dass sie ihm abhanden kommen könnte.

      Als Höhepunkt des Abends hatte Hat-schepsut jene Elefantenstoßzähne zu einer elfenbeinernen Pyramide aufbauen lassen, die ihr Vater einst im fernen Naharina auf der Jagd erbeutet hatte. Sie waren seinerzeit ein Geschenk Pharaos an seine über alles geliebte Tochter. Sehr wohl wissend um den Eindruck, den sie damit hinterlassen würde, verkündete sie mit fester Stimme, dass sie diese wertvolle Beute keinem anderen als ihrem Gemahl Amun übereignen wolle. Anstelle jenes üblichen symbolischen Bündels an Habseligkeiten, mit dessen Überreichung ‑ so wie es seit Jahrhunderten der Brauch war ‑ die Braut ausdrückte, dass alles, was das Ihre war, nun auch ihrem Gemahl gehörte, übereignete sie den elfenbeinernen Schatz ihrem göttlichen Gemahl Amun. Keiner der Priester, in deren Eigentum die Stoßzähne somit übergingen, hatten nunmehr den geringsten Zweifel daran, dass ihr Gott die Richtige zu seiner Gemahlin erwählt hatte.

      Mit großem Eifer setzte Hat-schepsut ihre Studien fort, mit denen sie auf ihr späteres Leben als Große königliche Gemahlin vorbereitet werden sollte. Nicht weniger beflissen kam sie allerdings auch ihren religiösen Pflichten nach. Es dauerte nicht lang und sie hatte sich den aufrichtigen Respekt der Amun-Priester erworben. Hapu-seneb hatte sie in die heiligen Riten eingeweiht und Sen-en-Mut zeigte ihr, was sie über die Verwaltung der Tempelgüter wissen musste. Zahlen über Zahlen. Oft genug fürchtete Hat-schepsut, die komplizierten Verflechtungen nicht überschauen zu können. Doch Sen-en-Mut blieb so geduldig wie hartnäckig und erklärte ihr immer wieder, was sie wissen musste und zu bedenken hatte. Fürchtete sie anfangs noch, sich mit dummen Fragen bloßzustellen, so vertraute sie ihrem Lehrer inzwischen vollkommen, hatte er doch stets behauptet, dass es keine dummen Fragen gäbe, sondern allenfalls dumme Antworten. Überhaupt war ihr Sen-en-Mut inzwischen so vertraut, wie ein guter Freund, ja, wie ein Bruder. So kam Hat-schepsut auf den Gedanken, dass es auch ihrem zukünftigen Gemahl nur guttun könnte, wenn er ebenfalls an Sen-en-Muts Unterweisungen teilhatte. Wann immer es Thot-moses Zeit erlaubte, huschte er nun in Hat-schepsuts Palast hinüber, um ebenfalls den Ausführungen des Gelehrten zu lauschen. Es mochte dessen Einlassung gewesen sein, dass es keine dummen Fragen gab, die ihn zu Sen-en-Muts eifrigem Schüler werden ließ. Da er aber selten einmal eine Frage stellte, stand zu vermuten, dass es vor allem Hat-schepsuts Anwesenheit war, in deren Genuss er kommen wollte. Kaum, dass er einmal ein Auge von ihr ließ und für nahezu jede ihrer Äußerungen anerkennende Worte von ihrem Lehrer einforderte.

      „Meine Urgrossmutter Ah-hotep hat mir immer geraten“, kam Hat-schepsut eines Tages mit der Sprache heraus, „dass ich unbedingt darauf achten soll, das Volk auf meiner Seite zu haben.“

      „Damit hat die weise Ah-hotep sicherlich Recht gehabt“, bestätigte Sen-en-Mut. „Das Volk ist die wichtigste Stütze eines Herrschers. Der große Ah-mose hätte Kemet niemals zurückerobern können, wenn er nicht das Volk auf seiner Seite gehabt hätte.“

      „Wir sollten also zusehen, dass auch wir uns seiner Unterstützung sicher sein können, was meinst Du, Thot-mose?“ Hat-schepsut legte ihre Hand auf die des Prinzen.

      „Ja“, strahlte er. „Mir dürfte dies allerdings kaum jemals gelingen. Ich weiß, dass ich hässlich bin und übel rieche. Ich weiß, dass man mich wegen meiner gebogenen Nase den Geierschnabel nennt. Und ich weiß auch, dass ich niemals ein bewunderter Feldherr sein werde. Aber mit dir an meiner Seite wird es uns gelingen, die Liebe des Volkes zu erringen.“

      Aufmerksam lauschten beide den Ausführungen Sen-en-Muts, was das Volk letztendlich von seinen Herrschern erwartete. Denn sie waren neben den Priestern die einzige Verbindung der einfachen Menschen zu den Göttern. Der Herrscher war es, der für den Erhalt der Ma’at sorgen musste. Und er musste für sein Volk zu den Göttern sprechen und deren Beistand erbitten, würden ihre kleinen Stimmen von den Ewigen doch kaum erhört werden, außer vielleicht von den niederen Volksgöttern wie Bes und Tawret. Doch was war es, was die Menschen am dringlichsten von den Göttern erbaten? Sen-en-Mut meinte, ihre Wünsche auf ein paar wenige Bedürfnisse beschränken zu können: Einen vollen Bauch, ein Dach über dem Kopf, Gesundheit, eine Aufgabe und einen lieben Menschen an ihrer Seite.

      „Da schau an“, meinte Thot-mose, „so anders als wir sind sie also gar nicht.“

      Kaum war Hat-schepsut mit Thot-mose allein, versuchte sie, ihn anzustiften, gemeinsam mit ihr das Volk zu erforschen. Man könne ja bei Gelegenheit aus dem Palast entwischen und sich unerkannt unters Volk mischen. Ah-hotep hatte dies so manches Mal getan und viel daraus gelernt, wusste Hat-schepsut. Thot-mose staunte über das Ansinnen der Schwester.

      „Und wenn sie uns belästigen“, fragte er erschrocken. „Uns gar berühren? Sie werden uns beschmutzen und uns entweihen!“

      „Ach was“, entgegnete Hat-schepsut selbstsicher. „Wenn wir uns als Prinz und Prinzessin unter sie mischten, möchte dies wohl zutreffen. Aber kaum, wenn sie uns für Kinder Ihresgleichen halten. Dann sind wir welche von ihnen und sie werden uns nicht weiter beachten.“

      Wohl war Thot-mose nicht bei dem Gedanken, sich ohne jede Begleitung unters Volk zu mischen. Doch Hat-schepsut blieb hartnäckig. Sie wollte wissen, worüber die Menschen sprachen, was sie dachten und was sie sich ersehnten. Am nächsten Nachmittag als die Sonne schon tief im Westen stand, hatten sich die Königskinder verabredet. Thot-mose kam in einem kunstvoll gefältelten Schurz aus königlichem Leinen gekleidet über den er noch eine Tunika aus demselben Material geworfen hatte. Seine Füße steckten in den üblichen goldenen Sandalen und der Affe saß wie immer auf seiner Schulter. Hat-schepsut lachte, als sie ihren Bruder kommen sah.

      „Sie werden dich für den Sohn eines Würdenträgers halten“, kicherte sie, „und versuchen, dir ihren Kram anzudrehen.“

      Thot-mose guckte erstaunt. „Wie siehst du denn aus!“ Hat-schepsut trug eine schlichte Kalasiris aus einfachem Leinen, das noch nicht einmal gebleicht war, während ihre Füße in Papyrussandalen steckten. „Bis zum Abend hast du bestimmt Blasen an den Füßen“ sagte er voller Mitleid. „Und dieser scheußliche Fummel kratzt bestimmt zum Erbarmen.“

      „Gar nicht mal“, entgegnete Hat-schepsut offensichtlich angetan von ihrer Verkleidung. „Er ist sogar sehr angenehm. Und die Sandalen musst du nur einmal nass werden lassen, um sie anschließend an den Füßen zu trocknen. Schon sitzen sie wie angegossen.“

      Hat-schepsut hatte vorgesorgt und entsprechende Kleidung von einem ihrer Ausflüge in das Arbeiterdorf Set Ma’at mitgebracht, das am gegenüberliegenden Nilufer lag und in dem die Handwerker lebten, welche die Königsgräber in die Felsen trieben und ausmalten. Mit Leidensmiene ließ Thot-mose die nötigen Veränderungen über sich ergehen. Er klagte über die nassen Füße in den Papyrussandalen und die unappetitliche Farbe seines schlichten Lendenschurzes, der noch nicht einmal andeutungsweise gefältelt war, sondern schlapp wie ein Lappen an ihm herunterhing. Hat-schepsut gab ihm ebenfalls eine Tunika, damit wenigstens die schrundigen Stellen an seinem Leib bedeckt waren, die der Ausschlag hervorgerufen hatte. Den Affen allerdings wollte Thot-mose keineswegs zurücklassen. Ohne ihn würde er keinen Fuß in die Stadt setzen, denn das Tier würde vorlaute Hände, die es wagen könnten, ihn berühren zu wollen, mit seinen spitzen Zähnen zurechtweisen. Nein, berührt werden wollte Thot-mose auf keinen Fall!

      Schnell huschten die beiden durch verwinkelte Flure, die Hat-schepsut ausfindig gemacht hatte und standen plötzlich in einem Hof an jener Stelle, wo der Abfall des Palastes durch eine kleine Pforte in den Nil geworfen wurde. Der Wächter, ein drahtiger zahnloser Mann, tat so, als ob er eine gute Bekannte begrüßte.

      „Das ist Sobek-hotep“, sagte Hat-schepsut zu ihrem Bruder. „Wir kennen uns schon lange, nicht wahr, Sobek-hotep?“

      „Oargh“, grunzte der Alte und rollte mit den Augen. „So klein war sie“, er hielt seine flache Hand in Höhe der Knie, „da kam sie schon und tat mich besuchen.“ Stolz richtete er sich auf. „Alte, liebe Freundin.“ Er verneigte sich und öffnete die Pforte. Schnell griff Hat-schepsut Thot-moses Hand und zog ihn mit sich hindurch. „Und nicht vergessen“,