Wieland Barthelmess

HAT-SCHEPSUT: Das Geheimnis der Frau auf Ägyptens Thron


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sie auf dem schmalen Uferstreifen entlang balancierten und oft genug abrutschten, um anschließend im Schlamm zu stehen. Thot-mose zeterte wie eine wütende Amsel, während Hat-schepsut anfangs noch lachte, aber schnell ebenfalls zu schimpfen anfing. Mit vom Schlamm verklumpten Füßen kamen sie an der nordwestlichen Ecke des ummauerten Gebietes hervor, das den weitläufigen königlichen Palast mit seinem Garten, den kleinen Palast Hat-schepsuts und den Tempel des Amun umschloss. Es war ganz in der Nähe des Hafens, den Thot-mose freilich kannte, doch an diesem seltsamen Ort an der unteren Ecke des Palastgeländes war er noch nie gewesen.

      Es war ein Platz der über und über belegt war mit Menschen, die vor Tüchern kauerten, auf denen sie die absonderlichsten Dinge ausgebreitet hatten, um sie feilzubieten. Thot-mose staunte. Ausgefallene Zähne waren ebenso darunter wie schlichte, oft genug sogar beschädigte Tongefäße. Daneben lagen frisch gepflückte Blumen, seltsame Werkzeuge, selbst geschnitztes Spielzeug oder schlichte Amulette, deren ungeschickte Hersteller gleichwohl nicht davor zurückschreckten, die Höchsten der Götter auf eine krude, ja, fast schon lächerliche Art und Weise darzustellen.

      „Warst du schon mal hier“, fragte er seine Schwester.

      „Ja, ein oder zwei Mal.“

      Thot-mose staunte. „Was?! Etwa alleine?“

      „Nein.“ Hat-schepsut lächelte. „Mit unserer Sitti war ich hier. Sie ist oft in der Stadt umhergelaufen und hat sich angehört, was sich die Leute so erzählen. Und kurz bevor sie zu Osiris gegangen ist, hat sie mich ein, zwei Mal mitgenommen.“ Hat-schepsut bemerkte, wie ihr Bruder ganz fahrig wurde wegen all der ungewohnten Dinge. „Du brauchst gar nicht so ängstlich dreinzuschauen, niemand tut dir hier etwas. Es beachtet dich hier auch kaum einer, solange du nicht irgendwie auffällst.“

      „Und wie das hier stinkt!“ Thot-mose war sichtlich angewidert.

      „Sei doch froh, dass die Menschen an Gestank gewöhnt sind!“ Hat-schepsut lachte. „Wie ich doch sagte: Solange man hier nicht auffällt …“

      Thot-mose blieb stehen. „Das war aber nicht sehr nett von dir. Du musst mich nicht daran erinnern, dass meine Hautgeschwüre stinken. Ich werde es schon nicht vergessen.“

      Hat-schepsut durchfuhr es wie ein Blitz. „Ich wollte dich nicht verletzten, Thot-mose. Glaub es mir.“

      „Und warum sagst du dann so etwas?“

      „Du kennst mich doch. Ich kann solch eine Gelegenheit für einen Witz einfach nicht ungenutzt lassen.“

      „Das ist kein Witz, Hat-schepsut.“ Thot-mose war todernst. „Das ist meine Wirklichkeit. Sie entstellt mich, sie lässt mich stinken. Sie lässt mich anders sein als andere Menschen.“

      „Seit wann ist es etwas Schlimmes, anders zu sein.“ Hat-schepsut hakte sich bei ihrem Bruder unter. „Der Hof lechzt doch sonst auch nur so nach dem Andersartigen, dem Außerordentlichen, dem Ungewöhnlichen.“

      „Aber nur, wenn es um Aussehen, Begabungen oder Leistungen geht. Und auch nur dann, wenn es außerordentlich schön oder ungewöhnlich gut ist.“

      „Ach, so ist der Hof eben, das weißt du doch.“ Hat-schepsut stupste ihren Bruder an. „Schau dich nur um. Hier wirst du kaum jemanden sehen, der keine schrundige Haut hat, zerzauste Haare oder schmutzige Hände.“

      Und in der Tat: Thot-mose sah keinen Menschen, der wirklich vollkommen war. Fast jeder hatte Narben oder fleckige Haut, verformte Gliedmaßen oder sonstige Abträglichkeiten. Überall hetzten Träger herum, deren Rücken krummer waren als sein eigener. Münder mit faulen Zähnen lachten ihm ins Gesicht, Krüppel saßen im Dreck und bettelten um milde Gaben. Und die meisten der Menschen waren so gewöhnlich, dass Thot-mose ihre Gesichter schon im nächsten Augenblick wieder vergessen hatte. Nur ein paar junge Menschen aus besserem Hause erstrahlten in makelloser Schönheit, wegen der sie allerdings auch ständig angestarrt wurden. Natürlich hatten sie es darauf angelegt, spreizten sich und schnatterten wie eitle Gänse. Sie genossen die bewundernden Blicke, wie Thot-mose voller Neid feststellte. Wie gerne wäre auch er einmal begafft worden, so wie man seinen Vater oder Hat-schepsut anstarrte. Doch in den Blicken, die ihm zuteil wurden, sah er immer nur Abscheu, Erschrecken oder Ekel - allenfalls einmal Mitleid. Hier aber beachtete ihn tatsächlich niemand. Ja, selbst sein krummer Rücken fiel niemandem weiter auf. Thot-mose lächelte erleichtert, was den Affen sogleich eine Fratze ziehen ließ, von der der kleine Geselle wohl meinte, dass sie einem Lächeln gleichkäme. Plötzlich starrte Thot-mose auf die Mauer, hinter der er mit seiner Schwester hervorgekommen war.

      „Also, das geht zu weit“, sagte er erschüttert. „Immerhin ist das die Mauer des Palastes.“ Wie Spinnengelege klebten Händlerbuden dicht nebeneinander an der Mauer, die den heiligen Ort umgab. Dort wurden Schweine, Ziegen und Gänse geschlachtet, deren Blut den Boden rot färbte und deren Kadaver man anschließend gerupft und gehäutet in den Buden aufhängte, um sie feilzubieten.

      „Dies ist die Außenseite der Mauer“, erwiderte Hat-schepsut unbeeindruckt. „Eine Mauer hat immer eine Innen- und eine Außenseite.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Sonst bräuchte man keine Mauer. Drinnen ist der königliche Palast - und draußen eben ein Markt.“

      Thot-mose war fasziniert von der Gleichgültigkeit, mit der man hilflose Wesen vom Leben zum Tod beförderte. Freilich hatte er schon Hunderte von Enten mit dem Wurfholz erlegt. Irgendeiner seiner Diener brachte sie in die Palastküche, von wo aus sie dann gebraten oder gekocht auf seinem Tisch endeten. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, welch unappetitliche Arbeit ihre Zubereitung eigentlich war. Als ob sie ahnten, dass man ihnen den Garaus machen wollte, schrieen hier jedoch manche der Tiere um ihr Leben. Insbesondere die Schweine quiekten zum Erbarmen. Manch eines wehrte sich und versuchte, seinen Peinigern zu entkommen, was die Zuschauer, die sich schnell um das Geschehen zusammengerottet hatten, mit Gejohle und Gelächter verfolgten. Unschuldige Lämmer verbluteten, während sie mit durchschnittener Kehle hilflos mit den Beinen zappelten. Panisch nach Luft schnappenden Nilbarschen wurden mit hölzernen Hämmern so lange auf den Kopf geschlagen, bis sie nur noch zuckten. Niemand hatte auch nur den geringsten Abscheu vor dem Morden und Schlachten. Im Gegenteil: Man jauchzte und freute sich, zur Nacht einen frischen Braten erwarten zu können. Als ob er fürchtete, dass ihm Ähnliches widerfahren könnte, klammerte sich der Affe fest an Thot-moses Hals und fletschte in einem fort die Zähne. Hat-schepsut lachte und versuchte, ihn zu beruhigen, indem sie ihn am Hals kraulte.

      „Schönen Affen habt ihr“, sagte plötzlich eine Frauenstimme. „Tut ihr den verkaufen?“ Und schon griffen feiste Finger nach dem Tier, das aber keinen Zweifel daran ließ, dass es fest entschlossen war, seine spitzen Zähne einzusetzen.

      „Was?!“ Thot-moses Stimme überschlug sich und erschrocken trat er einen Schritt zurück.

      „Na, was tut ihr für das Viech haben wollen?“ Eine dicke Mittvierzigerin ließ ihrerseits keinen Zweifel daran, dass sie hartnäckig im Handeln war.

      „Gar nichts“, erwiderte Thot-mose empört. „Er steht nicht zum Verkauf.“

      „Was tust du dann mit dem Affen auf der Schulter herumlaufen, du blöder Kerl.“ Die Dicke war sichtlich verärgert. „Erst feilbieten und dann doch nicht hergeben wollen. Was ist das für ein Benehmen. Diese jungen Leute!“ Schon war sie im Menschengewirr verschwunden.

      Hat-schepsut lachte und auch Thot-mose konnte sich zumindest ein gequältes Grinsen abringen. „Hast du gehört, wie sie hier reden“, fragte er ungläubig.

      „Komm, Jungchen“, raunzte ihn ein unter seiner Last ächzender Träger an. „Tu nicht im Weg herumstehen. Es gibt Leute, die müssen arbeiten.“

      Hat-schepsut lachte und hakte sich bei ihrem Bruder unter und zog ihn weiter in Richtung des Hafens. Dort herrschte eine noch größere Betriebsamkeit, da man gerade dabei war, die Versorgungsschiffe für Pharaos nächste Expedition zu beladen. Sie würde ihn ein weiteres Mal nach Nubien führen, wo er den in Waset erzogenen Sohn des Königs von Kusch als seinen Stellvertreter einsetzen wollte. Turi war seinerzeit in der Tat nichts weiter gewesen als eine Geisel, mit der man sich lediglich des Wohlverhaltens der Eltern versichern wollte. Allerdings