Stephan Diederichs

Panikhort


Скачать книгу

sie heute Morgen angerufen hatte. Er hatte ihr mitgeteilt, dass sie Bastian von der Schule abholen sollte. Am Telefon hatte sie nur verstanden, dass Bastian einen Mitschüler angegriffen hatte. Als sie dann im Büro von Aaron Seppälä aufgetaucht war, fand sie einen in sich zusammengesunkenen Jungen auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch des Rektors vor, der ihrem Sohn einfach nicht ähneln konnte. Wo war der charismatische, selbstbewusste Junge geblieben, der er einst gewesen war? Sie hatte gleichsam Mitleid und Groll gegen Bastian gehegt, da sie besseres zu tun hatte, als ihn nach einer Rauferei in der Schule aufzulesen. Sie hatte sich beim Schulleiter für diese Unannehmlichkeit entschuldigt und Bastian bedeutet ihr zum Auto zu folgen. Er war schweigsam hinter ihr her getrottet.

      Nun saß er auf dem Beifahrersitz ihres neuen Mercedes und drückte sein schwerfällig anmutendes Gesicht an die kühle Fensterscheibe, ohne auf ihre Anmerkung einzugehen. Conny wusste nicht, ob er sie überhaupt gehört hatte. Vielleicht ignorierte er sie auch.

      Schnaubend trat sie aufs Gaspedal und wäre beinahe in den abrupt bremsenden, vor ihr fahrenden Wagen gekracht. Wütend hämmerte sie auf die Hupe. Schon lange hatte sie es aufgegeben, Bastian zu verstehen. Er hatte sich verändert. Zunächst hatte sie es der Pubertät zugeschrieben, doch irgendetwas an seinem Verhalten beunruhigte sie. Als Kind war er wissbegierig, fröhlich und genügsam gewesen. Ihr war, als hätte sie jetzt einen völlig anderen Menschen neben sich sitzen.

      Auch diesem Seppälä war aufgefallen, dass Bastian schneller aggressiv wurde, da er wohl nicht zum ersten Mal jemanden beleidigt hatte. Auch eine andere Lehrerin hatte berichtet, dass er sie vor wenigen Tagen angeschrien hatte. Für seine Attacke auf Tobi hatte er eine Verwarnung erhalten. Beim nächsten Mal setzte es einen Eintrag ins Klassenbuch. Im schlimmsten Fall würde er der Schule verwiesen werden, sollte dies öfter vorkommen. Die Worte des Schuldirektors klingelten in Connys Ohren wie eine nachhallende Triangel.

      Beinahe hätte sie schon wieder nicht rechtzeitig gebremst und die vor ihr fahrende Frau auf dem Fahrrad gerammt.

      „Meine Fresse, willst du uns umbringen?“, giftete Bastian und fummelte nervös am Gebläse der Klimaanlage auf seiner Seite herum.

      Conny schnaufte und trommelte ungehalten auf das Lenkrad ein. „Wenn das dein einziges Problem ist, dann warst du wohl vorhin nicht anwesend, oder? Ist dir eigentlich klar, was du heute getan hast? Du hast einen Mitschüler angegriff…“

      „Er ist ein Arschloch!“ Zornesfunkelnde Augen suchten die ihren, doch sie blickte stur auf die Straße hinaus, ohne sich wirklich auf den immer dichter werdenden Verkehr zu konzentrieren.

      „Das ist mir egal. Du kannst nicht einfach ausrasten – und das mitten im Unterricht! Was hättest du denn gemacht? Dich mit ihm geprügelt? Vor den Augen deiner Klassenlehrerin? Bastian, wenn du ein Problem hast, dann komm gefälligst zu mir und wir klären das!“ Hilflos fuhr sie sie durch ihr weiches Haar, wie sie es immer tat, wenn sie ungeduldig war. Sie wollte endlich wissen, was ihn so ausrasten ließ.

      Wie ein bockiges Kind drehte er sich wieder von ihr weg. Conny verzog die Lippen. So kam sie nicht weiter. Sie hielt an der nächsten Ampel an und Menschen mit fröhlich erhellten Mienen kreuzten den Gehweg, um in die eine Richtung zur Stadt und in die andere Richtung zum Park zu laufen und den Tag zu genießen. Wie gerne hätte Conny ihre beste Freundin Carolin angerufen, um sich mit ihr auf einen Kaffee zu treffen und ihren Frust zu vergessen.

      Seit Wochen spielte dasselbe alte Lied. Bastian flippte aus, Conny fragte ihn, was los sei und er blockte ab. Sie konnte es nicht mehr ertragen. Zu allem Überfluss stritt sie deshalb ständig mit Egon. Ihre Ehe rauschte auf eine gefährliche Klippe zu, wenn sich nicht bald etwas änderte.

      Conny fuhr mit quietschenden Reifen an, als die Ampel auf Grün schaltete. Die Allee war jetzt von hohen Linden an beiden Seiten und in der Mitte der Straße gesäumt, die kaum Sonnenlicht durchließen. Sie waren im Süden der Stadt angelangt. Hier war es ruhiger, als in der überlaufenen Innenstadt. Nur wenige Bars und Modeläden hatten sich in diesen Teil der Stadt verirrt. An der Ecke zur nächsten Seitengasse befand sich ihre Lieblingskneipe, in der sie früher oft mit Carolin gefeiert hatte.

      Wie lange das schon zurücklag. Conny spürte einen wehmütigen Stich in der Brust. In letzter Zeit drehte sich alles nur um Bastian.

      Und jetzt hatte sein seltsames Verhalten auch noch diesen neugierigen glatzköpfigen Seppälä aufgeschreckt. „Weißt du eigentlich, dass dein Schulleiter denkt, dass bei uns Zuhause etwas nicht stimmt? Was meinst du, passiert, wenn er glaubt, dass wir an allem Schuld sind? Dann hetzt er deinem Vater und mir das Jugendamt auf den Hals. Willst du das?“

      Ohne, dass sie es hätte vorhersehen können, rastete Bastian vollkommen aus. „Dir geht’s mal wieder nur darum, dass ich meine Fresse halte. Du hast nur Schiss davor, dass die Leute denken, dass du ne beschissene Mutter bist.“

      „Mäßige dich! Sowas will ich nicht noch einmal hören.“ Conny war, als würde sie einen Kieselstein herunterschlucken, der ihre Speiseröhre von innen heraus aufriss. Was hatte er gesagt? Meinte er wirklich, dass sie eine schlechte Mutter war?

      „Es ist doch wahr“, fuhr er unbehelligt fort und funkelte sie erbost an. „Dir geht es nicht darum zu erfahren, wie es mir geht. Du möchtest nur nicht, dass die Leute lästern und vor allem kannst du es nicht haben, dass dieser Asi Seppälä was schlechtes über dich denkt. Du denkst nur an dich, du selbstsüchtiges dummes Stück.“

      Conny sog die kühle Luft im Wageninneren schneidend ein. „Bastian, was erlaubst du dir? Schlagartig wurde ihr warm im Gesicht, als würde es in Flammen stehen. „Du weißt schon, wen du hier vor dir hast, oder? Mich beleidigen… Ich fasse es nicht.“ Sie kreuzte Bastians Blick, der die Stirn kräuselte und sie mit Unverständnis musterte. Würde er noch ein weiteres, kränkendes Wort verlieren, wäre es um ihre Selbstbeherrschung geschehen.

      Er setzte eine Unschuldsmiene auf, wie sie sie von ihm als Kind noch kannte, wenn er sie und Egon besänftigen wollte.

      „Was? Seit wann hab ich dich beleidigt. Das ist wieder typisch für dich. Ich mache nur die Fehler, aber du bist perfekt. Is klar! Weißt du was? Halt’s Maul.“ Mürrisch und mit wie ein Frosch vorgeschobener Unterlippe wandte er sich wieder dem Geschehen draußen zu und verschränkte die Arme. Die vorbeieilenden Menschen in der Fußgängerzone schienen interessanter zu werden, als dieses aufreibende Gespräch.

      „Bastian, jetzt reicht’s! Du hast Hausarrest. Ich habe auf deine Launen keine Lust mehr…“

      „War klar, dass du keine Lust auf mich hast!“, grummelte er, ohne sich umzudrehen.

      Jetzt verlor Conny endgültig die Geduld. „Unterbrich mich nicht andauernd, verdammt noch mal! Papa hat langsam auch keinen Nerv mehr darauf…“

      Noch ehe sie fortfahren konnte, fuhr Bastian dazwischen und richtete sich in seinem Sitz zu voller Größe auf. „War mir auch klar. Papa is auch nie da. Der kümmert sich eh nur um seinen scheiß Bürokram. Tut einfach nicht so, als würdet ihr mir helfen wollen. Ihr seid beide scheiße! Und du bist die schlechteste Mutter überhaupt.“

      Noch ehe sie richtig darüber nachdachte, flog Connys Hand über Bastians Wange. Ein klatschendes Geräusch unterbrach das gleichmäßige Summen des Motors. Conny atmete schwer, als hätte sie den Wagen geschoben und nicht selbst gefahren. Sie wusste umgehend, dass sie einen schweren Fehler begangen hatte. Wie konnte sie nur die Nerven verlieren?

      Sie legte etwas Flehendes in ihren Blick und ließ ihre rechte Hand rasch sinken. Bastian war zu einer Statue mit zwei wirren Augen erstarrt. Er bewegte sich zögerlich, was Conny ängstigte. Würde er die Hand gegen sie erheben, wie sie es bei ihm getan hatte?

      Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Sie waren in ein Wohngebiet gefahren, ohne dass sie es bemerkt hatte. Dies war eine friedvolle Gegend, nicht weit von ihrem Zuhause entfernt. In ihr focht ein wilder Kampf, der nicht zu der Ruhe draußen passte. Ihr Herz raste, ihre Augen trübten ein, das Lenkrad unter den schlanken Fingern wurde feucht. Sie drohte zu hyperventilieren und hasste sich selbst für die Ohrfeige.

      „Bastian, es tut mir leid“, sagte sie mit halb erstickter Stimme.

      Noch