Stephan Diederichs

Panikhort


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seine seltsam lethargische Mimik zu verwischen.

      Endlich rührte er sich. Er grummelte etwas Unverständliches und Conny glaubte, er würde bloß schmollen.

      „Halt an, verdammte Scheiße!“, schrie er und deutete mit der Hand auf eine Einbuchtung, die für Busse gedacht war.

      „Was?“ Conny war sich nicht sicher, ihn richtig verstanden zu haben.

      „Du sollst rechts ranfahren, du dummes Stück Scheiße.“

      Conny hätte beinahe zu einer zweiten Ohrfeige ausgeholt, besann sich aber rechtzeitig. Sie musste jetzt die Stärkere sein.

      „Und wo willst du hin? Wir sind gleich Zuhause. Du gehst nirgendwohin.“

      Conny sah die zweite Welle von Flüchen auf sich zurollen, ehe sie sie hörte. „Du hältst jetzt sofort an, du dämliches Miststück oder ich hau dir eine rein!“

      Ihr Magen verzog sich bei dieser Drohung schmerzhaft. Sie konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob er nicht doch zuschlagen würde, wenn sie sich seiner Forderung widersetzte. In einer nahen Parklücke am Straßenrand hielt sie an und entriegelte die Beifahrertür. Ohne ein weiteres Wort stieß Bastian die Tür auf und eilte in eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern davon, die zum Wald führte.

      Das Letzte, was Conny von ihrem Sohn sah war das flatternde T-Shirt, das sich um seinen dürren Körper legte. In den Tränen verschwamm der sorgsam geschnittene Rasen vom Haus vor ihr. Sie legte den Gang ein und fuhr langsam, da sie nichts sah. Ein Weinkrampf tränkte ihre geschwächte Seele. Die Kraft schwand mit jedem Meter, den sie sich ihrem Zuhause näherte. Die ersten Blitze am Himmel schienen durch ihren Körper zu fahren.

      Conny und Egon saßen ihm schweigend gegenüber, die eine mit feindseliger Genugtuung und der andere mit einer ihm unbehaglichen Härte. Egon hasste solche Konfrontationen, das wusste Bastian zu Genüge. Wenigstens musst du dich jetzt mal mir zuwenden, dachte Bastian trotzig.

      Unruhig fuhr er sich durch sein lichter werdendes Haar, das an den Schläfen mit grauen Strähnen durchzogen war. Sein Bauch hing zwischen seinen Oberschenkeln und ließ die Knöpfe seines karierten Hemdes ächzen. Bastian befand, dass sein Vater nicht nur wegen seines hochroten und geäderten Gesichts aussah wie ein Warzenschwein. Nur mit Mühe konnte er ein Grinsen unterdrücken.

      Er war noch vor dem Abendessen nach Hause zurückgekehrt. Den ganzen Nachmittag war er ziellos durch den Wald, seinen Lieblingsort, geirrt. Als das Gewitter über ihn hereingebrochen war, hatte er Schutz unter einer alten Eiche gesucht – wohl wissend, wie gefährlich das war. Es war der beste Platz, um nachzudenken. Immer wieder waren seine Gedanken um die Ohrfeige und ihre Folgen gekreist. Er hatte Conny schon öfters unbeherrscht erlebt, aber noch nie hatte sie ihn geschlagen. Seine Wange brannte immer noch, aber wenigstens waren die Tränen versiegt. Das hätte er nicht durchgestanden: Ihr den Triumph seiner Zerbrechlichkeit zu zeigen. Warum hatte sie das getan? Liebte sie ihn nicht mehr, wie er schon länger vermutete? Sie scheint mich tatsächlich zu hassen. Warum sonst hätte sie ihn so dermaßen hart angegangen. Soll sie nur, ich hasse sie auch.

      Conny und Egon saßen neben ihm auf dem größeren der beiden Sofas. Bastian hockte ihnen schräg gegenüber auf der anderen Couch, in sich zusammengefallen, als würde er resignieren. Doch aufgeben kam für ihn nicht in Frage. Mit Freude hätte er Conny und Egon auch eine Ohrfeige gegeben, um ihren scheinheiligen Fressen diesen spöttischen Anblick zu nehmen.

      „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, begann Conny zaghaft und legte seinem Vater die Hand aufs Knie. „Es tut mir leid, mein Schatz. Ich hätte dich niemals Ohrfeigen dürfen. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Bitte, das musst du mir glauben.“ Sie beugte sich zu ihm herüber und stützte sich mit ihren Ellbogen auf ihren Knien ab, um ihm besser in die Augen schauen zu können, da er noch mehr nach unten gerutscht war. Für einen Moment schwieg er, wägte seine nächsten Worte sorgsam an. Dann brachen sie doch einfach aus ihm heraus. „Du willst dich eh nur entschuldigen, weil Papa hier is. Wär er nicht hier, würde es dich nicht jucken.“

      „Was? Das stimmt nicht. Mir tut es wirklich leid. Ich hätte nicht ausrasten dürfen, aber du…“

      Wie von einer Wespe gestochen, sprang er auf und lief um den Fernseher herum zum Fenster. Er stand ihnen jetzt genau mit dem Rücken zugewandt gegenüber „Da haben wir es wieder. Immer bin ich der Doofe und du hast keine Schuld.“ Ehe er weitersprach, fuhr er herum und starrte sie einige Sekunden lang vorwurfsvoll an. „Du kannst dich nicht mal richtig entschuldigen. Und wenn, dann nur, damit du gut dastehst und nicht weil du es willst. Du bist so egoistisch. Hauptsache, andere sehen wie toll du bist. Du kotzt mich an, du hohles Stück.“

      Er redete sich so in Rage, dass er wild mit den Armen fuchtelte und überall Spucketröpfchen auf der Kommode verteilte, auf der der Fernseher stand. Ihm lag etwas Wildes an, das er nicht kontrollieren konnte, das einfach ausbrach wie Viren.

      Er spürte, wie Conny zum Gegenschlag ansetzen wollte. Dieses Mal war es Egon, der dazwischen ging. „Es reicht! Bastian, ich will solche Beleidigungen nicht noch mal hören. Mama hat einen Fehler gemacht. Ihr tut es leid, also nimm ihre Entschuldigung an.“

      Bastian ahnte, dass Egon nur schnell seine Ruhe haben und fernsehen wollte. Ihm ging es genauso wenig um eine friedliche und ernstgemeinte Lösung. Bastians Abneigung wuchs ins für ihn Unerträgliche, als würde jemand seine Eingeweide wie ein weiches Kaugummi auseinanderziehen. Eine weitere, dumme Bemerkung dieses fetten, mit einer Prinz Eisenherz Frisur gestraften Mannes, der sich sein Vater schimpfte, und er würde Bastians vollkommenen Zorn spüren.

      „Du kannst mich mal“, feuerte er Egon entgegen, zeigte ihm den Mittelfinger und warf sich zurück aufs Sofa. Trotzig verschränkte er die Arme und starrte auf das Bücherregal ihm gegenüber. Egon schnellte zu ihm, als würde ihn sein Gewicht nicht stören, und packte Bastians Arm.

      „Wenn du nicht gleich…“

      Doch der Satz wurde nie zu Ende gesprochen, da Conny dazwischenfuhr. „Wir beruhigen uns jetzt alle mal.“ Sie rutschte unruhig auf dem Polster des Sofas nach vorne und tippte Egon auf seinen Bauch, da er sich von ihr weggedreht hatte. Er ließ von Bastian ab und sank seufzend in die Kissen. In Bastian brodelte es. Er wäre Egon fast an den Hals gesprungen, doch Conny riss ihn aus diesem Vorhaben.

      „Bastian, ich weiß nicht, was ich sagen soll, außer, dass es mir leidtut und ich nicht weiß, was in mich gefahren ist. Bitte, verzeih mir.“

      Das konnte Bastian nun wirklich nicht glauben. Conny wollte ihn offensichtlich für dumm verkaufen. „Ich glaub dir kein Wort. Du bist ne verkackte Lügnerin. Erst schlägst du mich und dann soll wieder alles gut sein? Kannste vergessen, nur weil Papa da sitzt und du keinen Bock auf Stress hast. Leck mich! Leckt mich beide!“

      Noch bevor einer von beiden eine Erwiderung verlieren konnte, stürmte Bastian aus dem Wohnzimmer. Keuchend krümmte er sich im Flur und hörte noch wie Egon hinter der Tür fluchte. „Ich hab keinen Bock mehr auf den ganzen Stress hier.“

      Ihm war schlecht, was er sich nicht erklären konnte, da die Gespräche mittlerweile immer so verliefen. Was also sollte ihn daran noch stören?

      Sein Blick wanderte über die Bilderrahmen an der Wand hinter ihm. Sie zierten Fotos aus den glücklichen, vergangenen Tagen. Bastian mit Conny und Egon im Zoo, Bastian mit den Beiden bei seiner Oma Henriette. Diese Zeit würde nie wiederkehren, soviel stand nach dieser Auseinandersetzung endgültig fest. Er rannte nach oben in sein Zimmer.

      Es war klein, aber gemütlich. An den Wänden hingen Poster von berühmten Fußballspielern wie Mats Hummels oder Philipp Lahm. Auf einem Stuhl lagen zahlreiche benutzte T-Shirts und Hosen, die er zum Waschen herunterbringen sollte. Vor dem großen Fenster tobte der unnachgiebige Sturm. Bastian warf sich aufs Bett, nur einen Gedanken fassend: Ich will sterben!

      4. Kapitel

      Die eisigen, blauen Augen bohrten sich in die seinen und doch konnte er das Gesicht der schemenhaften Gestalt unter der Laterne nicht erkennen. Der Statur nach zu