Ulrich Paul Wenzel

Es Geht Auch Anders


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grauen Baumwollrock und die schwarzen Lederstiefel waren Upper Class. Sie war heute Abend, das musste ich nüchtern feststellen, ganz eindeutig die Nummer eins.

      Unsere Party dümpelte dahin wie die Fischerboote im Hafen von Riomaggiore. Eintöniger Small Talk zwischen Diele und Küche. In der Annahme, augenblicklich nicht gebraucht zu werden, schließlich war Small Talk nicht unbedingt eines meiner Steckenpferde, nutzte ich den Aufenthalt auf der Toilette für einen Abstecher ins Schlafzimmer. Ich legte mich aufs Bett und schaltete den Fernseher in der Erwartung ein, die Bundesligaergebnisse von heute zu erfahren. Ich hätte es mir sparen sollen.

      »Sag mal, hast du’n Knall?« Carlas entsetzte Stimme ließ mich nur wenige Minuten später hochfahren. Durch den schmalen Spalt der leicht geöffneten Tür drang das grelle Flurlicht und entferntes Stimmengewirr in das Zimmer. Zum Glück konnte ich Carlas Gesichtszüge nur erahnen, aber schon das jagte mir einen gehörigen Schrecken ein. »Ich glaube es nicht! Wir laden zu unserer Frühjahrsparty charmante Gäste ein und du verpfeifst dich ins Schlafzimmer und glotzt Fernsehen. Ich werde total verrückt!«

      Letzteres war unverkennbar, Carla hätte es nicht noch betonen brauchen. Sie war gerade dabei, in den gasförmigen Aggregatzustand zu wechseln. Ich schaltete mit der Fernbedienung das Gerät aus und richtete mich auf.

      »Monika fragte mich vor ein paar Minuten, wo du geblieben wärest. Ich sagte ihr, du wärst bestimmt im Bett und würdest dein Geld zählen. Das sollte ein Witz sein, Simon-Moritz!« Wutentbrannt fegte Carla aus dem Zimmer, die Tür flog ins Schloss und der Schlüssel zu Boden. Ich entschloss mich nach einer kurzen Verzögerung, zu unseren charmanten Gästen zurückzukehren. Dabei gab es nur einen charmanten Gast.

      Frank und seine Neue standen noch an fast derselben Stelle wie vor einer halben Stunde. Die Neue schien sich zu Tode zu langweilen. Ich ging auf sie zu und stellte mich neben sie. Sie lächelte knapp. Ihr exotisches Parfüm fesselte mich in wenigen Sekunden mehr, als es Carlas Chanel N°19 in den letzten zwanzig Jahren geschafft hatte.

      »Und was machen Sie beruflich?«, fragte die Neue plötzlich und drehte sich zu mir um. Ich fühlte mich überfallen. »Ich bin Pilot«, kam es spontan aus meinem Mund. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie so etwas hören wollte.

      »Was? Das finde ich ja irre«, schmetterte sie mir entgegen und klimperte mit den Augen. »Und wo überall auf der Welt fliegen Sie hin?«

      Jetzt wäre der Zeitpunkt gekommen, den kleinen Scherz mit dem Piloten klarzustellen. Nüchterne Überlegungen schienen mir in diesem Augenblick jedoch völlig fremd zu sein. »Nach Mallorca, Kreta, Gran Canaria.«

      »Ferienflieger?« Ich glaubte eine Spur von Enttäuschung über ihr Gesicht huschen zu sehen und wollte schon hinzufügen: Und nach New York, Los Angeles, Bangkok und Sydney.

      »Und bei welcher Fluggesellschaft fliegen Sie?«

      »Air Berlin.« Ich entschloss mich, im Ferienbereich zu bleiben. Meine Körpertemperatur stieg an.

      »Ach was? Ich bin letztes Jahr im Mai mit Air Berlin von Leipzig nach Mallorca geflogen. Nicht auszumalen, wenn ich mit Ihnen geflogen wäre.«

      Ich hätte sie in diesem Moment beruhigen können, in Leipzig war ich vor sieben Jahren einmal auf dem Hautbahnhof und Malle kannte ich nur von meinem Shell-Atlas.

      »Das wäre wirklich ein großer Zufall gewesen«, sagte ich trotzdem und lächelte gütig. Nebenbei zermarterte ich mir den Kopf, wie ich aus dieser Pilotennummer wieder herauskommen könnte. Wahrscheinlich waren diese Gedanken umsonst. Alles würde sich auflösen, wenn sie am nächsten Morgen beim Frühstück mit Frank im Bett die Party noch einmal rezensieren und zwangsläufig auf den Gastgeber mit dem atemberaubenden Beruf zu sprechen kommen würde. Insofern sah ich es als vorteilhaft an, dass Frank immer wieder mit einer Neuen erschien.

      »Ist es eigentlich wichtig, dass wir uns Siezen?«, fragte ich.

      »Nein, natürlich nicht. Ich heiße Arlette.« »Ich bin Simon. Und was machst du beruflich, Arlette?«

      Sie hatte sich viel Mühe mit sich selbst gegeben. Grausilbriger Lidschatten, scharfe Konturen an weinroten Lippen. »Ich arbeite für eine Personalservice-Agentur.«

      Mir fiel spontan das Arbeitsamt ein, wollte es aber nicht glauben. »Da kann ich mir jetzt gar nichts drunter vorstellen.«

      »Das ist auch schwer zu beschreiben. Wenn ich dir das jetzt erklären würde, könntest du das missverstehen.« Mein dämlicher Gesichtsausdruck musste sie veranlasst haben, noch etwas hinzuzufügen.

      »Ich gebe dir nachher mal meine Karte, vielleicht ist es auch etwas für dich. Du kannst mich ja mal anrufen.«

      Ich schob das Kinn vor und hustete in mich hinein. Vielleicht ist es auch etwas für dich? Hörte sich nach Nachhilfelehrerin oder Edelnutte an. Vielleicht war es auch ein versteckter Hinweis. Wollte Arlette etwas von mir? Hatte sie erkannt, dass es außer Frank noch andere interessante Angebote auf dem Markt gab? Zum Beispiel Piloten. Ich hoffte, meine innere Aufregung verbergen zu können. Vor mir tauchte ich selber auf. In einem scharf geschnittenen, dunkelblauen Pilotenanzug mit vier goldenen Streifen an den Ärmeln, einer Ray-Ban-Aviator-Sonnenbrille vor den Augen, die schmale Uniformmütze unter den Arm geklemmt und eingerahmt von drei lüstern lächelnden Stewardessen auf der Treppe zum Cockpit eines Airbus A340. Der Traum war intensiv, aber sehr kurz.

      Ich fuhr aus meinem Traum hoch. Carla hatte musikalisch blankgezogen. Die Gypsy Kings polterten mit einer Lautstärke durch die Wohnung, die ausgereicht hätte, das Velodrom zu beschallen. Die Gypsy Kings waren zwar reichlich angestaubt, aber immer noch Carlas Allzweckwaffe, wenn sie glaubte, ein paar Kohlen nachlegen zu müssen. Jegliche Unterhaltung konnte in diesem Moment getrost eingestellt werden. Was meine Pilotengeschichte anging, war das ganz gut so. Mein mitleidiger Blick richtete sich ein weiteres Mal auf die Lautsprecherboxen.

      »Ich weiß, das ist nicht deine Musik, Sweety«, übertönte Carla die Musik, nachdem sie auf uns zugetänzelt war. Sie hatte ordentlich einen im Tee, das war offensichtlich. »Wenn es nach ihm ginge, würden wir den ganzen Abend nur Led Zeppelin und Pink Floyd hören«, plärrte sie gegen die Musik an und blinzelte zur Neuen hinüber. »Bei Led Zeppelin haben wir uns vor zwanzig Jahren übrigens kennen gelernt«.

      Ich glaubte nicht, dass Arlette das interessieren würde. Es war eine Fehleinschätzung.

      »Ach, das ist ja interessant«, zwitscherte sie und hob ihren hübschen Kopf. »Wo habt ihr euch denn kennen gelernt?«

      »Auf einer Party in Kreuzberg, auf der Toilette.« Carlas Augen leuchteten auf.

      »Huch.« Die Neue hätte sich fast verschluckt. Wie sollte sie wissen, dass es zu Carlas überlebenswichtigen Bedürfnissen gehörte, diese Story zum Besten zu geben. Alle anderen anwesenden Gäste kannten sie schon, demnächst also auch Arlette.

      Zugegebenermaßen hinterließ Carla an diesem denkwürdigen Abend auf Toms Fete einen ebenso nachhaltigen Eindruck bei mir wie Franks Neue an diesem Abend. Ich flegelte gerade mit einem schalen Schultheiss im einzigen Sessel der ganzen Wohnung und starrte in den Flur, als Carla mit einer Freundin erschien. Es war definitiv nicht ihr speckiger Afghanenmantel, der mich vor Begeisterung fast zerriss der. Wie ich später feststellte, stank er genauso penetrant nach Ziege, wie alle anderen Afghanenmäntel auf dem überquellenden Garderobenständer. Nein, es waren Carlas tiefblaue Augen, ihre dunkelblonden schulterlangen Haare und ihre honigmelonengroßen Brüste, die meine innere Spannung kontinuierlich ansteigen ließ.

      In der engen Küche am Buffet wollte ich nach einer halben Stunde - so lange hatte ich verschiedene Angriffstaktiken gedanklich durchgespielt - den ersten Kontakt herstellen. Das Buffet war damals rustikaler, wahrscheinlich hatte Carla es als abschreckendes Beispiel lange mit sich herumgetragen. Sie konnte sich jedenfalls nicht entscheiden zwischen den eingelegten Bratheringen und den ebenfalls eingelegten Riesenrollmöpsen. Ich war hinzugetreten und wollte ihr gerade einen kulinarischen Ratschlag geben, sozusagen einen unverbindlichen Vorschlag aus dem Munde eines weit herumgekommenen Gourmets, als sie sich umdrehte, mich knapp anlächelte und die