Ulrich Paul Wenzel

Es Geht Auch Anders


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von Toms verwirrtem Kater vollständig zerpflügten Flokati saß und die Trackfolge auf dem Cover von Led Zeppelin II studierte, hockte sie plötzlich neben mir.

      »Ich weiß noch genau, wo Simon mir das erste Mal aufgefallen ist«, begann Carla, zwei Lautstärken über normal zu referieren, während ihre Augen diebisch funkelten. »In der Küche am Buffet. Ich wusste sofort, das ist er! Lange dunkle Haare, knackiger Arsch in blauer Jeans. Als er mit der Plattenhülle auf dem Teppich herumhockte, setzte ich mich dazu. Leider schien er nur zwei Leidenschaften zu haben: Led Zeppelin und Schultheiss.« Das war natürlich vollkommener Quatsch. Tom hatte nur Schultheiss im Haus. Arlette sah mich an und stülpte ihre Lippen. Sie schien zu überlegen, wie aus solch einem Traumtänzer wie mir jemals ein Pilot werden konnte. Vielleicht auch, dass solch ein Traumtänzer niemals Pilot sein konnte.

      »Tja, und dann habe ich einen zweiten Versuch gemacht«, fuhr Carla genüsslich fort. »Als Simon zur Toilette ging, bin ich kurzerhand mit hinein und habe von innen abgeschlossen.« »Waaas?« Einen kurzen Moment dachte ich, Arlette würde abheben. Sie blickte ungläubig zwischen Carla und mir hin und her. Frank lächelte süffisant. Ich nickte entschuldigend. Carla kostete es aus.

      »Und was passierte dann?« Die Neue wurde jetzt neugierig. Prickelnde Geschichten schienen etwas für sie zu sein.

      »Nichts«, brummte ich.

      »Nichts? Das kann man nun wirklich nicht sagen, Sweety. Wir haben wild rumgeknutscht und gefummelt. Nach zehn Minuten sind wir wieder raus.«

      Sie hatte recht. Es war oberpeinlich. Zu zweit kamen wir aus der Toilette! Carla schien es überhaupt nichts ausgemacht zu haben, mein Kopf hatte die Farbe eines überreifen Kürbis’ angenommen. Natürlich sind wir nicht mehr lange auf der Fete geblieben. Was sollte ich mit Carla auch auf einer Fete? Sie schien dasselbe gedacht zu haben. Nach einem Bier und einem Kaffee im Adams in der Pariser Straße landeten wir in Carlas 17-Quadratmeter-Zimmer in ihrer Frauen-WG in der Mommsenstraße. Das einzige, was mir von dieser Nacht noch in Erinnerung geblieben ist, war mein gigantisch brummender Schädel am nächsten Morgen.

      Gerade als ich auf meine Uhr schaute, es war halb eins, erhoben sich Eva und Markus synchron vom Esstisch. Ich glaubte nicht, dass ihr Aufstehen etwas mit meinem Blick zur Uhr zu tun hatte. Wenn doch, dachte ich, hätte ich schon vor zwei Stunden auf die Uhr blicken sollen. Ich konnte die beiden ausstehen, wie Fliegen am Fenster.

      »Wir sollten jetzt auch gehen«, sagte Frank zu Arlette. Ihr Blick signalisierte: Schade, aber wenn du meinst. Wahrscheinlich wäre sie noch gern geblieben, schließlich hatten Carla und ich ihr mit unseren Geschichten ein anregendes Programm geliefert. Mir fiel auf, dass Frank und Arlette irgendwie ein besonderes Verhältnis hatten. Nichts von einer heißen Romanze, keine glühende Leidenschaft. Sie machten auch überhaupt nicht den Eindruck, als wenn sie, kaum in Franks Wohnung angelangt, übereinander herfallen würden. Eher wie Bruder und Schwester auf Vaters fünfundachtzigstem Geburtstag.

      Als wir uns im Flur verabschiedeten, schob mir Arlette die angekündigte Visitenkarte in die hintere Tasche meiner Jeans und raunte mir zum zweiten Mal den scheinbar wohl gemeinten Hinweis »Vielleicht ist es ja auch etwas für dich« zu. Ich hatte im selben Moment das Gefühl, als ob sich meine gesamte Körperflüssigkeit in Form kleiner Schweißperlen auf meiner Stirn versammelte. Instinktiv suchte ich nach Carla. Sie stand direkt hinter mir, tauschte mit Rita aber gerade einen innigen Zungenkuss aus. Ich war erleichtert.

      »Sag mal, Simon, hat dir die Neue von Frank die Hand auf den Arsch gelegt, als ihr euch verabschiedet habt?«, fragte Carla in ihrer beiläufigen Art. Sie spülte gerade eine ölige Salatschüssel mit einem Schwamm und ich stand dummerweise neben ihr.

      »Ich habe nichts bemerkt, Carla.« Spontan trat ich hinter sie und begann, ihren Nacken zu kraulen.

      »Es ist zwar schon spät, Sweety, und ich habe ein paar Gläser Prosecco intus«, sagte Carla scharf und drehte sich schwungvoll um. »Aber nicht so viele, dass ich den Überblick verloren hätte!« Dramaturgisch sehr effektvoll, das musste ich zugeben. Ein Spritzer Seifenwasser landete direkt unter meinem rechten Auge. Sweety hatte im Augenblick definitiv eine andere Bedeutung als sonst. Nach meinem Gefühl hätte sie es an dieser Stelle weglassen sollen.

      »Ich weiß nicht, was du da gesehen haben willst, Carla, aber kann es sein, dass du ein wenig übertreibst?« Ich überlegte angestrengt, wie ich etwas Luft ablassen konnte, bevor der zarte Ballon direkt vor mir platzte.

      »Ich kann dir sagen, was ich gesehen habe. Erst hast du der Neuen von Frank den ganzen Abend auf die Titten gestarrt, und beim Abschied hat sie dir über den Arsch gestrichen!«

      »Nun hör aber auf Carla, das ist doch Blödsinn. Außerdem gab es doch gar nichts zu sehen.«

      »Mir ist scheißegal, ob es bei der Kuh etwas zu sehen gab oder nicht. Es geht um dich und wie du dich in meinem Beisein benimmst! Du wirst immer eigenartiger, Simon-Moritz!«

      Einen knappen Blick auf Arlettes niedliche Brüste hatte ich mir tatsächlich gegönnt. Es war schwierig, nicht weil sie zierlich waren, sondern weil Arlette direkt neben mir stand und ich es ohne eine entlarvende Kopfbewegung, aus den Augenwinkeln bewerkstelligen musste. Carla schien es trotz meiner Sorgfalt bemerkt zu haben. Es war für mich jetzt wichtig, aus der Defensive zu kommen. Im Fußball lösten sie meistens die Viererkette hinten auf und kamen mehr über die Flügel. Ich brauchte so etwas wie ein Gegentor. Aber erst einmal downcoolen. Ich probierte es auf Susans Tour: »Dein Vitello Tonato war phantastisch, Carla, ehrlich. Ich muss sagen, in diesen Dingen bist du unschlagbar«, schwatzte ich mit einem eröffnenden Lächeln. Carlas Blick verfinsterte sich um einige Nuancen. »Das Vitello Tonato liegt seit einigen Stunden unten in der Mülltonne!«, bellte Carla los. »Das war gar nicht auf dem Tisch, weil es mir völlig missraten war! Aber es ist schon klar, dass du keinen Blick für das Essen hattest.« Carla war mit ihrem Kopf auf fünf Zentimeter an meine Nasenspitze herangerückt. Ihre geröteten Nasenflügel bebten wie die eines zornigen Kampfstiers. Das war natürlich ein erbärmlicher Fehlpass von mir. Eigentlich hätte ich mich an dieser Stelle sofort auswechseln müssen. Meine kalten Schweißperlen waren allesamt wieder zurück auf der Stirn. »Entschuldige Carla, du hast ja Recht. Natürlich meinte ich das Cappatio. Hab’ ich verwechselt, glaub mir, Schatz.« Ich ging einen Schritt zurück, nicht nur, um ein wenig aus der Schusslinie ihrer penetranten Prosseccofahne zu kommen. Mein zweiter Ansatz schien allerdings auch nicht der richtige gewesen zu sein.

      »Sag mal, willst du mich jetzt verarschen, Simon-Moritz?«, zischte sie und sah mich scharf an, »oder hat dich Franks Mäuschen deiner letzten Sinne beraubt?« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Dein kulinarisches Beurteilungsvermögen war zwar noch nie besonders ausgeprägt, aber so jämmerlich habe ich es gar nicht in Erinnerung. Vielleicht liegt dir die italienische Küche auch nicht mehr so.« Carla goss sich den Rest Rotwein in ein Wasserglas.

      »Cappatio verwechselt er mit Vitello Tonato! Das ist das allerletzte Mal, dass ich für uns italienisch gekocht habe. Du solltest dir nächstes Mal diese gefrorenen Gummifritten zurechtmachen, die Alex immer in den Backofen schiebt, wenn wir ins Kino gehen!« Carlas Gesichtsfarbe erinnerte mich an die eindrucksvollen Sonnenuntergänge an Frankreichs Atlantikküste vor zwei Jahren im Urlaub. Sie schoss jetzt aus allen Rohren. Ein imposantes Feuerwerk in mächtigen Farben. Leider war ich das Ziel.

      »In diesem Zusammenhang noch etwas, Simon Moritz! Ich nehme an, du hast mitbekommen, was Eva und Markus, diese Wachtel und ihr Zaunkönig, mitgebracht haben? Party-Boxen mit Salzstangen, Brezelchen und Erdnüssen. Unglaublich! Und weißt du was? Angeblich war das ein Tipp von dir gewesen! Anstelle von Blumen, nehme ich an?«

      »Carla, das lässt sich erklären. Ich habe…«

      »Was willst du erklären? Da gibt es nichts zu erklären! Ich wiederhole mich, du hast schwer nachgelassen! Italienische Küche und Erdnusslocken! Das ist doch entsetzlich! Das pervertiert den Abend! Warum hast du nicht deinen grünen Waldmeisterpudding aus der Tüte gemacht und in der überdimensionalen Salatschüssel auf den Tisch gestellt? Das hätte die Sache vollends abgerundet.« Carla riss die Tür unter der Spüle auf. »Ich habe den Knabberscheiß hier neben