Ulrich Paul Wenzel

Es Geht Auch Anders


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      »Nein«, sagte ich, »das hält man doch gar nicht aus.« Wahrscheinlich bin ich der einzige Trottel, der nur eine Frau hat, überlegte ich. Sporty, Frank, Andy. Gut, Andy war klar. Mir fiel Arlette ein.

      »Aber es wird immer schwieriger«, fügte ich nach einem weiteren Schluck Mineralwasser hinzu. »Ich meine, wo kannst du heute noch Frauen kennen lernen?«

      »Das ist doch ganz einfach«, sagte Sporty und schmunzelte, »zu Hause am Schreibtisch.«

      »Ach so?«

      »Ja, aber nicht Online! Der gute alte Tip, unser Stadtmagazin. Schau dir mal die Seiten an. Das läuft wirklich gut und kostet dich nichts.«

      »Echt?«

      »Klar, aber nimm nur lose Kontakte. Keine festen Geschichten! Ist viel zu dramatisch! Und lass die Finger von diesen komischen Kontakt-Partys.«

      »Was ist das denn?«

      »Single-Partys. Da läufst du mit einer Nummer rum. Alle laufen sie mit einer Nummer rum.«

      »Das ist doch bescheuert, oder?«

      »Natürlich. Da findest du nie, was du willst.«

      Ich weiß auch gar nicht, was ich will, dachte ich. Auf jeden Fall kannte Sporty sich aus. Ich fühlte mich wie einer der wenigen Ahnungslosen. Scheinbar entsprach es nicht mehr dem Zeitgeist, mit nur einer Frau zusammen zu sein. Wenn ich wirklich noch auf Augenhöhe mitreden wollte, ob in der Kneipe oder beim Fußball, selbst beim Brötchenholen, dann musste ich etwas tun. In diesem Moment fiel mir Carla ein und die Croissants, die vor mir auf dem Tisch lagen. »Ich muss mal telefonieren«, sagte ich und fummelte umständlich mein Handy aus der Tasche. An unserem Festnetzanschluss meldete sich Alex, und das auch erst, nachdem ich das Telefon zwölf oder dreizehn Mal hatte klingeln lassen. Carla war nicht mehr zu Hause. Ich hätte es wissen müssen. Carla war nach Steglitz aufgebrochen. Es war heute der erste Samstag im Monat, und die ersten Samstage eines jeden Monats waren genauso rot in unserem Wandkalender eingezeichnet wie Ostermontag oder Himmelfahrt. Zusammen mit Rita durchpflügten sie an jedem dieser Samstage in aller Ausgiebigkeit die Schuh- und Porzellanläden, Boutiquen und Parfümerien und besonders die neuen Shopping-Malls in der Schlossstraße. Irgendwann am frühen Abend landete Carla meistens, platt wie ein Eierkuchen, auf unserer Wohnzimmercouch. Ich hatte also keinen Zeitdruck, wenn ich mal davon absah, dass um 18 Uhr die Sportschau begann.

      Als ich mit Nelson am frühen Nachmittag gegen halb drei die Wohnung betrat, war das Wohnzimmer von den Klängen Compay Segundos erfüllt. Carla schien zurück zu sein. Sehr früh, war mein erster Gedanke, irgendetwas muss schiefgelaufen sein. Unbedachterweise gab ich das Halsband von Nelson frei. Der Hund machte sich sofort auf den Weg ins Wohnzimmer. Ich hörte einen Schrei, der mich an die U-Bahn-Linie 7 in der Kurve zwischen Halleschem Tor und Mehringdamm erinnerte. Als ich das Zimmer betrat, war Nelson gerade damit beschäftigt, Carla das letzte verbliebene Rouge aus dem Gesicht zu wischen.

      »Nimm doch mal den Köter weg, Simon. Der macht mich wahnsinnig!«

      Obwohl ich ahnte, dass es umsonst war, rief ich: »Nelson, aus, Platz!« Ich hatte mich nicht getäuscht. Carla sah aus wie ein von einer intensiven Sonnenbestrahlung erfasster Schneemann. Sie glotzte mich dennoch spöttisch an.

      »Wollen wir frühstücken, Sweety? Es hat dir beim Bäcker gefallen, nehme ich an?«

      »Wie man es nimmt.«

      »Kannst du mir deinen ausgiebigen Ausflug vielleicht einmal näher erklären?«

      »Wir, Nelson und ich, haben eine Bekanntschaft gemacht.«

      Carla kicherte schrill auf. »Wen habt ihr denn kennengelernt? Eine wohlhabende Witwe mit einem weißen Pudel?«

      »Einen Sportlehrer mit Riesenschnauzer.«

      »Oh, lass dir doch auch mal einen Schnauzer wachsen, Simon.«

      »Er hatte keinen Schnauzer, sein Hund war ein Riesenschnauzer.«

      »Ist doch egal, Sweety. Wo sind meine Croissants? Ich habe ein wenig Hunger, verstehst du.«

      »Das muss ich dir erklären, Carla«, sagte ich leise und sah mich nach einer Möglichkeit um, aus dem Zimmer zu kommen, »deine Croissants hat Nelson verdrückt.«

      »Wie bitte? Sag das noch einmal, Sweety.«

      »Es ist leider so. Wir haben uns verplauscht und die beiden Hunde hatten mächtigen Kohldampf.«

      3

      Für das Besondere in unserer Beziehung hatte ich scheinbar nicht das richtige Gespür. Carla fühlte sich bemüßig, mich immer wieder aufs Neue daran zu erinnern. Das Entscheidende war eigentlich nur ein kleines Element. Ein Kulturelement, wie Carla sich ausdrückte, als sie es fast auf den Tag genau vor vier Jahren in unsere Ehe einführte. Sie schien in einer ihrer seltenen friedlichen Phasen Zeit zum Nachzudenken gefunden zu haben. Über mich, natürlich, über uns beide, insbesondere jedoch über unsere nur noch im Schongang dahindümpelnde Beziehung. Unter der Ausbeute ihrer Überlegungen hatte ich bis zum heutigen Tage zu leiden. Ein Tag im Monat, so hatte Carla es sich ausgedacht, sollte nur für uns beide reserviert sein. Für gemeinsame Aktivitäten und Erfahrungen, wie sie es nannte. Wertfrei betrachtet war dagegen nichts einzuwenden, was war schon ein Tag im Monat?

      Ich nickte damals leichtfertig und signalisierte ihr meine grundsätzliche Zustimmung. Den ersten Schock bekam ich schon kurz nachdem ich das Nicken beendet hatte und mich wieder dem Sportteil des Tagesspiegels zuwenden wollte. Ihr schwebte der Freitag vor! Ausgerechnet der Freitag, an dem ich schon jede Menge gemeinsamer Aktivitäten hatte. Nicht mit Carla. Freitags trafen wir uns bei Andy im Stonehenge. George und Frank waren meistens auch dabei. Wir tranken ein paar Mollen und quatschten über Fußball, alte Zeiten und Frauen, meistens in dieser Reihenfolge. Bedauerlicherweise hatte ich keine wirklichen Argumente gegen den Freitag. Andy und George zählten bei Carla überhaupt nicht, Frank nur halb. Ich witterte sofort Vorsatz hinter ihrem Vorschlag und wurde diese Vermutung nicht mehr los, insbesondere als bald nicht jeder vierte, sondern jeder zweite Freitag für Aktivitäten und Erfahrungen draufging.

      Die Federführung bei der Programmgestaltung lag fast ausschließlich in Carlas zarten Händen, was auch an meinem fehlenden mentalen Zugang zu diesem Kulturtag lag. Meine persönliche Wahrnehmung, dass der Spaßfaktor sich an diesen Freitagen bei Null einpendelte, konnte sie überhaupt nicht teilen. Unsere Kulturtage, das fiel mir irgendwann auf, hatten eine frappante Ähnlichkeit zu Carlas Samstagsausflügen mit Rita. Das planmäßige Abgrasen von Kaufhausetagen, Shopping-Malls, Boutiquen und Schuhläden war auch unser Schwerpunktthema Nummer eins, allein das Planquadrat war ein anderes als mit Rita. Lass uns doch mal zum Ku’damm, Sweety, hatte sie damals geflötet, dort kommen wir selten hin. Mein Gesicht schien kurz nach Carlas Verkündung zu einer Fratze mutiert zu sein. Sie schob jedenfalls schnell den Satz »So schlimm wird es wirklich nicht, Sweety« nach.

      Obwohl ich glaubte, sowohl Carlas herausragende als auch ihre unterentwickelten Begabungen zu kennen, überraschte sie mich an diesen gemeinsamen Kulturtagen immer wieder aufs Neue. Ich hatte mir nie vorstellen können, wie es möglich war, in atemberaubend kurzen Zeiträumen Geldbeträge in schwindelerregenden Größenordnungen auszugeben. Carla konnte es mir zeigen.

      »Und, Sweety, wie sehe ich aus?« Carla stolzierte mir aus der Umkleidekabine entgegen, als wenn ich die entscheidende Stimme beim Fernseh-Casting für eine Modelkarriere hatte.

      »Absoluter Wahnsinn, Carla. Steht dir echt gut. Eine unglaubliche Farbkombination. Wenn du mich fragst, es ist für dich persönlich geschneidert. Pack es ein«, sagte ich und glaubte, ganz überzeugend gewirkt zu haben. Irgendwie jedoch schien mein Gesichtsausdruck nicht mit meinen Worten zu korrespondieren.

      »Simon, du willst nur schnell weiter. Ich will von dir keinen schnellen Zuspruch. Ich möchte eine objektive Beratung von dir und ich finde, dass dies möglich sein sollte. So häufig sind wir ja nicht zusammen unterwegs.«

      Eine