Ulrich Paul Wenzel

Es Geht Auch Anders


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neben mir. »Wie beim Fußball, die Massen strömen, und du mit deinem Bier mittendrin. Sag mal, hast du die Sachen?«

      »Alles hier drin, Carla«, sagte ich süffisant, hob eine Tüte hoch und holte einen ihrer Slips heraus.

      »Sag mal, bist du bescheuert. Du kannst doch nicht meine Wäsche hier vor allen Leuten auspacken.« Carla schüttelte gereizt den Kopf und blickte sich verstohlen um.

      Auf dem Heimweg schwiegen wir. Carla war noch sichtlich ergriffen von dieser erbärmlichen Schnulze und ich ging gedanklich durch, was dieser Freitag, unserem Kulturtag, so alles für mich gebracht hatte und vor allem, was ich alles verpasst hatte.

      4

      Ich war gerade dabei, die braune Filtertüte aus dem Trichter der Kaffeemaschine zu fingern, weil diese wieder einmal in sich zusammengefallen war und der Kaffeesatz den Trichterausgang verstopfte, als ich von Carla ebenso kalt erwischt wurde, wie sie anscheinend selbst kurz zuvor vom Duschwasser. »Diese beschissene Dusche! Mich kotzt es langsam an, Simon! Das Wasser wird wieder nicht warm!«, bellte sie, splitternackt in der Küchentür stehend, während ihre Brüste bei jeder ihrer hektischen Armbewegungen ins Schwingen gerieten.

      »Dann duschst du heute eben mal nicht.« Meine Antwort war etwas spontan und natürlich unbedacht. Fast schon provokativ, aber ich hatte schließlich meine eigenen Sorgen. Die braune Kaffeebrühe hatte sich auf der halben Arbeitsplatte verteilt.

      »Sag mal, hast du ’nen Vogel? Dass du nur jeden zweiten Tag unter die Dusche gehst, ist schon schlimm genug, ich will jedenfalls morgens warmes Wasser! Und ausgerechnet heute ist es kalt!«

      »Wie, heute? Was ist denn heute?«

      »Was heute ist? Ach, nichts Außergewöhnliches, Sweety. Ich habe heute nur meine Vorführstunde für die Fachbereichsleiterstelle.« Richtig, das hatte ich vergessen. Wir hatten uns vorgestern darüber unterhalten. Mit Schulrat und Schulleiter und einem anschließenden Umtrunk, wie Carla mir erklärt hatte. Ich musste schließlich noch die Flaschen Prosecco besorgen und irgendwie in den restlos überfüllten Kühlschrank klemmen. Jetzt hörte sich Carlas Stimme ungesund an, wie ein Dieselmotor kurz vor dem Verrecken. »Kannst du vielleicht mal die blöde Kaffeemaschine stehen lassen und dich um das Wasser kümmern?«

      »Das mit dem Wasser könnte problematisch werden, Carla«, sagte ich vorbeugend und trocknete meine Hände an einem Küchentuch ab., »Du weißt, wie es beim letzten Mal war.« Natürlich wusste sie es. Da lebten wir drei volle Tage ohne einen Tropfen warmen Wassers.

      »Und was heißt das jetzt, Simon? Heißt das, hier geht heute wieder gar nichts?«, blaffte Carla erneut auf, verschränkte die Arme vor ihren Brüsten und starrte mich mit vorgestrecktem Kinn an.

      »Wahrscheinlich nicht«, sagte ich tonlos, innerlich in Deckung gehend.

      »Ach so, wahrscheinlich nicht. Und jetzt? Das ist doch unglaublich! Das ist ein Scheißhaus, in dem wir hier wohnen! Absolut, sage ich dir! Mach mir bitte sofort einen Topf heißes Wasser fertig!« Mit wilden Flüchen über die Wohnung, über das Haus und überhaupt über ganz Wilmersdorf stampfte Carla zurück ins Bad. Natürlich ließ ich die Kaffeemaschine sofort Kaffeemaschine sein.

      Nachdem ich Carla das Wasser gebracht hatte, öffnete ich Alex’ Zimmertür, um ihn zu wecken. Der Raum ächzte unter einer unbeschreiblichen Gestanksglocke, als wären die fünf Stofftiere, die er auf der Rückenlehne seines schwarzen Ausziehsofas aufgereiht hatte, über Nacht zu einer Ziegenherde mutiert. Ich rang nach Luft. »Guten Morgen, Alex. Aufstehen. Und öffne bitte alle Fenster!«

      Alex grunzte irgendetwas, ich zog mich eilends zurück und schmiss die Tür zu. An Frühstück war heute nicht zu denken, nur eine schmale Stulle beim Frühstücksfernsehen im Wohnzimmer.

      »Na geht doch«, sagte ich schmunzelnd, als ich in die Küche kam. Mit dem Topf heißem Wasser hatte Carla mehr aus sich herausgeholt, als ich ihr zugetraut hatte. Warum bestand sie eigentlich jeden Morgen auf eine Dusche? Sie stand, den Becher mit fettarmem Joghurt in beiden Händen haltend, vor der schlürfenden Kaffeemaschine und lächelte schon wieder.

      Das anthrazitfarbene Baumwollkleid hätte sie auch problemlos auf eine Beerdigung anziehen können, dachte ich, hoffentlich beerdigte sie nicht in ein paar Stunden ihren Traum von einer schillernden Karriere im Berliner Schuldienst. Carla schien den Tag aber wenigstens mit dem Habitus einer Fachbereichsleiterin beginnen zu wollen. Ich gab ihr einen flüchtigen Kuss, murmelte etwas von viel Glück und Daumendrücken und verabschiedete mich ins Büro.

      Meine eigene Karriere begann vor knapp zwanzig Jahren. Wirklich aufregend war sie zu keiner Zeit, aber mir fiel nichts Besseres ein. Es gab verschiedene Möglichkeiten, neben dem BWL-Studium, das ich nach der Lehre zum Bürokaufmann begonnen hatte, an das nötige Kleingeld zu kommen. Fahrerjobs auf der Taxe oder auf dem Lieferwagen, Malochen auf dem Bau oder in Gärtnereien, oder…Leuten Bausparverträge aufschwatzen. Ich entschied mich für die letztere Option nicht zuletzt deswegen, weil mich die schneidigen Berater, die erst zu meinen Eltern und später auch zu mir nach Hause kamen und mir meinen ersten Bausparvertrag mit einer horrenden Sparsumme und einer dementsprechenden Bearbeitungsgebühr andrehten, total fasziniert hatten. Vor allem aber hinterließen sie bei mir neben den Vertragskopien mit imposanten Unterschriften den Eindruck, dass sie mit ihrem eloquenten Gefasel viel Geld verdienen würden. Ein Kommilitone, der bei einer Bausparkasse tätig war, verschaffte mir den ersten Nebenjob, der dann fast übergangslos mein Hauptjob wurde. Es gab Zeiten, da wollten alle Bausparverträge. Wegen der staatlichen Förderung und den Prämien. Als Bausparverträge aus der Mode gerieten, kam zum ersten Mal die Phase, wo ich mich richtig bewegen musste. Alterssicherung durch Lebensversicherungen war jetzt der Hit. Natürlich war ich dabei. Lebensversicherungen hatten den Vorteil, dass sie, im Gegensatz zu Bausparverträgen, nicht so kompliziert zu erklären waren. Die Funktion von Bausparverträgen verstand ich lange Zeit selbst nicht. Zu Beginn musste ich häufig in meinen Unterlagen nachschauen, später hatte ich Ansparsummen, Zinssätze, Zuteilungen und Tilgungen im Kopf. Entscheidend war immer, die Bearbeitungsgebühr zu verschweigen, aber es beruhigte meine Skrupel, weil das ja im Kleingedruckten nachzulesen war, auch wenn man es kaum entziffern konnte. Überhaupt ließ sich rhetorisch einiges bewegen. Leider war das Im Nachhinein betrachtet der entscheidende Grund, weshalb ich es bis zuletzt nicht zu einem wirklichen Top-Berater gebracht hatte. Und dass, obwohl mir die Wichtigkeit des persönlichen Auftretens bewusst war. Seriosität und zur Schau gestellte Kompetenz, am besten einen leichten Hang zum Biederen. Sakko, Schlips, schwerer Aktenkoffer und großer Taschenrechner.

      Dabei war die Ausübung eines halbwegs ernsthaften Berufes, wie den eines Bausparberaters, gar nicht vorgesehen, jedenfalls nicht von mir selbst. Lange Zeit fühlte ich eine ausgeprägte musikalische Ader in mir und hatte mehr eine Karriere auf Bühnen als in Wohnzimmern im Kopf. Rockmusik war mein Thema schlechthin, Gitarrist einer Rockgruppe im Speziellen. Meinem ersten Auftritt durfte meine Mutter schon beiwohnen, als ich noch mein kleines Zimmer im Dachgeschoss unseres Reihenhauses in Horn hatte. Sie machte sich, wie sie mir später erzählte, zum ersten Mal ernsthafte Gedanken um meine psychische Disposition, nachdem sie mich unfreiwillig dabei ertappte, wie ich mit dem Chromrohr ihres Staubsaugers auf den Knien Jimmy Page’s Gitarrensolo in Stairways to heaven mitspielte. Angeblich hatte ich sie an den Rand der Ohnmacht gebracht, allerdings nicht vor Begeisterung, wie die meist weiblichen Fans, die in meinem Traum direkt vor mir an der Bühne klebten, sondern, weil ich eine riesige Schramme in der Tür des Schleiflackschrankes hinterlassen hatte. Gut achtzehn Jahre später fegte ich unter ähnlichen Umständen, es war ebenfalls mit einem Staubsaugerrohr und diesmal bei einem Gitarrensolo von Mark Knopfler, Carlas thailändischen Holzbuddha aus dem Wohnzimmerregal. Einer der bedeutungsvollen, aufrecht gestellten Finger war abgebrochen und leitete eine einwöchige Ehekrise zwischen uns ein.

      Obwohl ich gerade einmal eine Gitarre von einer Geige unterscheiden konnte und nicht einen einzigen Griff beherrschte, war mein erstes Instrument gleich eine Strom-Gitarre. Klotzen statt kleckern. Ich hatte sie einem entfernten Bekannten für 175 Mark abgekauft, der sie zwei Jahre lang nicht loswurde und sich riesig über dieses unverhoffte Geschäft freute. Vor dem Spiegel