Janina Hoffmann

Sie war meine Königin


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„Oder geht es hier nicht der Reihe nach? Wir haben außerdem nicht viel Zeit.“

      War das peinlich. Hier waren alle so nett, und meine Mutter machte alles kaputt.

      Angelina legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Mach dir keine Sorgen. Deine Kinder kommen gleich dran. Wir haben sie nicht vergessen.“ Sie lachte wieder.

      Ich sah den unentspannten Gesichtsausdruck meiner Mutter im Spiegel. Sie war bemüht, ihre Fassung nicht zu verlieren.

      „Emily kümmert sich jetzt um dich“, teilte Angelina meiner Mutter mit. „Und ich schneide die Haare von deine beiden süße Kinder.“ Sie forderte Melissa und mich mit einer Handgeste auf, zu ihr zu kommen.

      Meine Schwester las längst wieder in ihrem Ponyhof-Comic.

      „Melissa“, machte ich sie ungeduldig aufmerksam. „Es geht los.“ Aus einem mir nicht erklärlichen Grund konnte ich es nicht erwarten, mir von Angelina Angelo die Haare schneiden zu lassen.

      „Ja, gleich“, gab Melissa zurück, ohne von ihrem Heft aufzusehen.

      „Wie du willst.“ Ich ließ meine Schwester zurück und begab mich zu Angelina, die neben einem der Friseurstühle stehend auf mich wartete.

      „Such dir einen schönen Platz aus, bambino.“

      Ich musste nicht lange überlegen und wählte den Stuhl, der am weitesten von meiner Mutter entfernt war. Nachdem ich mich gesetzt hatte, pumpte Angelina den Stuhl mit einem Fußpedal ein Stück höher. Als sie mir den Friseurumhang umlegte, beugte sie sich zu mir herab und flüsterte in mein Ohr: „Du hast extra diesen Stuhl gewählt, bambino, nicht wahr? Weil du nicht bei deine grimmige Mama sitzen willst.“

      Da roch ich zum ersten Mal Angelinas wunderbares Parfum, nach dem anscheinend der gesamte Salon duftete. Es war ein leichter Zitronenduft, ganz anders als dieses schwere teure Parfum mit der süßlichen Note, das meine Mutter benutzte.

      Angelina wartete keine Antwort ab, sondern befestigte den Umhang in meinem Nacken. Mit ihrer Hand griff sie sanft in mein Haar. „Du hast wunderbare Haare“, sagte sie so leise, dass es meine Mutter nicht hören konnte. „So dick und kräftig. Hat dir das schon einmal jemand gesagt?“

      Ich schüttelte den Kopf. „In der Schule nennen sie mich wegen meiner Haarfarbe ‚Karottenkopf‛“, gestand ich. Ich wusste selbst nicht, wieso ich Angelina das erzählte. Sie war doch praktisch eine Fremde für mich.

      „Die anderen sind dumm, wenn sie das sagen“, versuchte sie, mir Mut zu machen. „Du hast wunderbare Haare. Erdbeerblond nennt man deine Haarfarbe. Wusstest du das? Sie ist etwas ganz Besonderes.“

      Wieder schüttelte ich den Kopf.

      „Mein Junge“, sie sprach das U langgezogen aus, „wird an der Schule auch geärgert, weil er schiefe Zähne hat und eine dicke Brille. Vielleicht wird es an seiner neuen Schule nach den Ferien ja besser.“

      „Du hast einen Sohn?“, fragte ich erstaunt. Mir kam Angelina viel zu jung vor, um schon ein Kind im Schulalter zu haben.

      „Oh ja“, bestätigte sie. „Er ist neun.“

      „Ich bin auch neun“, erwiderte ich schnell, als wäre das eine bedeutsame Gemeinsamkeit.

      „Dann geht ihr nach den Sommerferien ja vielleicht in dieselbe Klasse“, mutmaßte Angelina. „Guido kommt in die vierte.“

      „Ich auch.“

      „Vielleicht werdet ihr Freunde werden.“ Angelina nahm einen Kamm und fuhr damit vorsichtig durch mein Haar. „Wie kurz soll es werden?“, wechselte sie das Thema.

      Normalerweise hätte ich jetzt gesagt, es könne ordentlich etwas abgeschnitten werden, damit ich erst einmal wieder monatelang nicht zum Friseur musste. Doch ich wollte möglichst bald wieder hierherkommen. „Nicht so viel“, antwortete ich daher vage.

      „Ich weiß aber nicht, ob deine Mama damit einverstanden ist, wenn ich kaum etwas abschneide“, flüsterte mir Angelina verschwörerisch zu.

      „Das ist mir egal“, gab ich ungewohnt rebellisch zurück.

      „Mir auch“, pflichtete mir Angelina lachend bei.

      Nach dem Schneiden hielt sie einen Handspiegel hinter meinen Kopf, damit ich das Ergebnis im Spiegel vor mir betrachten könnte. In der Tat sah mein Haar noch fast genauso aus wie vorher. Höchstens zwei Zentimeter fehlten.

      „Es sieht toll aus“, lobte ich Angelinas Werk. „Vielen Dank.“

      „Für dich immer gern“, gab sie freundlich zurück.

      „Hoffentlich besuchst du unseren Salon bald wieder.“

      Aus mir nicht erklärlichen Gründen begann mein Herz bei diesen Worten, etwas schneller zu schlagen. „Ja, ...“, stotterte ich. „Das hoffe ich auch.“

      Angelina nahm mir den Umhang ab und senkte die Stuhlhöhe. „Und jetzt ist deine sorella an der Reihe.“

      Auf dem Rückweg vom Friseur wollte ich über Angelina Angelo nachdenken, doch Melissa hinderte mich mit ihrem ständigen Geplapper über den Inhalt des Ponyhof-Comics, den sie soeben gelesen hatte, daran. „Also, da waren jedenfalls Mädchen, die wollten die Ponys stehlen“, fuhr meine Schwester mit ihrem Bericht fort. „Und dann haben sie ...“

      Es fiel mir schwer, dem zu folgen, was Melissa von sich gab. Ich dachte an Angelina Angelo. Ihr schönes Gesicht. Ihr herzliches Lachen. Ihre braunen Augen. Ihre wunderbaren Locken. Den Zitronenduft ihres Parfums.

      „Constantin!“, holte mich meine Schwester in die Gegenwart zurück. „Hörst du mir überhaupt zu?“

      Als ich sie nur verständnislos ansah, wandte sie sich an unsere Mutter. „Hörst du mir denn wenigstens zu, Mama?“

      „Natürlich, Schatz“, gab diese mit einem wie immer etwas gezwungen wirkenden Lächeln zurück. Es war so anders als das Lächeln von Angelina. Angelina ... Was für ein schöner Name.

      „Du hättest ruhig mehr abschneiden lassen können, Constantin“, teilte mir meine Mutter unzufrieden mit, als wir unser Haus betraten. „Man sieht kaum, dass du beim Friseur warst. Aber die Friseurinnen in dem Salon waren auch so was von unfähig. Espresso servieren ist anscheinend das Einzige, was die da können. Das war das erste und letzte Mal, dass wir dort waren.“

      Zwar wusste ich, dass es meiner Mutter in dem Salon „Engelshaar“ nicht gefallen hatte. Das hatte sie gegenüber Emily auch noch einmal dadurch deutlich gemacht, dass sie beim Bezahlen nicht einen Pfennig Trinkgeld gegeben hatte. Doch war es ein Schock, das jetzt aus ihrem Mund zu hören. Ich wollte doch Angelina Angelo so schnell wie möglich wiedersehen. „Kann ich mit dem Rad zum Angeln an den See fahren?“, bemühte ich mich, meine Enttäuschung vor meiner Mutter zu verbergen.

      „Constantin, wie oft haben wir schon darüber gesprochen“, erwiderte meine Mutter in lustlosem Tonfall, während sie ihren Trenchcoat an die Garderobe hängte. „Ich will nicht, dass du dich in der Gegend herumtreibst.“

      „Aber die anderen ...“, setzte ich protestierend an.

      „Was die anderen machen, ist mir egal“, unterbrach meine Mutter mich. „Du kannst einen deiner Freunde nach Hause einladen. Oder ich bringe dich zum Spielen zu einem deiner Freunde. So, wie wir es bisher gemacht haben.“

      „Aber ich bin kein Baby mehr!“, schrie ich. Ich hatte das starke Bedürfnis, meiner Verärgerung darüber, dass mich meine Mutter von Angelina fernhalten wollte, Luft zu machen. „Wie du mich behandelst, ist echt zu Kotzen! Die anderen lachen mich deswegen schon aus!“

      „Constantin!“, wies mich meine Mutter zurecht. „Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen! Das werde ich deinem Vater erzählen, wenn er heute Abend nach Hause kommt.“

      „Als ob Papa das interessiert!“, gab ich in demselben störrischen Tonfall wie zuvor zurück. „Als ob er dir überhaupt zuhört, wenn du ihm was