Janina Hoffmann

Sie war meine Königin


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und Guido, teilweise zusammen mit Sabrina, teilweise mit anderen Personen, die ich nicht kannte.

      „Geht schon einmal auf den Balkon“, forderte uns Angelina auf. „Ich mache das Eis in der Küche fertig.“

      Auf den Balkon gelangten Guido und ich durch das kleine Wohnzimmer. Ich war es bereits gewohnt, dass die Zimmer anderer Leute kleiner waren als die in unserem Haus, aber dieses Wohnzimmer war auch im Vergleich zu denen in den Häusern meiner Schulkameraden winzig. Es bot gerade einmal Platz für ein braunes Sofa mit zwei dazupassenden Sesseln, einen Couchtisch, einen schmalen Schrank mit Glasfront und eine Kommode, auf der ein Fernseher stand. Dennoch wirkte der hell tapezierte Raum, nicht zuletzt wegen der vielen Bilder, die auch hier an den Wänden hingen, und der kleinen Porzellanfiguren, die überall herumstanden, sehr gemütlich.

      Auch der Balkon hatte eine nur kleine Fläche, die fast komplett von einem runden weißen Tisch und vier Stühlen eingenommen wurde. An der Balkonbrüstung waren mehrere Blumenkästen befestigt, die farbenfroh bepflanzt waren. Die Aussicht über die umliegende Umgebung war fantastisch, und ich blieb einen Moment lang stehen, um sie zu bewundern, während Guido schweigend am Tisch Platz nahm.

      „Na, was sagst du, Constantin?“, hörte ich auf einmal Angelina hinter mir fragen.

      Schnell wandte ich mich ihr zu, als sie gerade im Begriff war, ein Tablett, auf dem sich drei mit Eiscreme gefüllte Glasschalen samt Löffeln befanden, auf dem Tisch abzustellen.

      „Das ist ein toller Ausblick“, sagte ich.

      „Ja, deshalb haben wir die Wohnung auch genommen, obwohl sie ziemlich klein ist. Wir haben leider nicht so viel Geld, um uns eine große Wohnung leisten zu können. Aber wir fühlen uns hier wohl. Nicht, Guido?“

      Guido nickte und nahm sich eine der Eisschalen.

      „Komm, Constantin, nimm dir dein Eis. Und dann erzähle Guido und mir ein bisschen davon, wie du so wohnst.“

      Ich setzte mich wie Angelina zu Guido an den Tisch und hatte keine Ahnung, was ich den beiden berichten konnte. „Wir wohnen in einem weißen Haus“, sagte ich schließlich. „Es ist ziemlich groß. Eine Haushälterin macht es jeden Tag sauber. Und einen Gärtner haben wir auch. Weil der Garten auch groß ist.“

      Ich fand das, was ich gerade von mir gegeben hatte, ziemlich dämlich, doch Angelina erwiderte fasziniert: „Dio mio, dann seid ihr reiche Leute, ja?“

      Ich nickte und nahm einen Löffel von der Eiscreme. Es war jeweils eine Kugel Vanille-, Schokoladen- und Erdbeereis und schmeckte schön cremig.

      „Und was macht deine Mama den ganzen Tag, wenn andere für euch saubermachen?“, wollte Angelina wissen.

      „Sie trifft sich mit anderen im Gemeindehaus, um sich mit ihnen über wichtige Sachen zu unterhalten. Und sie sammelt oft Geld für arme Leute“, erklärte ich. „Und sie plant, wie die Zimmer in unserem Haus umdekoriert werden sollen.“

      „Aha.“ Angelina schien zutiefst beeindruckt. „Und dein Papa verdient das viele Geld?“

      Ich nickte. „Er arbeitet als Anwalt in der Stadt. Er ist nicht oft zu Hause.“

      „Guidos Papa ist gar nicht mehr bei uns zu Hause“, berichtete Angelina, und ihre Stimme hatte einen traurigen Unterton. „Er wohnt in eine andere Stadt und hat jetzt eine andere Frau.“

      Ich hielt es für klüger, nicht zu erwähnen, dass mein Vater auch andere Frauen hatte und meine Mutter damit zur Verzweiflung trieb.

      „Ich habe einen Stiefbruder und einen Halbbruder“, sagte Guido.

      „Guidos Stiefbruder ist der Sohn von der Frau, die Guidos Papa geheiratet hat“, erklärte Angelina und kostete nun ebenfalls von ihrem Eis. „Und zusammen haben sie auch noch einen kleinen Sohn bekommen. Das ist Guidos Halbbruder.“

      „Mein Stiefbruder hat schon ein Motorrad“, ließ mich Guido wissen. „Neulich durfte ich da sogar mitfahren.“

      „Willst du Fotos von unsere Familie sehen?“, bot Angelina an.

      Ich nickte.

      Sie stand auf und kehrte kurz darauf mit zwei Fotoalben zurück. Dabei war ich davon ausgegangen, dass sämtliche Familienbilder bereits an den Wänden der Wohnung hingen. Angelina stellte das Tablett, auf dem sie die Eisbecher serviert hatte, auf den Boden und schlug eines der auf dem Tisch liegenden Fotoalben auf. Die ersten Bilder waren schon älter, teilweise noch schwarzweiß, und zeigten Angelinas Eltern. Sie sei mit fünf Geschwistern aufgewachsen, verriet sie mir.

      Angelina wusste zu jedem Bild eine Geschichte zu erzählen. Die Zeit verging dabei im Nu. Zwischendurch klingelte einmal das Telefon im Wohnzimmer. Angelina verließ den Balkon und schloss die Balkontür hinter sich, als sollten Guido und ich nicht hören, was gesprochen wurde. Als sie zurückkehrte, machte sie einen enttäuschten Eindruck.

      „Wer war es denn?“, fragte zum Glück Guido, denn mich interessierte es ebenfalls, aber es wäre mir zu neugierig vorgekommen, mich selbst danach zu erkundigen.

      „Das war Harry. Er kann heute doch nicht kommen.“

      Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wer dieser Harry war, doch seine Absage schien Guido alles andere als traurig zu stimmen. Er lächelte zufrieden und zeigte dabei seine Zahnspange. Angelina kommentierte die Reaktion ihres Sohnes jedoch nicht und widmete sich wieder den Familienfotos.

      Nachdem wir das erste Fotoalbum durchgeblättert hatten, sagte sie zu mir: „Ich glaube, die anderen Bilder heben wir uns für deine nächste Besuch auf. Es ist schon spät. Deine Eltern warten sicher schon auf dich.“

      Da fiel mir siedend heiß Melissa ein, die ich vor Stunden am See zurückgelassen hatte. Schnell verabschiedete ich mich, versprach, nach dem Frankreich-Urlaub wieder zum Friseursalon zu kommen und verließ die Wohnung. Mein Fahrrad stand samt Badetasche zum Glück noch da, wo ich es im Hausflur abgestellt hatte.

      Eilig machte ich mich, nachdem ich mit dem Aufzug endlich im Erdgeschoss angekommen war und das Haus verlassen hatte, mit dem Fahrrad auf zum See. Dabei wäre es schon höchste Zeit gewesen, auf kürzestem Wege nach Hause zu fahren. Der See lag etwas abseits von der Straße hinter einigen Bäumen. Ich machte mir noch die Mühe, bis ans Wasser heranzufahren, obwohl ich schon ahnte, dass sich dort niemand mehr aufhielt. Und richtig: Der See sowie das Ufer waren menschenleer. Sicher war Melissa zusammen mit ihren Freundinnen schon vor einer Weile nach Hause gefahren. Das hätte ich Blödmann mir auch gleich denken können. So hatte ich nun unnötigerweise einen Umweg auf mich genommen, der mir den Ärger meiner Eltern einbringen würde.

      Ich geriet bei der Geschwindigkeit, die ich nun auf der Rückfahrt an den Tag legte, etwas außer Atem, doch es ging um jede Minute. Jede Minute, die ich früher zu Hause ankäme, würde die Panik, die meine Mutter jetzt sicher schon empfand, mildern, redete ich mir ein. Dann fiel mir ein, dass Samstag und mein Vater daher vermutlich sogar zu Hause war. Es würde ein Donnerwetter geben, egal wie sehr ich mich beeilte. Das Hochgefühl, das ich bei dem Besuch bei Angelina Angelo empfunden hatte, wurde von einem unguten Gefühl verdrängt, das sich nun in meinem Magen breitmachte und mich wünschen ließ, ich hätte das Eis nicht gegessen.

      Bei meiner Ankunft zu Hause stand zum Glück weder meine Mutter noch mein Vater an der Straße. Ich wertete das als mögliches Zeichen, dass sich ihre Aufregung noch in Grenzen hielt. Ich stieg von meinem Fahrrad und klingelte an der Pforte, da sich diese von außen nicht öffnen ließ. Der Summer erklang ohne Nachfrage, und ich schob mein Fahrrad an der Hauswand entlang bis zur breiten Garage, die bis zu drei Wagen beherbergte und in deren Nebenraum ich es abstellte. Der Sportwagen meines Vaters fehlte, also war er wieder einmal unterwegs. Allerdings wunderte es mich schon, dass auch meine Mutter mich noch nicht an der Haustür erwartete. Daher klingelte ich dort erneut. Es dauerte einen Moment, bis die Tür durch Frau Hubertus, die Haushälterin, geöffnet wurde. „Hallo Constantin“, begrüßte sie mich. „Du bist gerade rechtzeitig zum Abendessen zurück. Deine Eltern haben sich kurzfristig mit Bekannten in einem Restaurant verabredet, soll ich dir und Melissa ausrichten.“ Ein Stein fiel mir vom Herzen. So würde mir die Strafpredigt