Manuel Rieger

Angst ist nur ein Gefühl


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Wer konnte das sein? Waren es schlechte Nachrichten? Meist denkt man ja nicht gerade an die positiven Dinge, die in so einer Situation passieren können. Aber diesmal spürte ich ein ganz aufgeregtes kribbeln, als ich die Nummer sah. Während ich bezahlte, gab ich die Nummer in eine Internetsuchmaschine ein. Das Ergebnis war, dass es sich um eine jemenitische Handynummer handelte. Wem der Anschluss gehörte, konnte ich allerdings nicht herausfinden. Meine Aufregung stieg weiter. Alte Kollegen und Freunde von mir, mit denen ich in Österreich und dem benachbarten Ausland im Personenschutz gearbeitet hatte, waren seit einem guten Jahr im Jemen.

      Mein erster Gedanke galt der Unversehrtheit meiner Kollegen. „Hoffentlich war ihnen nichts passiert!“ Warum aber sollte man mich anrufen, wenn den Jungs etwas passiert wäre? Die Gedanken kreisten in meinem Kopf. Leichte Angst, Aufregung und Neugierde wechselten sich ab. Und dann kam dieses Gefühl, ein wundervolles, aufregendes Gefühl. Ich wagte es zuerst gar nicht, so weit zu denken. Es kam mir fast lächerlich vor. Trotzdem stellte ich mir dann, aufgeregt wie ein Kind vor Weihnachten, die Frage, ob sie möchten, dass ich auch in den Jemen komme.

      Ich war vor knapp sechs Jahren aus der Sicherheitsbranche ausgestiegen. Ich hatte meine Matura der Handelsakademie nachgemacht und ein Bachelorstudium in Betriebswirtschaft absolviert. Aber der alte Traum, einmal Personenschutz in einem Krisengebiet zu machen, alles was man jemals gelernt und gehört hatte abzurufen und anzuwenden, war noch immer in meinem Kopf. Mein Herz schlug wie wild, als ich die Taste drückte, um die Nummer zurück zu rufen. Und tatsächlich, es war ein alter Kollege und Freund, der am anderen Ende der Leitung war. Er kam sehr schnell zur Sache. Der Jemen war im Umbruch, es wurde von Tag zu Tag gefährlicher und sie würden das Personenschutzteam um einen Teamleiter aufstocken. Mein Herz schlug wie verrückt. Tatsächlich kam die Frage: „Hättest du Lust, diesen Job zu machen?“.

      Ich fühlte mich wie in einem Traum. Es war unvorstellbar. Dieser Anruf und diese Frage hätten mich beinahe laut jubelnd in die Höhe springen lassen. Beschwingt sagte ich zu und ging zu meinem Auto. Aber da kamen natürlich Zweifel auf und mir wurde bewusst, dass viel Vorbereitung auf mich warten würde, sollte ich den Job bekommen. Denn natürlich gab es mehrere Bewerber. Ich schickte meine Bewerbung an die entsprechende Stelle und musste noch einige nervenaufreibende Wochen überstehen. Meiner damaligen Freundin sagte ich von all dem nichts. Ich wollte sie nicht unnötig aufregen. Genau in der Woche, als ich in Regensburg meine letzte Studienwoche absolvierte, wollten mir meine Ex-Kollegen und lieben Freunde Bescheid geben. Es gab noch viele Dinge zu klären. Die anderen Bewerber, das genaue Setup für die Aufstockung, die Freigabe der Europäischen Union und die Zustimmung ihrer Exzellenz, der Botschafterin der Europäischen Union für den Jemen. Ich erzählte so gut wie niemandem von diesem Anruf. Eigentlich erzählte ich gar niemandem davon. Wir fuhren bester Laune am 2. Dezember 2013 nach Regensburg. Unsere ganze Studiengruppe freute sich auf diese wundervolle Woche voller Wissen, Spaß und auch Party. Regensburg im Advent, ein Traum! Die Weihnachtsmärkte, die Stadt, die Menschen, unsere Studiengruppe. Wir hatten riesigen Spaß und feierten auch nicht zu knapp. Eigentlich saßen wir die gesamte Woche recht schwer angeschlagen von unseren Partys im Unterricht.

      Meine Studienkolleginnen und Studienkollegen waren die einzigen, die ich in meinen Anruf und die Jobchance einweihte. Bei so manchem Bier wurde darüber geredet, gelacht, aber auch die Sorgen über diesen Auftrag besprochen. Die Woche verging schließlich, ohne den heiß ersehnten Anruf. Die tolle Zeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen lenkte mich meist von den Gedanken an den Anruf ab. Dennoch war ich enttäuscht, ja fast ein wenig traurig. Ich dachte mir nur: „Naja, es war eine Chance!“ Wahrscheinlich hatte man sich für jemand anderen entschieden oder der Auftrag ist eben auf diese Art nicht erweitert worden. Trotz des Gefühlschaos genoss ich die Woche sehr. Die tolle Zeit mit meinen Mitstreitern verging wie im Fluge.

      Am vorletzten Tag, am Freitag, den 6. Dezember, gingen wir wie üblich, immer noch ein wenig verkatert vom Vortag, zum Mittagessen in die Mensa der Fachhochschule. Über dem Eingang zur großen Mensa hing ein ebenso großer Fernseher. Auf diesem liefen die Nachrichten. Als wir spaßend diesen Weg gingen, stieß mich plötzlich der Studienkollege neben mir an, zeigte mit dem Finger auf den großen Bildschirm über dem Eingang und meinte: „Schau dir das einmal an!“. Ich blickte hin, sah Chaos, Menschen in Uniformen, Staub, Interviews und dann den Text darunter: zwei deutsche Ärzte bei Terroranschlag im Jemen getötet.

      Ich blieb wie angewurzelt stehen. Die Studentinnen und Studenten strömten links und rechts an mir vorbei, doch ich hatte nur noch den Bildschirm im Blick. Auch meine Kolleginnen und Kollegen gingen zum Essen. Ich sah mir den Bericht an. Es herrschte das absolute Chaos. Es wurde berichtet, dass es eines der furchtbarsten und brutalsten Attentate überhaupt war, welches je im Jemen stattgefunden hatte. Die Bilder zogen mich in ihren Bann. Langsam und nachdenklich schlenderte ich, in meinen Gedanken verloren, weiter in die Mensa. Insgeheim wusste ich, dass das auch etwas bezüglich meines Jobangebotes verändert hatte. Wir genossen die restlichen zwei Tage und fuhren am Samstag in der Nacht bestens gelaunt nachhause. Ich war ein wenig nachdenklich, denn es hatte keinen Anruf mehr gegeben.

      Am Montag darauf ging ich zur Arbeit. Ich dachte gar nicht mehr an das Jobangebot. Es war der 9. Dezember 2013. Wir hatten viel Spaß bei der Arbeit, in dem kleinen Handyshop, in dem ich nebenbei jobbte. Ich absolvierte parallel zur Betriebswirtschaft auch ein Pädagogikstudium und war im Sozialbereich tätig. Als mein Telefon am Nachmittag läutete, waren mein Kollege und ich gerade am Herumalbern mit ein paar Kunden. Ich dachte nicht mehr an das Jobangebot im Jemen. Ich vermutete, der Anruf sei von meiner damaligen Lebensgefährtin. Lachend schaute ich auf das Handy, um den Anruf anzunehmen, doch plötzlich verzog sich mein Gesicht. Es war nicht meine Lebensgefährtin, es war die Nummer aus dem Jemen. Mein Herz pochte wie wild. Ich hatte nicht mehr mit diesem Anruf gerechnet. Zögernd hob ich ab und entfernte mich ein paar Schritte von meinem Kollegen und den Kunden.

      „Tut mir leid, dass ich mich erst heute melde. Bei uns überschlägt sich alles. Du hast vielleicht vom Anschlag gehört. Hast du zuhause schon alles geklärt? Ronny fliegt morgen heim. Er könnte sich am Mittwoch mit dir treffen. Bis Donnerstag um 12 Uhr brauchen wir deine Zusage. Ich buche dir dann deine Flugtickets um 14 Uhr am Donnerstag. Den genauen Tag deiner Anreise sagen wir dir noch. Es wird noch vor Weihnachten sein“, teilte mir mein Freund mit. Das war am 9. Dezember 2013. „Ja, ok, dann treffe ich mich mit Ronny am Mittwoch“, brachte ich noch irgendwie heraus. „Gut, besprecht das Ganze. Wir wollen dich hier haben. Wir brauchen dich hier. Aber das Ganze ist keine leichte Mission. Das hier ist ernst. Also überleg es dir gut.“.

      Ich legte auf. Alles drehte sich. Die Ereignisse überschlugen sich. Ich ging geistig abwesend zurück zu meinem Kollegen. „Alles in Ordnung?“, fragte er besorgt. „Ja“, gab ich kurz zurück. „Ich glaube, wir müssen reden. Auch mit dem Chef.“ Was in den nächsten zwei Tagen folgte waren Gespräche mit meinen Chefs, im Handy-Shop und im Sozialbereich. Niemand legte mir Steine in den Weg. Doch erst dann kamen die schwierigeren Gespräche. Ich hatte für den Studienabschluss noch zwei Wochenenden mit Anwesenheit zu absolvieren. Eines davon könnte ich absolvieren, wenn ich im Februar auf Urlaub zuhause wäre. Das Wochenende im Jänner allerdings nicht. Also begannen schwierige Telefonate mit dem Professor, den Organisatoren und der Fachhochschule. Letztendlich kam man zum Entschluss, dass meine Noten ausgezeichnet waren, meine Bachelorarbeit schon benotet wurde und man mir die Chance auf diese Erfahrung nicht nehmen wollte.

      Das Gespräch mit meiner Lebensgefährtin war jedoch das Schlimmste. Seit Oktober wusste ich von der Möglichkeit. Nie hatte ich etwas gesagt. Einfach, weil die Wahrscheinlichkeit, dass es wirklich passieren würde, so gering war. Ich wollte sie nicht unnötig aufregen, wenn das Ganze am Ende dann nicht zustande gekommen wäre. Also schrieb ich ihr eine Nachricht, dass wir am Abend reden müssten. Sie rief mich nur wenige Minuten, nachdem ich die Nachricht abgeschickt hatte an und fragte, was los sei. Ich versuchte sie weiter auf den Abend zu vertrösten. Aber natürlich war sie zu erschrocken. Sie wollte unbedingt wissen, was es denn so Wichtiges zu besprechen gab und warum wir das jetzt nicht besprechen konnten. Nachdem sie nicht locker lies, erzählte ich ihr kurz vom Jobangebot aus dem Jemen. Sie wirkte fast erleichtert, scheinbar hatte sie sich etwas noch viel Schlimmeres vorgestellt. Natürlich war sie nicht begeistert, aber wir sprachen am Abend in Ruhe über die Situation. Über das Für und Wider, die Chancen und Risiken. Sie