Manuel Rieger

Angst ist nur ein Gefühl


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wollte. Und dass ich festentschlossen war, in den Jemen zu fliegen. So willigte auch sie ein.

      Als ich mich am Mittwoch mit meinem alten Kumpel Ronny traf, war er angespannt. Er versuchte ruhig und lässig zu wirken, wie immer, aber er war jetzt vier Monate durchgehend weg gewesen und wirkte müde. Er erzählte mir von der Mission. Von unseren Aufgaben und der Botschafterin. Er teilte mir mit, dass vier neue Teammitglieder kommen würden, davon drei neue Personenschutzteamleiter, weil sich der ganze Auftrag erweitert hätte und die Gefahr massiv gestiegen wäre. Ich sollte einer der drei Personenschutzteamleiter sein. Ich wäre der Älteste der drei neuen Personenschützer. Und ich wäre jener mit der ruhigsten Art, wenn es stressig wird. Genau so jemand, den sie jetzt dringend brauchen würden.

      Meine große Stärke war es schon immer, in hitzigen Situationen einen ruhigen Kopf zu behalten und eine große Ruhe auszustrahlen. Im Dienst war ich, egal wie hart, gefährlich oder stressig es zuging, immer ruhig, gelassen und sachlich. Natürlich hatte ich auch Angst, aber dienstlich gab es einfach eine Aufgabe, die zu erfüllen war. Ob ich Angst hatte oder nicht, spielte dabei keine Rolle. Und man merkte mir diese Angst kaum an. Ich war immer scheinbar ruhig und hatte die Kontrolle. Meine zweite große Stärke war es, sehr sympathisch auf die meisten Menschen zu wirken. Ich hatte und habe einfach die Gabe, mich mit Akademikern, Professoren, hohen Personen aus Wirtschaft und Politik genauso unterhalten und auf eine Ebene finden zu können wie mit einem Obdachlosen oder Hooligan. Und genau das brauchte das Team jetzt. Jemanden, der auch in Stresssituationen ruhig bleibt, Ruhe ausstrahlt, gute Entscheidungen trifft. Und außerdem mit der Chefin, also der Botschafterin höchstpersönlich, gut auskommen würde.

      Ronny schilderte mir aber nicht nur die Schattenseiten. Er sagte mir auch, dass die Menschen im Jemen sehr offen wären, freundlich. Und dass es ein tolles Land wäre. Er zeigte mir Fotos und Videos vom Team, von Einsätzen, vom Training, von Blaulichtfahrten. Dann sah er mich an. „Ich weiß es ist kurzfristig. Du hast 24 Stunden Zeit. Dann musst du zu- oder absagen. Überleg es dir gut. Aber es ist eine riesige Chance.“

      Ich ging nachhause. Es war alles so aufregend. Natürlich hatte ich all die Videos vom Anschlag gesehen. Auch andere Berichte und Videos hatten mir die Jungs geschickt. Beispielsweise von einem Polizisten der GSG9, einem Freund und Kollegen, den man wenige Monate zuvor im Jemen erschossen hatte. Ja, teilweise war das Gefühl mulmig, aber ich hatte nie wirklich Angst.

      Keine 24 Stunden später kam der Anruf. Ich sagte zu und fragte, was nun zu tun sei. „Du packst deine Sachen, meldest dich ab, rufst das Außenministerium an, dass du in den Jemen gehst, genießt noch die verbleibende Zeit mit deinen Hunden und deiner Freundin und schwingst deinen Arsch am 21. Dezember in den Flieger!“, lautete die Antwort.

      In den nächsten Tagen bereitete ich alles vor. Mir war klar, dass ich vielleicht nicht mehr nach Hause kommen würde. Es war leider nicht ganz ausgeschlossen, dass ich mein zuhause nicht mehr wiedersehen würde. Aber diese Chance war so groß, dass ich sie nutzen musste. Ich regelte alle Formalitäten, ging noch ein paar Mal zum Schießen, frischte meine Kenntnisse im Personenschutz auf. Ich las mich in die politische Situation des Jemen und des Nahen Osten ein und studierte die Agenda der Europäischen Union im Jemen. Ich war damals 34 Jahre alt und noch nie zuvor in meinem Leben geflogen. Sogar für die Tätigkeiten im Kosovo, knapp zehn Jahre zuvor, waren wir immer mit Autos oder Bussen gefahren. Damit sollte vermieden werden, dass man anhand der Flugbuchungen schon erkannte, wann wir im Land sind.

      Also war allein die Anreise schon ein riesiges Abenteuer für mich!

      Die Zeit verging wie im Flug, den ich ja noch nie erleben durfte. Trotzdem hatte ich nie wirklich Angst davor. Es war alles aufregend und einfach viel zu erledigen. Vielleicht waren es die ganzen Erledigungen, die es mir gar nicht möglich machten, zu viel über das Ganze nachzudenken. Die Vorfreude war außerdem so groß, dass ich teilweise glaubte, es wäre alles nur ein Traum.

      Meinen Eltern und meiner Schwester sagte ich gar nicht, wohin es ging. Ich sagte Ihnen lediglich, ich würde nach Kairo fliegen, was ja nicht gelogen war, denn von dort ging mein Anschlussflug. In Kairo würde ich mich mit der EU-Botschafterin treffen und sie begleiten.

      Aufgrund der recht großen Medienpräsenz des Jemens zu dieser Zeit, wollte ich sie nicht beunruhigen. Und ich wusste genau was passieren würde, wenn sie das Ziel kannten. Sie würden sofort eine Suchmaschine im Internet anwerfen und viele unschöne Berichte finden. Nach dem Tod meines Bruders vor einigen Jahren wäre die Angst, noch einen Sohn zu verlieren, sicher sehr groß gewesen. Ich wollte ihnen diese Ängste ersparen. Sie sollten sich mit mir freuen und nicht schlaflos vor Angst zurückbleiben. Sie waren auch so schon beunruhigt genug.

      Und so stand ich plötzlich am 21. Dezember 2013 am Flughafen Wien. Eine Umarmung zum Abschluss, ein Foto, wie ich zur Sicherheitskontrolle ging und ich war auf mich alleine gestellt. Normal, so sagten mir die Jungs, würde man immer zu zweit fliegen. Aber ich müsse schon vor den anderen im Jemen sein. Sie wollten, dass ich einige Tage Vorsprung hatte, um mich einzuleben und gleich meine Aufgaben zu übernehmen, damit ich dann die neuen Kollegen unterweisen konnte.

      Ich trank noch einen gemütlichen Kaffee und stieg dann in das Flugzeug. Es war aufregend. Mein Herz schlug schneller, aber ich hatte noch immer keine Angst. Aufregung, ein wenig Anspannung, viel Neugier, aber keine Angst. Mein erster Flug und dann gleich in so ein Abenteuer! Das Flugzeug setzte sich in Bewegung. Ich war so nervös. Was hatten meine Freunde gesagt? Am besten einen Kaugummi nehmen beim Start. Kauen und den Mund offen lassen, wegen dem Druckausgleich. Ich nahm den Kaugummi. Das Flugzeug hielt an. Wir waren in der Warteposition für den Start. Und da passierte es.

      Wie aus dem Nichts, überkam mich die totale Panik. Ich begann zu schwitzen und bekam in dieser Röhre von Flugzeug unglaubliche Platzangst. Mein Puls schoss in undenkbare Höhen.

      Was mache ich hier? Bin ich verrückt? Ich werde schon im Flugzeug sterben! Das ist doch nicht normal! Wie soll dieses Stück Metall fliegen, wenn die Flügel schon beim Fahren so wackeln? ICH MUSS HIER RAUS! Aber wie? Gibt es hier eine Notbremse, wie im Zug? Ich riss an meinem Sicherheitsgurt und wollte nur noch raus. Die Platzangst wurde unerträglich. Mir war so heiß und ich schwitzte ohne Ende.

      Und erst diese dämliche Idee mit dem Personenschutz im Jemen! Ja, ich war natürlich auch die letzten Jahre oft schießen, ich machte bei taktischen Trainings einfach zum Spaß mit und ja, ab und zu machte ich ein paar Aufträge nebenbei. Aber ich bin doch raus aus dem Ganzen! Ich werde dort keine drei Tage überleben! Wie peinlich wird das werden! Alle werden über mich lachen oder mich bemitleiden. „Ja, das war echt dumm von ihm. Da war er lange nicht in dem Bereich tätig und dann macht er sowas. Jetzt hätte er sein Studium fertig endlich, die Welt würde ihm offenstehen und dann macht er sowas.“

      Ich konnte all diese Stimmen in mir hören. Das Flugzeug rollte. Ich überlegte fieberhaft, wie ich hier noch rauskam. Konnte man einen Flieger einfach anhalten, damit ich aussteigen kann? Wie würde es sich anfühlen, wenn die Kugeln meinen Körper durchschlagen, sollte ich den Flug überleben und erst im Jemen getötet werden?

      Ich verfiel in eine unglaublich tiefe Panik. Eine Panik, wie ich sie trotz all meiner Ängste, die ich schon oft hatte im Leben, so noch nie erlebt hatte. Der Pilot drückt derweilen aufs Gas und mir wurde bewusst, dass es jetzt kein Entkommen mehr gab. Ich war kurz davor, in Tränen auszubrechen.

      In diesem Moment geschah etwas, das ich mein ganzes Leben nicht vergessen werde:

      plötzlich, in all meiner vollkommenen Verzweiflung hatte ich das Gefühl, dass mich etwas an meiner linken Schulter berührte, die Schulter, die dem Gang des Flugzeuges zugewandt war. Ich sah mich sogar zur Seite und nach hinten um, ob da jemand war, aber es war niemand zu sehen. Dann hatte ich plötzlich ein vollkommenes Gefühl der Ruhe. Die Panik war weg, von einer Sekunde auf die andere. Ich hatte nur noch das Gefühl, dass alles gut gehen würde. Einfach alles an meinem Abenteuer würde gut gehen. Das Flugzeug hob in dem Moment vom Boden ab und ich konnte meinen ersten Flug unglaublich genießen. In diesem Moment verliebte ich mich ins Fliegen. Sekunden zuvor hatte ich noch die Panik meines Lebens, jetzt war ich ruhig und entspannt. Fliegen sollte die nächsten Jahre meines Lebens sehr häufig vorkommen. Und ich genieße bis zum heutigen Tag jeden