Susanne Sievert

Sternstunde


Скачать книгу

Stiefel zog und mit festen Tritt Bakta ihre Kniekehle traf. Mit einem Grunzen strauchelte Bakta vorwärts, fand aber ihre Gleichgewicht, und gerade als ich es wagte, aufzuatmen, packte der Soldat in Baktas lange rote Haarpracht, zog kräftige ihren Kopf nach hinten und schnitt ihr die Kehle durch.

      So groß und massig ihre Gestalt auch war, so sanft und geräuschlos fiel ihr Körper auf den weichen Erdboden. Ihre funkelnden Augen verloren sich in der Ferne, kein Atem hob ihre Brust, kein Laut floss über ihre Lippen.

      Bakta war tot.

      Wie betäubt starrte ich auf ihren regungslosen Körper.

      Ahm Fen, steh mir bei.

      „Genau aus diesem Grund töten wir euch!“, schrie der letzte Mann triumphierend, und reinigte seinen Dolch an ihrem Mantel, auf dem ich letzte Nacht noch geschlafen hatte. „Bei allen Göttern, ihr seid die Pest!“

      Seine Sprache war mir geläufig. Mein Vater lehrte mich, den Feind besser zu kennen als sich selbst, aber er redete sehr schnell und abgehakt. Ich verstand nur einzelne Worte, aber das Schwert in seiner Hand konnte man in allen Sprachen verstehen. Er benutzte es zum Töten.

      „Bleib ganz ruhig Mädchen, dann ist es auch schnell vorbei.“

      Mit dem Dolch vor seinem Körper schritt er gelassen auf mich zu. Er war sich siegessicher und warum auch nicht? Wer war ich denn? Udelka, die Unvollständige. Der Krüppel, der Zwerg, der nie ein Schwert in den Händen hielt und stattdessen die Tiere versorgen musste, kochen, putzen, sich unauffällig verhalten. Udy, die unter der Decke ihre Geheimnisse der Dunkelheit anvertraute die Zerrissenheit in die Wiege gelegt bekam.

       Sieh dich um.

      Wie?

       Sieh dich um, Kind.

      Die Stimme in meinen Kopf lenkte meine Bewegung. Sie klang wie meine eigene und doch ganz anders. Ich drehte mich um und entdeckte den im Baum steckenden Pfeil. Der Soldat erkannte meine Absicht und stürmte auf mich zu, aber da zog ich den Pfeil bereits aus dem Baum, holte weit aus und stach dem Mann das rechte Auge aus. Kreischend ließ er den Dolch fallen, hielt sich die Hand vor sein Gesicht. Keuchend holte ich ein zweites Mal aus, stach erneut zu. Erblindet wälzte er sich auf dem Boden, heulte in seiner dreckigen Sprache.

      „Miststück. Du verdammtes, elendes Miststück!“

      Auf der Erde lag sein Dolch, mit dem er meine Tante getötet hatte. Ihr Blut haftete an der Klinge und glänzte in der Wintersonne. Obwohl die Kälte durch meine Kleidung pfiff, brannte mein Gesicht von all den geweinten Tränen. Das musste enden. Hier und jetzt. Was sagte Bakta zu mir? Ich sollte leben? Gut, dann musste er sterben.

      Einen Moment später lag die Waffe in meiner Hand, und der Stahl fühlte sich großartig an.

      Mit meinem Fuß drehte ich den Mann auf den Rücken, kniete mich zu ihm hinunter. Seine Miene verzerrte sich und er grunzte hektisch, als ich den Dolch an seinen Hals presste.

      „So stark bist du gar nicht“, flüsterte ich und bemerkte, wie er bei meinen Worten zusammen zuckte. „Du. Bist. Tot.“

      Ich wunderte mich, wie leicht sich seine Haut durchtrennen ließ. Meine Mutter hatte mich von den Kämpfen zwischen unseren Stämmen ferngehalten, und mein Vater nie in Erwägung gezogen, mich mit zu nehmen. Daher hatte ich noch keine Kampferfahrung. Noch nie hatte ich ein Lebewesen getötet. Ich sah, wie es Stück für Stück aus seinen Augen wich. Wie ein Stern in der Nacht, der erlosch.

      Der Soldat, der sich seines Siegs so sicher war, starb durch meine Hand. Ich hatte ihn getötet. Die Erkenntnis traf mich wie eine Faust in den Magen. Überwältigt von Trauer und Entsetzen warf ich den Dolch von mir. Meine Gefühle zerrissen mich, wie eine offene Wunde, in die der Feind immer wieder seinen Finger legte und auf einmal war sie wieder da. Die Stimme, die mich lenkte, meinen Verstand vernebelte, mir Kraft schenkte.

       Ich bin beeindruckt.

      Nach dem Ritual der Ahm Fen begrub ich Baktas Leichnam und sang in unserer Stammessprache ein Grablied, welches ihren Geist auf den langen Weg zu ihren Ahnen begleitete. Meine Stimme brach unter der Last von Tränen und Schuldgefühlen, die ich nicht verbergen konnte. Eine Schwäche, die ich mir nicht erlauben durfte, jetzt, da ich alleine auf mich gestellt war. Doch die Trauer drückte mich zu Boden.

      „Was soll ich nun tun?“, erschöpft brach ich zusammen. „Was ist mein Weg, Bakta? Ich bin schwach und allein. Alleine werde ich es nicht schaffen.“

      Ein kühler Windhauch umspielte ihr Grab, tanzte um die Blumen, die um das Grab wuchsen und wehte zart durch meine roten Locken. Ein Strahl der untergehenden Sonne brach sich auf Baktas Schwertklinge, die ich zum Zeichen in die Erde stieß, blendete mich für einen Augenblick. In diesen Moment vernahm ich die überirdische Stimme erneut. Dunkel und bedrohlich, stark und eindringlich.

      Geh nach Westen, Udy, Hände aus Eis umklammerten mein Herz. Die Stimme drang in meine Gedanken ein und umspielte meinen Geist mit flüssigem Gold.

      Bakta...?

       Du kennst bereits deinen Weg. Folge den Spuren des Blutes. Ergreife die Waffe und lösche das Einzige, das dich mit deiner Vergangenheit verbindet. So wirst du dein Ziel erreichen.

      Ich suchte den Dolch, den ich von mir geworfen hatte und fand ihm in einer Pfütze aus geschmolzenem Schnee. Mein Gesicht spiegelte sich auf dem blanken Metall, offenbarte das entstellte Geburtsmal des Ahm Fen Stammes auf meiner Stirn. Wie ich es hasste, es war so klein und verkrüppelt. So wie ich.

      Sieh nur, wie erbärmlich es ist, flüsterte sie heiser. Es muss getan werden, um zu überleben. Nimm den Dolch. Lösche die Vergangenheit.

      „Was ist mein Ziel“, mein Hals tat weh von dem zurück gepressten Schluchzen. Ich dachte an meine Eltern. Meine Mutter, die mich so liebte wie sie mich gebar und mein Vater, der in allem was ich tat, nur Enttäuschungen sehen konnte. Bakta, meine gute Bakta, die mich verspottete und „Menschenkind“ schimpfte. Ihre Geister würden mich ohne Geburtsmal nicht erkennen, ganz egal wie klein und unkenntlich es auch war. Sie werden mich verachten – ich werde meinen eigenen Blick nicht standhalten können.

       Dein Ziel ist Blut, Macht und Stärke. Er ist dein Ziel. Der finstere König. Er, der dir alles stahl und noch mehr nehmen wird, wenn wir uns nicht erheben. Ich habe deinen Ruf gehört, mein Kind und hier bin ich. Mit mir kannst du überleben. Meine Macht wird dich leiten, dich stärken. Öffne dein Herz für mich und lass mich ein. War es nicht ihr letzter Wunsch? Überlebe, so sagte deine Tante. Ich kann dir alles ermöglichen, Udelka Häuptlingstochter, und mein Preis zahlt sich von ganz allein.

      Die Stimme hatte recht. Es waren Baktas Worte, aber woher sollte sie davon wissen? Eine Erinnerung klopfte an meine Stirn: in schwerer Stunde rief ich Ahm Fen um Hilfe. Hatte ich Blut gegen meinen Verstand getauscht? Sprach meine Göttin zu mir?

      Doch ganz gleich wer und was die Stimme war, ich war nicht mehr allein. Und das war alles was für mich in diesem Moment zählte.

      „Mein Ziel“, wiederholte ich geistesabwesend.

      Schluchzend führte ich den Dolch an meine Stirn, schnitt mir schreiend ins Fleisch. Der Schweiß floss an meinen Körper hinunter wie Öl und Blut strömte meine Wangen entlang, mischte sich mit den Tränen, die ich um meine Herkunft vergoss. Benommen fiel ich auf den nassen Boden, umgeben von dem letzten Schnee in diesem Jahr und der Blumen mit den sonderbaren Namen Zaubernuss, die im Winter blühten. Sie starrten auf mich herab und der Wind schüttelte ihre gelben Köpfe. Es waren meine liebsten Blumen, denn selbst der Winter konnte ihnen ihre Schönheit nicht nehmen.

      Die Ohnmacht zerrte mich hinab in dunkle Tiefen und dort unten erwartete sie mich. Meine Göttin, die ihre eisigen Arme um mich schloss und mit einem hungrigen Lächeln meinen Atem raubte.

      Die Vergangenheit musste ausgelöscht werden.

      Als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, hielt ich noch immer den Dolch in meiner rechten Hand.

      Stöhnend setzte ich mich auf. Meine Stirn brannte,