Susanne Sievert

Sternstunde


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Spinne kletterte vom Fass hinauf zur Zeltwand, und ich deutete ihr Verhalten als Zustimmung auf meine Bitte.

      Mit dem Wein in der Hand öffnete ich das Zelt. Auf dem Boden lagen Felle, ein einfacher Tisch stand in der Mitte des Raumes, auf dem aufgerollte Karten lagen. Eine Feuerstelle im Boden verströmte eine angenehme Wärme.

      Der Hauptmann lag bereits nackt auf einem Lager aus Bärenfellen. Meine Füße wollten mich auf der Stelle wieder hinaus tragen, doch der Anblick seiner schmierigen, nackten Haut und seines schlaff hängenden Penis schockierten mich derart, dass ich mich nicht von der Stelle bewegen konnte.

      „Komm her“, befahl er. „Lass mich nicht warten.“

      Schwer atmend ging ich ein paar Schritte auf ihn zu, musste aufpassen, dass mir die beiden Becher nicht aus der Hand glitten. Meine Hände waren vor Furcht nass und glitschig. Der Gedanke, dass dieser Mann mein erster Mann sein sollte... Unmöglich.

      Oh Himmel, ich konnte meinen Ekel nicht überwinden. Ahm Fen bot mir bereitwillig ihre Hilfe an, aber ich lehnte fröstelnd ab. Der Gedanke, ein Zuschauer meiner selbst zu sein, bereitete mir Unbehagen. Dennoch brauchte ich ihre Hilfe. Konnte sie mir versprechen, eines Tages nicht vollends die Kontrolle über mich zu übernehmen?

      Ahm Fen schwieg. Ein Versprechen blieb aus und somit sammelte ich all meinen Mut zusammen und das verkrüppelte Mädchen trat ihm allein gegenüber.

      „Bitte“, sprach ich mit rauer Stimme, räusperte mich und reichte ihm Wein.

      Er setzte sich auf, begutachtete mich von oben bis unten.

      „Zieh dich aus. Ich will deinen Körper sehen.“

      Es gab etwas, das ich nicht bedacht hatte: Meine Stammeskleidung unter dem Mantel. Bis jetzt hatte ich sie erfolgreich verborgen, doch meine Glückssträhne endete genau hier. Mit trockenen Hals suchte ich nach einer Erklärung. Was sollte ich tun?

      „Was ist?“, fragte er ungeduldig.

      Gedanken schossen durch meinen Kopf, wie und wann ich ihn töten sollte. Eher schneide ich ihm sein Gehänge ab, bevor ich mich zu ihm ins Bett lege, war der lauteste Gedanke, der in meinem Kopf kreiste.

      „Ich habe eine kleine Bitte“, wiederholte ich die Worte, die Ahm Fen mir leise zuflüsterte. Schüchtern kniete ich vor dem Hauptmann, blickte mit großen Augen zu ihm hinauf und streichelte sein Bein. „Schaut weg.“

      „Warum sollte ich?“

      Stumm erwiderte ich seinen fragenden Blick, und er fand die Antwort selbst heraus.

      „Du bis noch unberührt.“ Allein die Tatsache, eine Jungfrau in seinem Bett zu wissen, verschaffte ihm beinah einen Höhepunkt. „Nichts kann meinen Abend mehr übertreffen. Tod, Wein und eine Jungfrau. Ein Geschenk des Himmels. Lass uns trinken, Mädchen.“

      Während der Hauptmann seinen Becher in einem Zug leerte, ließ ich mein Getränk auf dem Tisch stehen und verschwand hinter dem Vorhang, um mich auszukleiden.

      Hoffnungsvoll wanderte mein Blick hinauf zur Zeltwand.

      Bitte lass mich nicht allein, dachte ich, als ich den Mantel und meine Stammeskleidung ablegte. Mit dem Dolch in der Hand riskierte ich einen Blick hinter den Vorhang. Mit weichen Beinen erreichte der Hauptmann den Tisch, leerte auch meinen Becher. Er sprach zu sich selbst mit lang gezogen Worten. Das Gift begann zu wirken.

      „Was dauert das so lange?“

      Gerade als er den Satz ausgesprochen hatte, trat ich hinter dem Vorhang hervor und versteckte den Dolch hinter meinen Rücken. Ich schämte mich meiner Nacktheit. Bis jetzt hatte ich mich noch keinen Mann von dieser Seite präsentiert. Bleib ruhig, ermahnte ich mich selbst. Du kannst es tun. Du musst es tun! Mein Herz schlug schnell und der Gedanke an sein Blut erfüllte es mit Leben. Ich dachte an den Fuhrwagen, an meine Brüder und Schwestern. Mein Volk. Ihr Leid kümmerte ihn nicht. Er sah nur die bare Münze. Warum sollte mich sein Schicksal kümmern?

       Er ist das Leben nicht wert. Er ist nichts!

      Wessen Stimme sprach in meinem Kopf? Ahm Fens, meine eigene? Die Töne verschmolzen ineinander.

      Der Hauptmann torkelte unbeholfen zu seinem Lager, stürzte auf halben Weg zu Boden und kroch auf Händen und Knien weiter. Es dauerte mir zu lange, ich trat dem Hauptmann kurz entschlossen so heftig in den Rücken, dass er nach vorne stolperte und auf sein gerötetes Gesicht fiel.

      „Höh...“, murmelnd suchte er seine Umgebung ab und erkannte mich kaum, als ich mich grinsend zu ihm hinunter beugte. „Mir geht es nicht gut. Ruf meine Männer.“

      „Nein“, antwortete ich kalt. „Es ist Zeit, zu sterben.“

      Grunzend versuchte der Hauptmann sich aufzusetzen. Er tastete nach seinem Schwert, das er neben seinem Lager abgelegt hatte, aber ich hielt es bereits in den beiden Händen und schleuderte es gegen die Zeltwand.

      „Was... ist? Meine... Männer...?“

      Ich stemmte mein Knie an seine Kehle, schnürte ihm den Atem ab. Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei, aber da stopfte ich ihm schon Fell ins Maul.

      „Mein Name ist Udy Häuptlingstochter.“ Es war an der Zeit sich von dem Mädchen zu verabschieden. „Du hast meine Familie getötet. Du hast ihnen das Wichtigste geraubt. Was du ihnen angetan hast, wirst du nun am eigenen Leib erfahren.“

      Als er den Dolch in meiner Hand aufblitzen sah, begann er zu kreischen, aber der Knebel dämpfte sein elendes Gebrüll. Das Gift lähmte seinen Körper, Arme und Beine zuckten kaum merklich und so konnte ich seiner Stirn besondere Aufmerksamkeit schenken. Seine Augen quollen hervor, als ich die Haut von seiner Stirn schälte. Ahm Fen machte es keinen Spaß ein wehrloses Opfer derart zu foltern. Sie schätzte einen guten Kampf, bei dem jeder mit seinem Blut bezahlte, aber ich spuckte auf ihr Gejammer.

      Mein Werk beendete ich mit zahlreichen Stichen in seine Brust. Ich stach wieder und wieder zu, bis ich völlig außer Atem von seinem Körper rutschte. Ich hielt den Dolch in meinen verkrampften Händen und schluchzte ein paar Tränen hinunter, als die Anstrengungen von mir wichen.

      „Oh Mutter, wenn du mich nur sehen könntest. Würdest du dich für mich schämen?“, dachte ich und Ahm Fen antwortete mit einem Lachen.

       Ist es nicht das, was du wolltest? Rache? Hast du seine Angst gerochen? Riechst du seinen Tod? Komm mein Kind, schmecke sein Blut. Koste es für mich.

      Angewidert verzog ich die Nase und kleidete mich an. Ihrer Bitte würde ich ganz sicher nicht nachkommen.

      Gerade als ich das Zelt verlassen wollte, stürmte ein Soldat in das Zelt. Beim Anblick meines vollbrachten Werkes glotzte er ungläubig auf meine blutigen Hände, sah mir ins Gesicht und schüttelte stotternd den Kopf. Ich erkannte ihn wieder: Es war der junge Mann, der vor dem Wagen vom Hauptmann zusammen geschlagen wurde und er hielt ein besonderes Geschenk für mich in den Händen. Ein schwerer, nasser Lederbeutel, dessen Inhalt ich sofort erkannte.

      „Her damit“, zischte ich und zielte mit der blutigen Waffe auf sein Herz. Meine drohende Geste war unnötig, er überließ mir ohne weiteres die Geburtsmale meines Volkes. Gebannt blieb er vor der Leiche stehen, schüttelte noch immer den Kopf. Er konnte nicht glauben, dass sein Anführer tot zu seinen Füßen lag.

      Ich beachtete ihn nicht weiter, denn er hatte mir alles gegeben was ich wollte. Sollte er doch um seinen Hauptmann trauern. Als ich nach draußen trat, begriff ich, warum er zuvor schreiend in sein Zelt stürmte: Vor mir lagen alle Soldaten des finsteren Königs auf der Erde, wälzten sich im eigenen Erbrochenen.

      „Beim finsteren König, was hast du getan?“

      Der junge Soldat folgte mir nach draußen und starrte auf seine Kameraden, die vor Pein ihren eigenen Namen nicht mehr kannten.

      „Wage es nicht von deinem elenden König zu sprechen“, antwortete ich, fuhr herum und hielt ihm den blutigen Dolch an die Kehle. Ein Soldat mehr oder weniger, was machte das schon? „Dein König