Susanne Sievert

Sternstunde


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sprach. Ich war immer noch Udy, aber Ahm Fen kontrollierte nun mein Handeln. Auf der einen Seite dankte ich ihr für diese Unterstützung, denn wie sollte ich ohne Erfahrung einen Mann umgarnen und seinen Verstand benebeln? Auf der anderen Seite wurde ich unruhig und ihre Hilfe fühlte sich nicht richtig an.

      Gefangen in seiner Umarmung schenkte ich ihm einen anbetungswürdigen Augenaufschlag.

      „Hebe mich auf den Wagen“, befahl ich. Niemand erkannte den Unterschied. Niemand wusste, dass meine Göttin anwesend war und den Hauptmann mit ein paar Worten verzauberte. „Bringe mich zu deinem Lager.“

      Er gehorchte sofort, hob mich beinahe sanft empor.

      Beim Anblick der geschlachteten Körper meiner Brüdern und Schwestern, die mit weit aufgerissenen Augen und Mündern mein Schauspiel stumm verfolgten, weinte ich still im Hintergrund. Das kleine Mädchen und die heranwachsende Frau in mir verschmolzen zu einem verwirrenden Gebilde. Ahm Fen lachte und freute sich über die Dummheit der Männer.

      „Warum fahrt Ihr mit toten Ahm Fen Bastarden durch die Gegend? Auf meiner Reise sah ich mehrere Dörfer brennen. Das muss doch eine unglaubliche Last für Euch sein“, Ahm Fen sprach und ich hasste sie dafür. Es war ihr Volk, über das sie sprach. Wie sprach sie über uns? Bastarde? Eine Last? Wütend drängte ich mich nach vorn, aber Ahm Fen schob mich zurück. Knurrend wartete ich auf meine Gelegenheit und versprach mir selbst, solch einen Kontrollverlust nie wieder zu zulassen.

      „Wie aufmerksam, hübsches Mädchen, aber sie sind keine Last. Für jeden Bastard zahlt der finstere König mit barer Münze.“

      „Der finstere König zahlt für totes Fleisch?“

      „Nicht doch. Er zahlt für ihre Geburtsmale. Wir schneiden sie im Lager sauber von der Stirn und den Rest verfüttern wir an die Wölfe. Du musst wissen, die Riesen des Ahm Fen Volkes waren ungeheuer mächtig und man munkelt, dass ihre Male besondere Kräfte innehalten. Unser König ist ganz verrückt danach. Für ihre Male zahlt er besonders gut. Ich fahre fette Beute mit mir herum.“

      Er lachte schäbig und während ich all das nicht hören wollte, war es für Ahm Fen eine interessante Information.

      „Wir fahren ins Lager. Dort gibt es etwas zu essen und zu trinken für dich, Mädchen.“ Er konnte den Blick nur schwer von mir lösen. Die Gelegenheit, eine Frau in seinem Bett zu wissen, bereitete ihm große Freude.

      „Danke. Ich benötige noch einen Platz zum schlafen“, antwortete ich.

      Ein hässliches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und es war nicht schwer zu erraten, welch schmutzigen Gedanken ihn beschäftigten.

      „Da kenne ich ein sehr warmes und gemütliches Lager, das nur auf dich gewartet hat.“

      Ahm Fen legte gegen all meinen Widerwillen meine Hand auf sein Bein und tastete sich langsam an den Bereichen empor, die nicht von seiner stählernen Rüstung bedeckt waren. Unter dem Leder spürte ich ein warmes Pochen. Als der Hauptmann leise zu stöhnen begann, wusste ich, dass ich seinen Tod besonders genießen würde.

      Wir erreichten mit der Dunkelheit das Lager der Soldaten. Kaum waren wir angekommen, gab Ahm Fen die Kontrolle freiwillig auf und ich stieß sie zurück in die Verwundbarkeit meines Herzens. Sie lachte und verspottete mich und ich schwor ihr, dass sie niemals wieder so viel Macht über mich besitzen würde. Ihr Antwort bereitete mir eine Gänsehaut: Wer sagt denn, dass ich deine Erlaubnis benötige?

      Wie der Hauptmann es versprochen hatte, brachte man mir Essen und Trinken. Ich nahm die Speisen dankend an, denn seit meiner Flucht hatte ich nichts außer Gras und Beeren gegessen.

      Während ich mich unter einem Baum stärkte, beobachtete ich das Treiben der Soldaten, die damit beschäftigt waren, die Leichen vom Wagen zu tragen und im Wald zu verscharren. In der Dunkelheit bemerkte ich glühende Augenpaare, die sich aufgeregt hin und her bewegten. Wölfe, die auf ihre Mahlzeit warteten. Doch bevor die Tiere ihr Fressen erhalten sollten, zog jeder der Soldaten ein Messer hervor, schnitt die Geburtsmale meiner Brüder und Schwestern von der Stirn. Mein Magen drehte sich und eh ich mich versah, würgte ich das Essen wieder hoch.

      Das Abschlachten meines Volkes war unverzeihlich, doch ihnen allen den Weg zur ewigen Ruhe zu verwehren, war das denkbar Schlimmste. Wir glaubten daran, dass unsere Seelen und Male direkt miteinander verbunden waren. Sie sind ein Zeichen der Zugehörigkeit, der Stärke und ohne die Male wanderten unsere Seelen nach dem Tod blind und ruhelos in der Zwischenwelt umher, suchend nach Erlösung. Der finstere König vergönnte meinem Volk selbst nach dem Tod keinen Frieden. Er stahl unser Land, unsere Körper und unseren Seelenfrieden.

      Der Dolch brannte in meiner Hand, schrie nach Vergeltung und Rache. Es gelüstete mich danach, die Soldaten wie Schweine aufzuschlitzen und gemeinsam mit den Wölfen von ihrem Fleisch zu fressen, doch ich rief mich selbst zur Vernunft zurück. Voreilige Entscheidungen bedeuteten nur meinen Tod, und sterben wollte ich noch nicht. Bakta hatte Recht. Ich musste überleben und den finsteren König stellen. Seine Grausamkeiten mussten ein Ende finden.

      Aufgeregt sprang ich auf, aber meine hitzigen Bewegungen zogen die Aufmerksamkeit der Männer auf mich. So setzte ich mich erneut unter den Baum und trank mit vorgeführter Ruhe aus dem Becher, der mir gereicht wurde.

      Ahm Fen. Diese Männer müssen sterben. Sie müssen leiden.

      Mit angezogenen Beinen beobachtete ich weiterhin die schneidenden Bewegungen der Soldaten, hörte sie vor Anstrengung grunzen und fluchen, und den stetig wachsenden Berg aus Leichen. Vom Fuß aufwärts verspürte ich plötzlich ein Kitzeln und sog die Luft scharf ein, als ich sah, was den Weg zu meinem Knie hinauf fand.

      Acht haarige Beine tänzelten auf einer Stelle, sechs glänzende Augen betrachteten mich mit Interesse. Die glühend roten Streifen auf dem Rücken der Spinne warnten vor dem Gift, das sie in sich trug. Mit nur einem Biss vermochte sie mich zu töten. In unserem Dorf hatte es nur einen Krankheitsfall gegeben, hervor gerufen durch einen Spinnenbiss. Ich erinnerte mich deshalb so gut, da der Todeskampf drei Tage andauerte und der Mann drei Tage und Nächte schrie, bis er endlich starb. Es gab kein Heilmittel, denn das Gift dieser seltenen Spinne änderte sich immerzu.

      „Ist das deine Antwort, Ahm Fen? Ist das ein Friedensangebot?“, dachte ich und betrachtete die gefährliche Spinne. An Zufälle wollte ich nicht glauben. Das Tier war ein Geschenk des Himmels.

      Ihre Berührungen waren federleicht, als sie meinen Arm hinauf kletterte und auf meiner Hand zum Stehen kam. Sechs Augen blickten in meinen Becher. Von ihren spitzen Zähnen tropfte eine gelbe, klebrige Flüssigkeit. Sie kletterte von meinem Arm zurück auf mein Knie und verharrte, als ob sie auf eine Antwort wartete.

      „Das ist ein hervorragender Einfall“, sprach ich leise.

      Vor dem Zelt des Hauptmannes entdeckte ich ein Fass, aus dem seine Männer lachend ihre Becher füllten.

      Ein wirklich hervorragender Einfall.

      Auf ihren acht Beinen erreichte die Spinne vor mir die Fässer und vollendete ihr Werk. Ein paar wenige Tropfen ihres Giftes in jedes Fass reichten aus, um die gesamte Truppe elendig verrecken zu lassen. Höchst zufrieden klatschte ich in die Hände. Das war der Tod, den die Männer verdienten.

      „Der Wein ist ausgezeichnet“, ertönte eine tiefe Stimme hinter meinen Rücken. Erschrocken hielt ich nach der Spinne Ausschau, doch sie war bereits verschwunden.

      Erleichtert drehte ich mich zu dem Hauptmann, der noch immer kein Bad genommen hatte. Er stank nach Schweiß, Urin und etwas, das ich nicht definieren konnte.

       Es ist Lust, mein Kind. Er wird es dir sehr einfach machen.

      Angewidert rümpfte ich die Nase. Der Gedanke, dass er mich berühren wollte, ließ mich erschauern.

      „Hier, nimm“, auffordernd reichte er mir zwei Messingbecher. „Fülle sie und folge mir dann ins Zelt.“

      Seiner Aufforderung folgte ich nur zu gern. Während ich die Becher mit Wein füllte, entdeckte ich meine neue Freundin am Rand des Fasses. Die glänzenden Augen beobachteten jede meiner