Susanne Sievert

Sternstunde


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Ahm Fen, an ihr Lächeln, ihre süßen Worte, aber war es nicht vielmehr ein Traum gewesen? Meine Wunde beantwortete die Frage mit einem klaren Nein, denn etwas war geschehen und Ahm Fen war alles andere als ein Traum.

      In dem Moment fiel mir alles wieder ein. Weder Ahm Fen, noch der finstere König, noch der Tot meiner Eltern, meiner geliebten Mutter, waren ein Traum. Es war alles geschehen. Alles! Die Qualen wuchsen ins Unermessliche, und gerade als ich befürchtete meinen Verstand unter der Last der Verzweiflung und Trauer zu verlieren, breitete sich ein Schatten auf meiner Seele aus. Er drückte meinen Atem tief in die Brust, bis ich dachte, daran zu ersticken. Dann, auf der Schwelle des Todes, löste sich der Druck, und ich empfand nichts mehr.

      Halte deinen Verstand beisammen. Ohne ihn wird es schwierig, erklang ihre goldene Stimme in der Leere meines Herzens. Deine Göttin wacht über dich. Komm, sieh ihn dir an. Es wird dein erstes Meisterwerk von vielen sein.

      Ihre Stimme führte mich zum Leichnam des Soldaten und ein böses Lächeln verzerrte mein Gesicht. Statt der Trauer verspürte ich nun Stärke und Stolz.

      Mit Ahm Fen an meiner Seite, wer konnte mich da noch aufhalten?

      Im eisigen Wasser, eines nahe gelegenen Baches, nahm ich ein schnelles Bad, versorgte und verband meine Wunde. Ich säuberte den Mantel meiner Tante, den ich nicht mit ihr unter der Erde vergraben konnte. Ich musste die Vergangenheit löschen, aber ich konnte mich nicht von dem Geruch des Mantels trennen. Es war, als hielt ich ein Stück Liebe in den Händen. Sie starb für mich und ich würde Bakta noch einige Zeit mit mir tragen, damit die Nächte nicht zu lang und dunkel wurden.

      Außerdem diente der Mantel zusätzlich als Schutz, denn an meiner Stammeskleidung, die ich nicht vollständig ablegen konnte, würden die Soldaten des finsteren Königs mich sofort erkennen. Unter dem Stoff verbarg ich den Dolch des Soldaten, an dem in der Zukunft das Blut unzähliger Opfer haften sollte. So zumindest hatte Ahm Fen es mir versprochen.

      Mit Ahm Fen in meinen Gedanken schritt ich den Pfad entlang. Mühsam setzte ich einen Fuß nach dem anderen. Am Abend vernahm ich das Geräusch eines näher kommenden Wagens und in der Ferne erkannte ich Reiter und Pferde, die vor dem Wagen gespannt mit hängenden Köpfen trabten. Es war ein ungewöhnlich großer Wagen, und je weiter die Gefolgschaft sich mir näherte, desto deutlicher vernahm ich einen süßlichen Geruch. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, woher ich diesen Geruch kannte. Als ich die erste schwarze Rüstung in der Ferne erblickte, wusste ich wo ich ihn zum ersten Mal vernommen hatte. Es war der Duft des Todes. Schwer nach Erde, süßlich riechender Tod.

      Mein Herz hämmerte so hart in meiner Brust, dass die Übelkeit in mir hochstieg. Die Soldaten des finsteren Königs hatten mich entdeckt. Zum Weglaufen war es nun zu spät.

      Zehn Soldaten in schimmernder Rüstung, bewaffnet mit Silber glänzenden Schwertern, fuhren an mir vorbei und hielten nach Anweisung des Hauptmannes die Pferde an. Düster blickten zahlreiche Augenpaare auf mich herab. Kühl und unschuldig versuchte ich ihren Blick zu erwidern, doch die blanke Angst stand hinter meinen Augen geschrieben.

      „Mädchen, was machst du alleine am Straßenrand?“, neugierig beugte sich der Soldat mit dem goldenen Helm zu mir herunter. Zum ersten Mal in meinem Leben dankte ich meinem kleinen und zierlichen Körper. Die Männer erkannten nicht den Riesen, sondern nur ein Menschenkind in mir.

      Erneut dankte ich meinem Vater in Gedanken für seine strenge Erziehung, und dass er darauf bestand, dass ich ihre Sprache erlernte. Das war meine Chance auf Rache.

      „Dorfbewohner des Ahm Fen Stammes haben meine Gefährten und mich im Wald angegriffen. Sie stahlen unseren Proviant und töteten meine Freunde. Ich konnte rechtzeitig fliehen, jedoch nicht unverletzt...“, log ich stockend und wies auf meinen Verband, der nass und klebrig an meinem Kopf haftete. „Ich bin müde. Ich habe Hunger und Durst. Überlasst mich meinem Schicksal.“

      Mit einem Satz sprang der Hauptmann vom Wagen. Das Gold seines Helms glänzte poliert in der Abendsonne und als er mich unerwartet an den Schultern packte und auf die Füße setzte, unterdrückte ich einen leisen Schrei. Seine Berührungen waren kalt und grob. Sein Atem stank nach Alkohol, altem Fisch und verdorbenen Essen.

      „Ahm Fen Bastarde, ja?“, rief er den anderen Soldaten spöttisch zu. Der Dolch legte sich wie von alleine in meine Hand. „Unmöglich, kleines Mädchen. Wir haben letzte Nacht alle getötet. Es hat keiner die Dunkelheit überlebt. Sieh selbst.“

      Mit einer Handbewegung gab er mir zu verstehen, in das Innere des Wagens zu blicken. Langsamen Schrittes näherte ich mich der hinteren Seite, strich über das glatte Holz und spürte an meinen nackten Fußsohlen jeden einzelnen Kieselstein. Meine Zähne klapperten aufeinander. Ich biss mir auf die Zunge und schmeckte mein eigenes Blut. Am hinteren Teil des Wagens blieb ich stehen, blickte zum Hauptmann zurück und sah in seinen Augen ein Lächeln. Es war kein liebevolles Lächeln, sondern eines, das nur Albträume und Leid verursachte. Das Herz schlug mir bis zum Hals, als er mit festen Schritten auf mich zu trat und mich ungeduldig hoch hob.

      Ich warf nur einen kurzen Blick auf die Fracht. In Panik und wie ein kleines Kind versuchte ich, mich frei zu strampeln, bis der Hauptmann mich fluchend auf den Boden fallen ließ und ich mich würgend am Rand des Pfades übergab. Zitternd rutschte ich auf den Knien, presste die Hände gegen meinen Unterleib. Die misstrauischen Blicke der Soldaten brannten auf meinem Rücken.

      „Nun ist es vorbei“, dachte ich voller Schrecken. Bebend umklammerte ich meinen Körper. „Alles ist vorbei, das kann ich nicht überleben. Sie werden auch die Letzte des Ahm Fen Stammes vernichten und geschlachtet auf den Wagen werfen.“

      Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie die Hand des Hauptmannes zu seinem Schwertknauf wanderte.

      Nichts ist verloren, beruhigte die Stimme mein Herz. Sie werden die Wahrheit nicht erkennen. Lass mich für dich sprechen.

      „Verzeiht, Hauptmann“, meldete sich ein junger Soldat mit heller Stimme. Seine blonden Locken quollen unter dem schwarzen Helm hervor. „Das Mädchen ist noch fast ein Kind. Der Anblick von Gewalt und Blut erscheint ihr fremd. Bedenkt, was sie vergangene Nacht ertragen haben muss. Sie ist verletzt. Womöglich braucht sie unsere Hilfe.“

      Ruckartig wirbelte der Hauptmann herum, duldete keine Zwischenrufe und schlug den jungen Soldaten ohne Vorwarnung zu Boden. Er schlug ihn mit der Faust, trat mit seinen schweren Stiefel in seinen Unterleib und voller Grauen sah ich seinen eigenen Speichel auf seine Rüstung spritzen. Er empfand Freude an Gewalt und mein Magen drehte sich im Kreis, weil ich nicht wusste, wie Ahm Fen mich sicher nach Westen bringen wollte.

      Erst, als der Mann sich im eigenen Erbrochenen wälzte und Blut spuckend um Gnade winselte, ließ der Hauptmann von ihm ab. Angewidert versuchte ich, den Berührungen des Mannes zu entfliehen, der mir erneut auf die Beine half und mich einen Moment zu lange festhielt.

      „Ist es so?“, fragte er an mich gewandt.

      Seine Hände wanderten von meinen Schultern hinauf zu meinem Nacken und meinem roten Haar. Mit einer Hand zog er meinen Kopf grob nach hinten, mit der anderen zeichnete er die Linien meiner Lippen nach. Er betrachtete meine blauen Augen mit geöffnetem Mund.

      Ich lag noch nie bei einem Mann, obwohl ich das Alter für eine Verbindung längst überschritten hatte. Die Mädchen aus unserem Dorf vermählten sich nach 14 Wintern und gründeten eine Familie, mit der Verantwortung viele Kinder zu zeugen. Mein Vater duldete keinen Mann an meiner Seite. Er fürchtete sich zu sehr vor der Missgeburt, die ich auf die Welt bringen würde. Es gab trotzdem einen Riesen, dem ich gefiel, aber mehr als ein paar Küsse und Liebeleien unter dem Wintermond kannte ich nicht. Er war tot, so wie alle die ich kannte und somit hatte sich die Sorge um ein Erbe erledigt. In der Gegenwart des Hauptmannes wünschte ich mir nur ein Bad in einer heißen Quelle.

      „Der kleine Scheißkerl hat Recht“, gewaltsam zwang er mich, seinen Blick zu erwidern. Mir wurde übel von seinem Geruch. Schweiß, Blut und Unrat hafteten an ihm und ich musste unwillkürlich würgen.

       Heule mit dem Wölfen, mein Kind. Ich werde dir helfen.

      Von diesem Moment an