Klaus Mann

Klaus Mann - Das literarische Werk


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sind weiß, nur auf den geschlossenen Lidern und unterhalb der Augen gibt es dunkle Töne; schwärzlich-graue, blaue und violette Schatten sind wie mit einem Pinsel in die kranke Helligkeit dieses leidenden Gesichtes getupft. – Ein paar Sekunden später nimmt Kikjou sich wieder zusammen; er lächelt mühsam: Danke; er drückt David die Hand, und nun kann er schon ohne Hilfe stehen.

      In traurigem Défilé ziehen die Stammgäste der »Schwalbe« und die paar Fremden an Martins Eltern, an Herrn und Frau Korella aus Berlin, vorbei. Händeschütteln und gemurmelte Phrasen des Beileids. Frau Schwalbe umarmt Mutter Korella, die sich mit dem triefend nassen Tüchlein die geschwollenen Augen wischt; alte Schwalbe küßt Mutter Korella auf beide Wangen, Herr Korella sieht mit Mißbilligung zu. Er hat der temperamentvollen Dame ihre unkonventionelle und in vieler Hinsicht schockierende Grabrede ganz entschieden übelgenommen. Zu David Deutsch, der nun seinerseits den schiefen Bückling vor ihm macht, sagt er deutlich und nicht ohne Schärfe – obwohl die Schwalbe sich ganz in der Nähe befindet und seine Worte verstehen kann: »Ich bedaure es aufrichtig, lieber Herr Doktor, daß Sie die Ansprache nicht halten konnten. Denn Sie sind es doch wohl, der meinem Sohn von allen hier Anwesenden am nächsten gewesen ist.« Er sieht mit einem strengen Blick erst an Frau Schwalbe vorbei, dann an Kikjou, dem er demonstrativ nicht die Hand gereicht hat.

      Der einzige, dem Vater Korella hier ein gewisses Vertrauen entgegenbringt, ist David Deutsch; nun wird es deutlich, denn der alte Herr legt diesem Freund seines Sohnes einen Arm um die Schulter, und er führt ihn ein wenig beiseite. David, in besonders schiefer Haltung – den Oberkörper verrenkt, im überhöflichen Eifer des Lauschens – nickt erregt mit dem Kopf und scharrt mit den Füßen die Erde wie ein nervöses Roß.

      Herr Korella – ein total gebrochener Mann, der sich unter schier übermenschlichen Mühen steif und gerade hält, als hätte er einen Stock im Rücken – Herr Korella bringt mit bebenden Lippen sein kleines Anliegen vor: Ob der junge Herr Deutsch ihm, dem Vater, bei der genauen Durchsicht von Martins Papieren behilflich sein möchte? »Vielleicht finden wir wertvolle Dinge unter diesen Niederschriften«, sagt der Vater, und in seinen Augen, die sonst über den schweren, entzündeten Tränensäcken einen so stumpfen Blick haben, gibt es plötzlich ein stolzes kleines Aufleuchten. »Geistige Kostbarkeiten«, fährt er erhobenen Hauptes fort, »literarische Leckerbissen«, sagt er und läßt die Zunge über seine Lippen gleiten, als sei dort etwas Süßes abzulecken, »kurzum, Werke, auf welche die Öffentlichkeit einen Anspruch hat.« David hält dies für sehr wohl möglich und steht Herrn Korella, selbstverständlich und ohne Vorbehalt, zur Verfügung. – »Wir begeben uns dann wohl am besten sofort in Martins Hotel und machen uns an die Arbeit«, schlägt Herr Korella unternehmungslustig vor. »Meine Zeit hier in Paris ist sehr knapp bemessen.« Herr Korella sieht auf die Uhr, als komme es auf jede Minute an und als sei kein Augenblick zu verlieren. »Morgen früh – morgen früh muß ich ja zurück nach Berlin …« Während er das Wort »Berlin« spricht, wird sein Blick wieder stumpf und glasig. Herr Korella senkt langsam den Kopf; er hält den Nacken hin, als erwarte er einen Schlag.

      Frau Korella ist inzwischen von dem fremden jungen Mann, der als Kavalier der Friederike Markus auftritt, ins Gespräch gezogen worden. Der junge Mann stellt sich selber vor, er heißt Walter Konradi – ein fein empfindender Mensch, wie es scheint; er hat viel Verständnis für die bittere Lage der Mutter Korella; in schlichten, aber gut gewählten Worten drückt er sein Beileid aus. »Und nun werden gnädige Frau sich wohl eine Zeitlang in Frankreich aufhalten, zur Erholung?« – Walter Konradi erkundigt sich respektvoll und beinah zärtlich. Nein, Frau Korella muß morgen früh nach Berlin. – Nach Deutschland zurück? In diese Hölle? Walter Konradi ist ganz Bedauern. Aber Mutter Korella sagt einfach: Nun, es ist doch mein Vaterland – und sie meint es ehrlich, ja, sie freut sich fast auf ihre Wohnung in der Nürnberger Straße. – Gewiß, gewiß, unser Vaterland. Der junge Herr deutet durch Lächeln ein geheimes Einverständnis zwischen sich und Frau Korella an. Unser Vaterland, sicher, das klingt sehr hübsch. »Aber schließlich«, bemerkt Konradi, nun vertraulich-leise, »schließlich, nach allem, was man uns dort angetan hat! Ich bin auch in einem Konzentrationslager gewesen …« betont er, nicht ohne Stolz. Und er berichtet, immer mit dem vertraulich-gedämpften Ton, aus was für Gründen er hineingeraten sei und unter welch phantastischen Umständen er es verlassen habe. – Freilich, solche Dinge sind schrecklich, Frau Korella gibt es gerne zu; in ihrem Bekanntenkreis hat sich ja auch so manches ereignet, und was hat man ihrem armen Gatten nicht alles angetan! Konradi schüttelt voller Mitgefühl den Kopf. Dann meint er abschließend: »Nun, was mich betrifft, ich habe die Nase voll. Ich bleibe im Ausland; da darf man doch wenigstens den Mund aufmachen.« – »In Ihrem Fall ist das auch etwas ganz anderes: Sie sind jung.« Frau Korella stellt es ohne Bitterkeit fest. »Aber ich – eine alte Frau – wo soll ich denn hin?«

      Madame Schwalbe, die ein paar gute Worte zu dem todesbleichen Kikjou gesagt hat, wendet sich wieder an Frau Korella und erkundigt sich, ob die beiden Herrschaften ihr das Vergnügen machen wollen, einen Imbiß in ihrem Lokal zu nehmen. »Es ist sehr bescheiden bei uns«, versichert sie, »kein Luxusrestaurant, das dürfen Sie nicht erwarten. Aber vielleicht interessiert es Sie, den Platz kennenzulernen, wo unser Martin in den letzten Monaten seines Lebens so viele Stunden täglich verbracht hat.« – Ja, das würde Frau Korella natürlich ungemein interessieren: sie bestätigt es mit eifrigen Worten. Übrigens hat sie nun zu weinen aufgehört, das Gespräch mit Walter Konradi scheint sie erfrischt und fast getröstet zu haben: ein sympathischer junger Mann, es geht etwas Vertrauenerweckendes von ihm aus. – Doch, Frau Korella hätte entschieden Lust, noch eine kleine Weile im Kreis von Martins Freunden zu verbringen und das berühmte Etablissement, die »Schwalbe«, zu besichtigen. Jedoch tritt Herr Korella hinzu und mahnt seine Gattin – wobei er wieder eisig an der Schwalben-Wirtin vorbeisieht: »Wir haben keine Zeit zu verlieren, meine liebe Hedwig. Es gibt noch manches zu erledigen. Der junge Herr Deutsch wird so freundlich sein, uns bei der Durchsicht von Martins Papieren behilflich zu sein.« Frau Korella nickt gehorsam, dabei sieht sie bedauernd Konradi an: ›Schade, ich wäre gern noch ein bißchen mit Ihnen und den anderen zusammengeblieben. Aber wahrscheinlich hat Korella recht …‹

      Herr Korella findet, daß er sogar ganz entschieden recht hat. Nichts könnte ihn dazu bewegen, sich auch noch in dieses Emigrantenlokal zu setzen. Es handelt sich doch um einen verrufenen Platz, und vielleicht wird Herr Korella beobachtet. Abgesehen aber von vorsichtigen Erwägungen solcher Art: Herr Korella spürt, daß er in dieses Milieu überhaupt nicht paßt. Er hat in Deutschland manches durchgemacht, und vieles ist ihm von den Nazis angetan worden – mehr vielleicht, als all den jungen Leuten hier im Kreise und als dieser Madame Schwalbe, die den Mund so voll nimmt; aber Herr Korella, ein deutscher Bürger – obwohl die Deutschen ihn als ihresgleichen nicht mehr anerkennen – findet doch eine tiefe Kluft zwischen sich und den Vaterlandslosen. ›Keinesfalls möchte ich zu denen gehören, die im Ausland sitzen und ihre Heimat beschimpfen‹ – so denkt er. ›Denn im Schimpfen auf die Heimat besteht doch wohl die Tätigkeit der Emigranten vor allem.‹ Herr Korella hat für sein Vaterland im großen Weltkrieg gekämpft; es ist ein Jammer und eine bittere Schmach, daß seine Landsleute dies nun ihrerseits vergessen zu haben scheinen. Aber ein Mann von seinem Schlage ist nicht gesonnen, das schlimme Unrecht, das die Deutschen ihm zufügen, nachträglich gleichsam zu rechtfertigen, indem er sich zu den Feinden des Reiches, zu den internationalistischen Hetzern gesellt. – Herr Korella bedankt sich bei Mutter Schwalbe mit einer knappen Neigung des Kopfes für die freundliche Einladung; bietet Frau Korella den Arm und entfernt sich – würdevoll, von etwas schäbiger Eleganz. David Deutsch folgt dem Elternpaar, mit schiefen, gleichsam um Verzeihung bittenden Verneigungen von Mutter Schwalbe und den Freunden Abschied nehmend. Kikjou, die schönen Augen von undefinierbarer Farbe im weißen Gesicht klagend aufgerissen, bleibt zurück, unter der kräftigen Obhut der Schwalben-Wirtin, die ihn an sich zieht wie ein Muttertier sein Junges. Bis zum Schluß der Zeremonie ist er von Herrn Korella auf ungeheuer verletzende Art geschnitten worden. ›Sehr verdächtige Gestalt‹, ist Herrn Korellas Eindruck von dem bleichen Knaben. ›Wirkt kolossal ungesund. Ich bezweifle, ob seine Beziehungen zu meinem Martin sich überhaupt noch im Rahmen des Gesetzmäßigen gehalten haben …‹

      Nach Herrn Korellas Abgang gibt es ein erleichtertes Aufatmen unter den jungen Leuten. Die alte Schwalbe macht: Uff! – womit sie dem allgemeinen Empfinden Ausdruck verleiht. Man hat es