Isabella Kniest

Lavanda


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Dotter zu verwenden? Mit Eiweiß hatte sie es nicht mehr versucht. Dadurch ausgelöste Hautunreinheiten und Übelkeitsattacken hatten sie dazu bewogen, das Gelbe vom Ei zu verwenden und den Rest davon wegzuschütten.

      Andauernd fühlte sie sich schuldig dabei. Lebensmittel wegzuwerfen haftete etwas Asoziales, Dekadentes, Undankbares an. Immerhin verhungerten Menschen in anderen Ländern …

      Andererseits wäre sie bescheuert, würde sie Produkte verspeisen, von welchen sie krank wurde, oder?

      Lavanda beantwortete ihre Frage mit einem Ja, nahm den gefüllten Porzellanteller mit dem Rosenmuster und setzte sich an den beige lackierten Holztisch – den Rücken diesem einen speziellen verschlossenen Zimmer zugedreht.

      Menschen waren grausam, Menschen waren eine einzige gottverdammte Plage, eine Nötigung, eine Zumutung.

      Der Mensch missbrauchte andere, der Mensch stellte sich über andere. Er mordete, verletzte, verurteilte, zerstörte, belog, betrog – und ignorierte.

      Da halfen selbst der Forschergeist, die Kreativität und die hochgepriesene Menschlichkeit nicht mehr, um die Statistik des ›ehrbaren, anständigen, zivilisierten Menschen‹ hochzuhalten.

      Obwohl das Frühstück mundete, gelang es diesem nicht, Lavandas Laune anzuheben.

      Pech gehabt.

      Laut Psychologen, Hipstern und upgegradeten Hippies war die Schuld ja stets bei einem selbst zu suchen – unbedeutend der Vergangenheit, unbedeutend der Ungerechtigkeit.

      Oder mit den Worten dieser okkulten Psychogesellschaft ausgedrückt: Bei misshandelnden Eltern aufwachsende Kinder hatten sich in einem früheren Leben große Sünden aufgebürdet, womit ihr nunmehriger fürchterlicher Lebensumstand die gerechte Strafe darstellen sollte.

      Sie kaute den letzten Happen, spülte diesen mit stillem Mineralwasser hinunter und machte sich daran, das Geschirr und die Anrichte zu säubern.

      Nach getaner Arbeit fasste sie nach ihrer Tasche, schlüpfte in schwarze flache Schuhe und trat aus dem Haus. Sie wandte sich zum Postkasten und lugte durch den Schlitz.

      Leer.

      Typisch.

      Mit diesem eigenwilligen bedrückenden Gefühl, welches sie jeden Tag aufs Neue ereilte, versperrte sie die Haustür und blickte zur oberhalb angebrachten nostalgischen fünfeckigen weißen Wandleuchte.

      Sie liebte diesen Vintage-Kram. Alte Handwerkskunst, qualitativ hochwertige Flohmarktwaren, handgeschmiedete Gartenzäune, geschwungene Türgriffe, gefräste und verschnörkelte Oberflächen.

      Im Gegensatz dazu verachtete sie glatte, kühle Schränke; schneeweiße Fliesen; Plastikmöbel.

      Wohnräume mussten einladend, beschützend und gemütlich sein. Was brachte ihr da ein futuristisches Design?

      Ähnlich verhielt es sich mit der Form eines Gebäudes. Nackte Beton- oder Holzquader hatten weniger mit einer menschlichen Behausung denn vielmehr mit einem Schutzbunker gemein.

      Wenn die Welt bereits solcherweise kalt ist, sinnierte sie. Muss nicht noch mein Haus wie ein Kühlschrank anmuten.

      Und der Schmerz wuchs an, umschloss sie wie ein heißblütiger Liebhaber.

      Sie drehte sich zurück Richtung Hofeinfahrt, horchte dem monotonen Rauschen des Regens.

      Tiefe Pfützen auf dem hellgrauen Asphalt weiteten sich mehr und mehr aus. Milliarden Tropfen trommelten auf im zagen Wind tänzelnde Birken- und Ahornblätter, welche wenige Meter von ihrem Grundstück entfernt eine natürliche Grenze zwischen Natur und Zivilisation erschuf. Der graue Regenschleier nahm Lavanda die Möglichkeit, die zwanzig Kilometer weit entfernte sich an klaren Frühlingstagen mächtig und erhaben präsentierende Koschutta zu bestaunen. Ihr gefiel deren kantige Felsformationen, insbesondere der funkelnde Schnee in den Wintermonaten, und wie dieser sich von einem tiefblauen Himmel hervorhob.

      Nun, ein heftiges Regenwetter wie das heutige mochte sie gleichermaßen – und wesentlich mehr, wenn es Wochenende gewesen wäre …

      Laufend überquerte sie den Parkplatz, öffnete flott die Wagentür ihres dunkelgrünen Kleinwagens, stieg ein und fuhr los.

      An der Hauptstraße angekommen, bemerkte sie ein Pärchen, welches geschützt durch einen hellblauen Regenschirm eng umschlungen an ihr vorüber stolzierte.

      Wie üblich schritt der extrem großgewachsene Mann selbstbewusst neben der platinblonden vollbusigen kleinwüchsigen kurvigen Frau.

      Existierten keine Männer mehr ohne krampfhaft unterdrückte Minderwertigkeitskomplexe? Gab es keine Männer mehr, welche sich einmal nicht auf einen Ego-Trip der Extraklasse befanden und sich zur Abwechslung physisch wie psychisch ebenbürtige Partnerinnen aussuchten?

      Gab es niemanden, der zu seinen Schwächen und Stärken stand, sich nicht aufplusterte wie ein liebestrunkener Pfau und sich als das Zentrum der Welt wahrnahm? Ein Mann, welcher ebenso verunsichert und verängstigt durch die Welt ging, wie sich ohnehin beinahe ein jeder manchmal fühlte – anstatt zu maulen, zu lügen und zu unterdrücken seine Schwächen und Unsicherheiten zugab und freiwillig um Schutz und Hilfe bat, wie es normalerweise die weibliche Gattung Mensch tat?

      Sich gegenseitig stützen, beschützen, lieben? Stellte dies nicht für einen jeden Menschen ein Grundbedürfnis dar?

      Sie jedenfalls empfand das zwingende Verlangen, einen Partner zu schützen wie sich von ihm beschützen zu lassen.

      Ein Ergänzen … ein Verstehen … ein liebevolles Miteinander pflegen …

      Stattdessen hatte man sie stehengelassen. Wie ein Stück Dreck hatte man sie ignoriert. Einfach ignoriert – kein Wort hatten Männer verloren.

      Besonders dieser eine nicht …

      Ein brutaler Stich durchfuhr ihr wundes Herz, krampfte dieses zusammen und trieb Lavanda beinahe Tränen in die Augen.

      Es lag etliche Jahre zurück – dennoch war der Schmerz allgegenwärtig.

      Kein Wunder.

      Nie hatte sie eine Verabredung, Umarmungen, Küsse oder gar Sex erfahren.

      Ignoriert war sie in der Jugendzeit worden, ignoriert wurde sie im Erwachsenenalter. Dann, mit knapp achtundzwanzig begegnete sie einem Mann, welcher sie regelrecht umgeworfen hatte – und selbst dieser hatte sie beiseitegeschoben.

      Aber was predigten Menschen andauernd: Wenn du dem Richtigen begegnest, spürst du das. Dann weißt du das.

      Es war eine einzige Lüge!

      Eine einzige gottverdammte, verschissene Lüge!

      Eine Lüge, welche sie dieses verschissene Leben hatte durchhalten lassen! Eine Lüge, welche ihr Sinn und Zuversicht geschenkt hatte.

      Tja … nun war es vorbei.

      Ihre Liebe war aufgebraucht. Ihre Hoffnung war nicht mehr vorhanden. Ihr Schmerz war zu groß, um noch einen Tag länger zu überstehen.

      Dennoch stand sie andauernd aufs Neue auf.

      Wozu überhaupt?

      Wozu tat sie sich diese elendige Qual weiter an? Wozu sich nach jemandem sehnen, welcher ohnehin nichts mit ihr zu schaffen haben wollte?

      Wozu existieren?

      Ihr Leben hatte großteils aus Schmerz, Angst, Sorgen und Kummer bestanden.

      Sie würgte einen eifrig anwachsenden Kloß in ihrem pochenden Hals hinunter.

      Falls sie jemals eine Beziehung eingehen sollte, musste es sie nochmals umhauen. Es müsste sie der Schlag treffen, ansonsten würde es nicht funktionieren.

      Exakt dieser Sachverhalt konnte bereits rechnerisch niemals mehr zutreffen. Da würde sie eher in den Euromillionen gewinnen, als ein zweites Mal die Liebe ihres Lebens zu begegnen und mit dieser zusammen alt werden zu dürfen.

      Sie gab Gas. Je mehr sie an Geschwindigkeit zulegte, desto schneller