Isabella Kniest

Lavanda


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solle Nahrungsergänzungsmittel nehmen und ein Hormonshampoo verwenden. Allerdings würde dies den Haarverlust lediglich etwas verlangsamen – wenn überhaupt.

      Dabei lag Glatzenbildung nicht in ihrer Familie. Überhaupt litt niemand in der Verwandtschaft an krankhaftem, genetischem oder anderweitigem Haarausfall, weder väterlicherseits noch mütterlicherseits, weder Großeltern noch andere weitschichtige Verwandte …

      Sieh nicht zu genau hin, dachte sie und wandte sich zur frei stehenden Retro-Badewanne. Deren Krallenfüße und Armaturen wiesen dieselbe polierte Messingbeschichtung auf mit welcher auch die Zahnbürstenhaltung und Mischbatterien des Doppelwaschbeckens veredelt worden waren. Der Fliesenboden zeigte sich in einem schimmernden Dunkelbraun. Dieser Kontrast zur hellen Wandverfliesung verlieh dem Raum eine ebenso behagliche wie exklusive Atmosphäre.

      Ja, das Bad war ihr großer Stolz – und dementsprechend teuer war die Anschaffung gewisser Möbel und Sanitäranlagen gewesen. Obwohl Lavanda grundsätzlich relativ genau auf ihre Finanzen achtete und keinen unnötigen Protz kaufte, bereute sie diese Anschaffung keine Sekunde.

      Es war ihr wichtig, sich vollkommen wohl und geborgen zu fühlen. Da fielen drei- oder viertausend Euro mehr oder weniger nicht mehr ins Gewicht.

      Ihr Bungalow.

      Knapp neunzig Quadratmeter maß dieser. Gewiss, er fiel übermäßig groß aus für eine alleinstehende Frau. Ursprünglich hatte Lavanda ja eine Fünfzig-Quadratmeter-Eigentumswohnung angepeilt. Durch die Verschiebung eines Immobilienbesichtigungstermins – die Eigentümerin der überschaubaren Wohnung in der Klagenfurter Innenstadt war durch eine ernst zu nehmende Lungenentzündung ans Krankenbett gefesselt worden – hatte Lavandas Maklerin ihr unverhofft dieses wunderbare Objekt angeboten.

      Kaum eine halbe Stunde hatte die Besichtigung gedauert – und Lavanda hatte den Kaufvertrag herzklopfend unterzeichnet.

      Es gab nichts zu bemängeln. Keine übertriebenen Verunreinigungen oder Spuren des Verlebens, eine sonnige, abgelegene Lage vor einem üppigen Mischwald, viele Fenster … und das besondere Highlight: Lediglich eine einzige Innenwand, welche sich zielstrebig durch den rechteckigen Bau zog. Dadurch war es Lavanda möglich gewesen, beinahe sämtliche Räume ihren Vorstellungen anzupassen oder sogar neu zu erschaffen.

      Konkret hatte Lavanda drei Wände aufstellen lassen, um WC und Bad separieren zu können sowie ein groß angelegtes Büro zu erhalten …

      Eine abrupt hochzüngelnde Übelkeit knotete ihr den Magen zusammen, und psychische Schmerzen durchlöcherte ihre Seele.

      Noch einen kleinen Raum hatte sie dadurch erhalten: ein lang gehegter Wunschtraum.

      Seit einem Jahr hatte sie ihn nicht mehr betreten.

      Lavanda besah den goldfarbigen Flüssigseifenspender.

      Niemals mehr würde sie diesen verfluchten Raum betreten. Niemals mehr würde sie sich in irgendeiner Form mit fester Seife beschäftigen.

      Sie würgte Tränen und Übelkeit hinunter, atmete schubweise durch und straffte die Gestalt.

      Zwar hatte sie durch die neue Einteilung etwas an Wohnzimmerfläche verloren – aber was soll’s! Fern schaute sie nicht mehr allzu viel. Und da die Küche mit zwanzig Quadratmetern aufwartete, fand ihr Esstisch eben dort seinen gebührenden Platz.

      Lediglich einen einzigen Minuspunkt konnte man dem Anwesen abziehen: Es fehlte ein Keller. Stattdessen besaß das Haus einen niedrigen großflächigen Dachboden – was für ihre Verhältnisse völlig ausreichte. Im Übrigen ersparte Lavanda sich dadurch unzähliges Treppensteigen am Tag, um Lebensmittel, Wäsche und Getränke von unten nach oben zu schleppen, sowie wöchentliche Reinigungen des Untergeschosses.

      Sie griff nach dem Waschlappen und benetzte diesen mit warmem Wasser.

      Ihre größte Freude war es gewesen, ihren Namen neben der in hellelfenbein gehaltenen Landhausstil-Tür anzubringen.

      Lavanda Pirker.

      Ihr Reich.

      Ihr Rückzugsort.

      Ihre Selbstständigkeit.

      Zumindest einen Wunsch hatte sie sich durch harte Arbeit selbst erfüllt: ein Eigenheim.

      Sie wusch sich das Gesicht und cremte es ein. Anschließend öffnete sie die Brisuren mit dem ovalen Kyanit-Gehänge, welche sie neben dem breiten Doppelwaschbeckenrand gelegt hatte, und befestigte diese an ihren Ohrläppchen.

      Sie mochte Schmuck farblich abgestimmt auf ihr Outfit.

      Genauso verhielt es sich mit ihrer restlichen Garderobe: Strümpfe, Strumpfhosen, Dessous, Nachtgewand, Mäntel, Schuhe, Handtaschen.

      Was sie in den letzten Jahren an Dessous und Strumpfwaren zu viel gekauft hatte – knapp an die zweihundert Stück Höschen und Beinbekleidung waren es geworden –, hatte sie bei Schuhen und Taschen gespart. Zehn Paar Schuhe – darunter fielen ebenso ihre geliebten Winterstiefel sowie Flipflops für den Hochsommer – bildeten ihr gesamtes Sammelsurium. Handtaschen beliefen sich auf sechs Stück. In Schwarz, Grün, Gold, Weiß, Rot und Creme deckten diese die gesamte Bandbreite an Farben ab.

      Schon seltsam.

      Noch vor wenigen Jahren hatte sie sich keine Sekunde Gedanken um ihr Äußeres gemacht. Gewand trug sie, bis es sich aufgelöst hatte. Unterwäsche kaufte sie alle paar Jahre im Zehnerpack in einem Discounter.

      Nun besaß sie eine immense Auswahl an verschiedensten Slips, Strings, Tangas und Brazils. Ungeachtet dessen hatte sich kein Mann für sie interessiert.

      Ob sie mit durchlöcherter Unterwäsche durch die Welt lief oder sich aufgeilende Dessous anzog – sie fühlte sich deshalb nicht attraktiver oder selbstbewusster.

      Einziger psychologischer Marketing-Gag, dachte sie bitter.

      Nachdem Lavanda die dunkelblaue Halskette angelegt und die schwarzen Strumpfhosen übergestreift hatte, schritt sie in die Küche und bereitete sich Ham and Eggs zu.

      Sie brauchte etwas Deftiges zum Frühstück. Allerdings erst zwei Stunden nach Abgang des Weckers. Kurz nach ihrer Aufwachphase hätte sie sich eher übergeben, als etwas Essbares hinunterzubringen.

      Durch das dauerhafte Untergewicht musste Lavanda auf kalorienreiche Kost achten. Glücklicherweise arbeitete ihr Stoffwechsel äußerst fleißig – Schilddrüsen- sowie Nierenprobleme war von ihren Ärzten ausgeschlossen worden –, womit sie sich zumindest um Fettpölsterchen und einen Postkastenarsch nicht zu sorgen brauchte. Ihre durchgängigen Kreislaufbeschwerden sowie die gelegentlich auftretende Appetitlosigkeit machten ihr dennoch zumeist stark zu schaffen.

      Nun, man kann nicht alles haben, dachte sie und briet sich den köstlich duftenden Beinschinken goldbraun an.

      Lästige Beschwerden und Krankheiten gehörten zum Leben dazu. Damit konnte sie sich locker abfinden. Mit Einsamkeit jedoch nicht, weshalb sie es tunlichst vermeiden wollte, jemals die Pension mitzuerleben.

      Lavanda betrachtete die im Farbton Magnolia gehaltene Küche, dachte daran, wie sie mit einem Partner hätte glücklich werden können.

      Hätte.

      Es würde niemals passieren. Dazu war sie schlichtweg nicht gut genug. Ihr Schicksal war es, lebenslang alleine und einsam zu bleiben und tagtägliche Schmerzen zu erleiden. Daran zugrunde zu gehen.

      Halt.

      Sie war längst daran zerbrochen.

      Sie hatte alles verloren.

      Nicht alles, korrigierte sie zynisch. Ein Dach über den Kopf habe ich noch. Aber dafür auch den passenden Kredit.

      Kein Vorteil ohne Nachteil, oder?

      Auf den Schinken setzte sie zwei Spiegeleier.

      Schon komisch. In ihren Teenagerjahren hatte sie vermutet, niemals ein Spiegelei kredenzen zu können. Denn jedes Mal war ihr der Dotter aufgerissen, und sie hatte erzwungenermaßen Rührei daraus machen müssen.

      Nun