Isabella Kniest

Lavanda


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      Weshalb wurde sie von gleichaltrigen Männern andauernd ignoriert? Weshalb wurde ihre persönliche Meinung, ihre Lebensanschauung, ihre Lebenserfahrung besonders von Männern aufs Härteste bekämpft? Und weswegen, verdammt noch einmal, wurden stets ihr verzwickte Blicke zugeworfen?

      Weder hatte sie ihr Haar jemals schreiend bunt gefärbt, noch trug sie ekelerregende Piercings oder präsentierte der Gesellschaft geschmacklose Tattoos – und beträchtlich weniger regte sie sich über ebensolche von ihr ungern gesehene Äußerlichkeiten anderer auf.

      Einst, vor vielen Jahren, hatte sie eine jede Person angelächelt. Sie war dankbar und freundlich gewesen. Um einen jeden hatte sie sich gesorgt, sich eingesetzt, sich Schwierigkeiten eingehandelt.

      Was hatte sie für ihr Verständnis und Mitgefühl im Gegenzug erhalten?

      Hass, Ignoranz, Neid.

      Alleinig ihre Träume und Hoffnungen auf eine liebevolle Beziehung – auf eine verfickte Gefühlserwiderung vonseiten eines Mannes – hatten sie am Leben erhalten.

      Wie sehr sie sich stets bemüht hatte! Sie hatte gekämpft dafür, war geduldig und verständnisvoll gewesen.

      Jahrelang.

      Jahrzehntelang.

      Nun gelang es ihr nicht mehr, die aufkommenden Tränen zurückzudrängen.

      Bemühe dich.

      Sei zufrieden.

      Man bekommt nicht immer das, was man will.

      Träume können sich immer erfüllen.

      Es liegt allein an dir selbst. Erreichst du deine Ziele nicht, warst du schlichtweg nicht ausdauernd genug.

      Wenn es mit einer Sache nicht funktioniert, sucht man sich eben etwas anderes.

      Vielleicht findest du ja mit fünfzig deinen Traummann.

      Mit fünfzig, dachte sie hasserfüllt wie verzweifelt, werde ich nicht mehr am Leben sein. Dafür werde ich Sorge tragen. Auf subtile, endgültige Weise.

      Seit sechs Jahren arbeitete sie in dieser überschaubaren Druckerei. Der Job war in Ordnung, ihr Chef, Herr Huber, zumeist ein besserwisserischer Plagegeist, welchem es nicht bewusst war, wie unberechenbar das Leben sein konnte. Freilich, er hatte ebenfalls seine Erfahrungen gemacht, einige Höhen und Tiefen durchlebt, nichtsdestotrotz und im Gegensatz zu ihr hatte er seine Fröhlichkeit beibehalten.

      Dies schuf Raum für zwei Vermutungen: Entweder war sie tatsächlich zu schwach und empfindlich für diese Welt – etwas, das ihr ständig vorgeworfen wurde –, oder ihr Chef war noch nicht solcherweise tief hinabgefallen in die Verdammnis.

      Gleichgültig, welcher Tatbestand zutraf: Ihr gefiel keiner davon.

      Wütend und frustriert – ja, das war sie, jeden einzelnen gottverdammten Tag – warf sie die billig anmutenden druckfrischen Visitenkarten seitlich auf ihren großflächigen Bürotisch.

      Diese unscheinbaren, Augenkrebs hervorrufenden Egoaufpolierer – weshalb sonst wurden solche Informationsträger dem Kunden ständig mit stolzgeschwellter Brust überreicht? – sollten heute abgeholt werden.

      Das Layout war ein einziger, haarsträubender Graus!

      Tiefrote feine Doppellinien auf der linken und rechten Seite, ein grimmig dreinschauender, giftgrüner Gartenzwerg im rechten oberen Eck und mittig der Firmennamen in Helvetica und Kapitälchen inklusive kursiv geschriebener Adresse und Telefonnummer – jedes einzelne Wort eingefasst mit einer blitzblauen Kontur!

      Mit Sicherheit war dieses grafische Wunderwerk dem verwirrten Geist eines farbenblinden, sich selbst überschätzenden Langzeitstudenten entsprungen …

      Für einen solchen fremdschämenden Dreck gab dieser Idiot fünfzig Euro aus!

      Das erinnerte Lavanda stark an die vielen hirnrissigen Wunschkennzeichen, welche da neuerdings überall zu sehen waren und hauptsächlich aus undefinierbaren Anfangsbuchstaben und sinnlosen Zahlenreihen bestanden.

      Lavanda begriff es nicht.

      Wozu über zweihundert Euro für eine Nummerntafel ausgeben, wenn diese rein gar nichts aussagte? Da tat es genauso eine reguläre, zugewiesene Nummer.

      Ach, natürlich!

      Es ging abermals ums Ego.

      Ein zugewiesenes Kennzeichen war zu alltäglich, zu gewöhnlich, zu langweilig – und deutete auf Armut hin.

      Da stürzte man sich lieber in Unsummen und fuhr mit einem AS1, LK5, BM10 herum, um über seine kaum noch zu zahlenden Leasingraten und Glasfaser-Monatsrechnungen hinwegzutäuschen und sich autark und unnachahmlich zu fühlen.

      Lavanda ergriff die schneeweiße Kaffeetasse und füllte diese mit kühlem Quellwasser aus dem in der angrenzenden Küche stehenden Wasserspender. Währenddessen drifteten ihre Gedanken zurück zur grässlichen Visitenkarte.

      Walky.

      So lautete der eigentümliche Name der Firma.

      Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, welche Dienstleistungen ein solches Geschäft anbot.

      Wurden dort Gartenzwerge für verzwickte Personen feilgehalten – wie Pensionisten, Busfahrer, Magistratsbedienstete oder Postpartner-Inhaber?

      Na egal …

      Spätestens nach zwei Jahren würde dieses Geschäft wieder verschwunden sein – Konkurs … wie der Großteil der Jungunternehmer, Start-ups und verzweifelten Ein-Mann-Betriebe … Pardon – Ein-Personen-Betriebe. Ansonsten fühlte sich die niederträchtige Gattung ›weiblicher Mensch‹ bekanntlich diskriminiert.

      #Metoo

      #Sexismus

      #Emanzipation

      Die Atemluft gepresst ausstoßend schaltete Lavanda den Laserdrucker ein, platzierte die Tasse neben den vierundzwanzig Zoll Bildschirm und setzte sich auf den maroden Bürostuhl, dessen Rückenlehne bereits beängstigend wackelte.

      Rechnungen mussten geschrieben, E-Mails durchgecheckt und ausgedruckt, Kunden angerufen werden.

      Weiblicher Bullshit, verschissene Horoskope sowie die naive Annahme, positive Gedanken brächten positive Erlebnisse, würden ihr diese Arbeiten nicht erleichtern.

      Das, was du anderen wünschst, wird dir selbst auf eine ähnliche Weise widerfahren!

      Beinahe hätte sie laut aufgelacht.

      Hätte dieser Spruch nur im Ansatz der Wahrheit entsprochen, hätte sie längst ein Himmelreich besitzen müssen.

      Wie viel Gutes sie den Menschen jahrelang gewünscht hatte – aus tiefstem Herzen, aus echter Nächstenliebe …

      Doch wie üblich war das exakte Gegenteil eingetroffen.

      Nein, an solchen Märchendreck glaubte sie nicht mehr.

      Sie glaubte gar nicht mehr – sie wusste. Alle anderen verschissenen Sprüche konnten sich diese zurückgebliebenen Saftsäcke in ihre breitgesessenen und mit Transfetten ausgepolsterten Ärsche schieben!

      Ja, die ewige Jammerei bezüglich des Übergewichts …

      Dabei war Fakt: Neunzig Prozent aller adipösen Personen fraß schlichtweg zu viel.

      Ja, es gab wenige wahrhaftig leidtragende Menschen, welche an einer Krankheit litten und/oder durch Medikamente zunahmen. Für solche Menschen hegte sie sogar das bisschen Mitgefühl, welches sie noch ihr eigen nennen durfte.

      Doch wie sagte ihr Hausarzt stets?

      Ein jeder Mensch litt an einer Krankheit.

      Selbst wenn es bloß lästige Schweißfüße waren. Jeder hatte sein Päckchen zu tragen. Darum brauchten Menschen nicht über