Isabella Kniest

Lavanda


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Zeit unterwürfig nahm er die Münzen an sich. »Sobald es mir möglich ist, gebe ich Ihnen das Geld zurück. Versprochen.«

      Stolz ohne Überheblichkeit. Dankbarkeit ohne Falschheit. Verzweiflung ohne brachialen Hass.

      Im Gegensatz zu ihr hatte dieser Mann sich noch ein Mindestmaß an Menschlichkeit behalten können …

      »Ist schon in Ordnung«, meinte sie salopp. Es gelang ihr partout nicht, ein schmales Lächeln zu unterbinden, wofür sie sich wesentlich mehr hasste. »Aber jetzt gehen Sie lieber, ansonsten kommen Sie wirklich zu spät.«

      »Ja, vielen Dank.« Seine Nervosität fachte hoch. Flott drehte er sich um, hechtete los –

      Und wäre beinahe in Lavandas Chef gelaufen.

      Der Schönling presste ein überraschtes und dadurch mindestens eine Oktave höheres »Verzeihung« hervor.

      Lavanda musste sich eingestehen, seine wohlklingende Stimmlage hörte sich selbst in dieser witzigen Situation toll an.

      »Nicht so eilig, junger Mann«, intonierte ihr großgewachsener Chef, dessen kecker Kurzhaarschnitt sich seit drei Jahren gänzlich silbern präsentierte. »Ansonsten könnten Sie das Glück Ihres Lebens übersehen.«

      Innerlich schnitt sie eine Grimasse.

      Es war typisch. Nicht ein einziges Mal konnte sich dieser neunmalkluge Mensch seine Pseudo-Weisheits-Sprüche verkneifen.

      Bemerkte dieser Depp nicht, dass solche Äußerungen zumeist nervten und manch eine Person überdies verletzten?

      Wie sie selbst? Oder womöglich sogar den Attraktivling?

      Herr Huber wusste nichts über das Schicksal seines Gegenübers, dementsprechend zurückhaltend sollte er – und die restliche rotzfreche, hinterfotzige Gesellschaft – sich geben!

      »Mir kann Derartiges nie passieren«, erwiderte der Parkplatzsuchende sogleich. Eine beträchtliche Ladung Sarkasmus gepaart mit Verbitterung schwang in seinem Tonfall mit. »Glück existiert nicht. Genauso wenig wie Götter oder wahre Liebe.«

      Irgendwie konnte sich Lavanda des Eindrucks nicht erwehren, dass Feschak diese Äußerung gar nicht hatte tätigen wollen – was sie tief in ihrem Innersten berührte.

      Die hochkriechende Scham, die Wut auf sich selbst, die Versagensgefühle - sie kannte den Emotionstsunami zu gut, der in solchen Momenten losgetreten wurde.

      Obwohl Feschak ihr allmählich leidzutun begann, war sie dankbar für diesen ungewollten Ausrutscher seinerseits, brachte er doch tiefer liegende Auffassungen zutage und befeuerten diese Vermutungen. Vermutungen über unschöne Lebenserfahrungen, Schicksalsschläge oder einschneidende Erlebnisse.

      »Na, na. Nicht so negativ«, gab Herr Huber grinsend und auf diese ihr allzu bekannte überheblich anhörende Weise zurück. »Das Leben ist schwer genug, da muss man es sich nicht noch selbst schwerer machen.«

      Aber ansonsten ging es diesem Tölpel gut, oder?

      Ernsthaft!

      Manchmal musste Lavanda sich wirklich fragen, ob der Großteil der Bevölkerung das Glück gepachtet hatte. Wie sonst waren derartige hirnverbrannte Meldungen zu erklären?

      »Man braucht es sich gar nicht selbst schwerzumachen«, entgegnete Attraktivling trocken. »Dafür gibt es Mitmenschen. Diese schaffen solche Kunststücke mit Leichtigkeit. Ein gutes Beispiel stellen Freunde oder Familienmitglieder dar: Man glaubt, man könne sich vertrauen und gegenseitig helfen. Stattdessen sitzen die lieben Bekannten dann in der Hängematte, währenddessen du ihnen den verdammten Rasen mähst.«

      Ihr Chef lachte.

      Und sie?

      Für sie war diese Aussage urkomisch wie erfrischend ehrlich zugleich. Ein Genuss – und obendrein eine regelrechte Befreiung für ihre Seele, weshalb sie sich erst gar nicht bemühte, ihre exorbitante Freude niederzuhalten, und dem sich ihr zuwendenden Parkplatzsuchenden ein breites Lächeln zuwarf.

      Ebendiese äußerst selten zum Vorschein tretende Freude ihrerseits schien den Mann irgendwie zu erschrecken … oder bildete sie sich dies ein?

      Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, stolperte Attraktivling aus dem Büro.

      Damit war ihre mentale Frage beantwortet.

      Typisch, dachte sie. Wozu habe ich diesen Drecksack in Schutz genommen?

      Bislang waren sämtliche Männer zur Seite gewichen, alsbald sie diese angelächelt hatte. Einer dieser elendigen Drecksäcke war sogar vom Trottoir auf die Straße gesprungen!

      Nein, es war keine Einbildung gewesen. Nein, sie reagierte nicht über. Nein, sie war nicht schizophren oder litt an einer bipolaren Störung oder anderen psychischen Beeinträchtigungen.

      Man nahm andauernd Abstand von ihr.

      Weil sie nie genügte. Weil irgendetwas an ihr einen jeden Menschen – und insbesondere Männer – verscheuchte. Weil sie deshalb seit jeher an Einsamkeit und Alleinsein litt.

      Darum wurde ihr die Idee mit dem Escortservice und dem darauffolgenden letzten Vollbad zunehmend attraktiver.

      Jeweils zwei Treppen zugleich nehmend, überwand Lilian die drei Stockwerke hoch zum Zimmer Nummer achtunddreißig. Er öffnete die wuchtig-altertümliche dunkelbraune mit farblosem Lack bestrichene Holztür –

      »Wie üblich auf den letzten Drücker!«, wurde er von einer echauffierten, ihm viel zu vertrauten Frauenstimme begrüßt – und ein Blick, kalt wie Dezemberschnee.

      Hass, Nervosität, Schmerz überfielen ihn wie eine hungrige Meute Straßenköter.

      Sabrina.

      Das rotgefärbte, mit voluminösen Locken ausstaffierte Haar fiel selbstgefällig und erhaben über ihre Schultern bis knapp über die üppige Oberweite. Elegantes, businessmäßig gehaltenes Make-up, dunkelrot lackierte Fingernägel sowie ein perfekt sitzendes cremefarbenes Kostüm inklusive High Heels und rubinroter Handtasche rundeten ihre männermordende Erscheinung ab.

      Kein bisschen verändert hatte sie sich. Nicht einmal ihr überheblich-entnervtes Mienenspiel. Sogar ihre Figur hatte nichts von ihrer erotischen Grazie verloren – trotz der erst wenigen Monate zurückliegenden Entbindung. Lediglich ihre Brüste hatten ordentlich an Größe zugelegt. Verständlich, wenn die Milch einschoss …

      »Wie zu einstigen Zeiten gelingt es dir nach wie vor nicht, mit Pünktlichkeit zu glänzen.« Angewidert verzog Sabrina die zugekleisterte Schnute. »Wann wirst du endlich erwachsen werden? Wann wirst du endlich damit aufhören, mich vor fremden Leuten bloßzustellen?« Sie wandte sich an ihren Rechtsanwalt, ein großgewachsener schwarzhaariger schlanker Schlipsträger in seinen späten Dreißigern. »Du musst wissen, Karl, mein Mann liebt es, mich zu demütigen.«

      Diese verfluchte Beißzange!

      Diese elendige berechnende Musche!

      Obwohl ihm unzählige beleidigende Argumente auf der Zunge lagen, hielt Lilian sich davon ab etwas Unbedachtes zu erwidern.

      Sabrina sollte sich mit ihren haltlosen Anschuldigungen selbst bloßstellen.

      »Ich habe dich nie gedemütigt«, sprach Lilian erzwungen ruhig. »Das weißt du – und das weiß ich. Allerdings trittst du unsere Liebe mit Füßen.«

      Anders konnte er Sabrinas Aktionen nicht in Worte fassen.

      Letztgenannte geizte nicht damit, ihren Hass und Ekel in Form von mimischen Höchstleistungen darzubieten. »Du hast mich hintergangen und mich belogen! Ich habe mein Gesicht verloren! Weißt du eigentlich, welchem Klatsch ich in der Firma seit unserer Trennung ausgesetzt bin?« Pathetisch bedeckte sie das wabbelige Dekolleté mit der linken Hand. »Du kannst dir nicht im Geringsten vorstellen, wie sehr ich darunter zu leiden