Isabella Kniest

Lavanda


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erwecken, damit man sie ausnahm, damit man sie um den Finger wickelte, damit man sie letzten Endes wortlos stehenließ – sogar als Kunde!

      Ihre Wut wuchs an, ihre zuvor aufkeimende minimale Positivität erstarb abrupt.

      »Kann ich Ihnen helfen?«

      Sie erhob sich, um im Zweifelsfall ohne Zeitverlust die richtige Bestellung herauszusuchen oder USB-Sticks oder andere Datenträger entgegenzunehmen.

      »Verzeihung, wäre es –«

      Weshalb hielt der Mann inne? Sie wusste es nicht. Und es interessierte sie nicht weiter. Sie wollte diesen Kerl bloß schnellstens loswerden. Vor allem, alsbald sie seines Outfits gewahr wurde.

      Eine schwarze wertig aussehende Lederjacke ohne verspielten Firlefanz wie Buttons oder übertrieben schimmernde Druckknöpfe, darunter ein versnobtes weißes Hemd mit ausladendem verwegenem Kragen kombiniert mit einer eng geschnittenen schwarzen Jeans und schwarzen Schuhen.

      Ergo: ein typischer Weiberaufreißer auf der Suche nach einem schnellen Fick. Jemand, welcher sich niemals für sie interessieren und wesentlich weniger anbaggern würde.

      Jemand, welcher es nicht wert war, sympathisch gefunden zu werden.

      Ein Mann – überflüssig und lästig wie Warzen.

      »Holen Sie einen Druckauftrag ab?«

      »Nein, ich wollte lediglich darum bitten, ob ich für eine halbe Stunde Ihren Parkplatz benützen dürfte.«

      Nicht noch einer!

      Seit Jahren baten Personen um kurzzeitiges Parken. Dabei besaß die Firma bloß vier Stellplätze, dementsprechend eng konnte es an geschäftigen Tagen werden.

      Dennoch verstand Lavanda die niemals enden wollende Fragerei.

      In Klagenfurt waren Parkplätze Mangelware. Und die neu gestalteten Kurzparkzonen? Diese hatten zwar das durch unzählige Pendler hervorgerufene Parkchaos eingedämmt, dafür musste nun weitaus tiefer in die Tasche gegriffen werden, um Erledigungen in der Innenstadt und im inneren Gürtel machen zu dürfen. Zudem war die Parkzeit auf vier Stunden begrenzt worden. Für eine Hauptstadt ein unmöglicher Zustand.

      Und ebenso für sie! Denn nahezu jeden Tag musste sie fragenden Personen eine Absage erteilen. Manch einer von ihnen wurde dann ausfällig, andere straften sie mit angewiderten Blicken.

      Lavanda gab dennoch nie nach. Das Gejammere Ihres Chefs, falls sie jemandem eine Parkerlaubnis erteilte, wog zu schwer und belastete tausendmal mehr als das schlechte Gewissen, einem Menschen in Not nicht geholfen zu haben.

      »Es tut mir leid«, versetzte sie. »Das geht nicht.«

      Überraschende ehrlich anmutende Hilflosigkeit legte sich über des Schnösels Miene. Er warf einen flüchtigen Blick auf seine – was auch sonst? – goldene dekadente Armbanduhr, und eine regelrechte Panik vermengt mit Aggression nahm seinen ebenmäßigen Gesichtskonturen, allen voran den sanft geschwungenen Augenbrauen, ihre Grazie.

      »Es wäre lediglich für eine halbe Stunde. Ist es nicht irgendwie möglich?«

      Der verstörte Ausdruck war nicht gespielt. Dieser Mann stand mächtig unter Zugzwang. Fatalerweise konnte sie ihm nicht aushelfen – obwohl sie es gerne getan hätte. Nicht aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes, nicht aufgrund dieser unsäglichen Sympathieentwicklung, sondern einzig ihrer neurotischen Hilfsbereitschaft wegen.

      Seit jeher hatte sie Menschen helfen wollen – seit jeher hatten Menschen sie deshalb ausgenutzt.

      Würde sie niemals daraus lernen? War es unmöglich, diesen Reflex auszuschalten?

      Widerwillig schüttelte Lavanda den Kopf. »Tut mir leid.«

      Ihr verfluchtes schlechtes Gewissen knotete ihr den Magen zusammen. Und des Typs wütendes wie flehendes Mienenspiel? Dieses war nicht eben unterstützend dabei, ihr eigenes Gefühlstohuwabohu zu bändigen.

      Verdammte Scheiße!

      Was wollte alle Welt eigentlich von ihr? Andauernd wurde sie um Hilfe gebeten! Und wer half ihr? Niemand! Kein verschissener Mensch!

      »Es ist ein Notfall«, erwiderte er drängend, frustriert … restlos verzweifelt. »Normalerweise bitte ich nicht um einen Gratisparkplatz. Allerdings sind sämtliche kostenlose Abstellplätze belegt, und ich habe nicht genügend Kleingeld dabei, um ein Ticket zu ziehen. Hätte ich das Geld, würde ich nicht hier stehen und wie ein Bittsteller auf den Knien rumrutschen. Ich habe einen dringenden Termin um halb zwei in der Richtstraße. Ich schaffe es nicht mehr, falls ich nicht sofort losgehe.«

      Lavanda blickte zur billigen Plastikuhr auf der von ihr rechts gelegenen dünnen Ytong-Mauer.

      Es war fünfzehn Minuten nach eins.

      Das schaffte er nie.

      Die Richtstraße lag Minimum dreißig Gehminuten von der Druckerei entfernt.

      Da sah sie bloß eine Möglichkeit …

      Sie drehte sich um und schritt zurück zu ihrem Arbeitsplatz, an dessen linken Seite ein unauffälliger dunkelroter Kunststoffstuhl stand. Auf diesem verfrachtete Lavanda jeden Morgen ihre Handtasche. Ebendiese Handtasche war ihr Ziel. Lavanda öffnete sie, suchte etwas darin, und zog zwei Zwei-Euro-Münzen hervor, welche sie angesichts eigener Kleingeldnot stets als Reserve bei sich führte.

      Sie trat zu dem Attraktivling und reichte ihm die Münzen. »Von uns aus zu Fuß bis zur Richtstraße? Sie würden niemals zeitig ankommen. Hier. Parken Sie in der groß angelegten Tiefgarage in der Anderluhstraße. Dann schaffen Sie es möglicherweise.«

      Die Richtstraße zog sich durch die halbe nordseitig gelegene Innenstadt – was bedeutete, dass es sich vermutlich um einen Termin bei Gericht handelte. Nervosität wie Redefreude seinerseits sprachen dafür. Sein elegantes Äußeres sowie Mimik und Gestik, welche eher Ruhe und Zartheit ausstrahlten, tendierten dagegen auf eine verschlossene, wortkarge Person, was wiederum auf enormen Druck rückschloss – etwas, das Menschen zumeist durch Anklagen, Trennungen oder Testamentseröffnungen erfuhren.

      Verwirrt blickte Letztgenannter auf das schimmernde Kleingeld. Er wirkte wie in Trance. Eine weitere unpässliche Reaktion für einen Mann seines Kalibers.

      »Hier, nehmen Sie«, befahl sie drängender. »Ansonsten kommen Sie ernsthaft zu spät.«

      Sein gedankenferner Augenausdruck verschwand, und an seine Stelle trat diese Lavanda aufwühlende verruchte Intensität. Kein Beäugen … ein Erforschen. Ein in sie Eindringen und sie restlos Vereinnahmen.

      »Verzeihen Sie die Frage … weshalb tun Sie das?«

      Sie hielt sich davon ab, ihre hochkletternde Unsicherheit durch ein peinliches Räuspern in die Schranken zu weisen und sich dadurch erst recht lächerlich zu machen. Stattdessen atmete sie einmal tief durch, verteufelte sich tausendmal im Geiste für ihre grenzdebilen und klischeehaften gefühlsmäßigen Reaktionen und begann mit ihrer hoffentlich halbwegs verständlichen und vernünftig anmutenden Erklärung.

      Sie berichtete über die widerrechtlich abgestellten Kraftwagen, die abgemeldeten Fahrzeuge, die von der Druckerei beglichenen Abschleppkosten, die Dauerparker – und das vorprogrammierte Gejammer seitens ihres Chefs, sollte sie diesem von des Attraktivlings Notsituation und der daraus resultierten Parkerlaubnis unterrichten müssen.

      »Glauben Sie mir«, brachte sie ihren Vortrag zu einem erbärmlichen Ende. »Dieses Gezeter will ich mir nicht mehr antun. Besonders nicht für jemanden, welcher eine einfache Parkgelegenheit braucht und den ich niemals mehr in meinem Leben wiedersehen werde. Verstehen Sie?«

      Weshalb irgendjemanden noch mit Samthandschuhen anfassen? In ihrem Fall war dies nicht eben oft geschehen. Eher noch bewusst getreten worden war sie. Neidzerfressene Personen liebten es, durch kränkende Meldungen andere zu verletzen, zu unterdrücken, zu denunzieren.

      Eine ihr Gänsehaut bescherende Erkenntnis blitzte in des schönen Mannes Antlitz auf und half ihr, die entsetzlichen Eindrücke der Vergangenheit und Gegenwart zur Seite