Bernd Boden

Dismatched: View und Brachvogel


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verifizieren. Das Tool konnte jeweils 8 Ausprägungen von 32 Gesichtsausdrücken erkennen und validieren.

      In der Rangfolge der Ausprägung von stark nach schwach ergab der Scan: Wut: 8; Neid 7, Unbehagen: 5; Unsicherheit: 3; Zögerlichkeit 2. Was für ein emotionales Gemuddel. Die Ergebnisse des MimikScans brachten sie nicht unbedingt weiter.

      Der nächste Schritt in der MediationsHeuristik war jetzt, gezielte Fragen des Systems zu beantworten. View rief den DeeskalationsGuide auf:

      „Kein Stein auf dem Weg zur Mittelung wird liegen bleiben. Beantworte die folgenden Fragen der Konfliktanamnese nach bestem Wissen und Gewissen.“

      View empfand die Guidance des Systems eigentlich immer als etwas simpel, war jedoch jedes Mal froh, die Dinge so bereinigen zu können.

      „Handelt es sich um einen offenen oder einen versteckten Konflikt?“

      Sie war noch nie mit Legol aneinandergeraten.

      „Versteckter Konflikt.“

      „Möchtest du einen Umfeldcheck machen?"

      Der Umfeldcheck screente sämtliche SocialRelations der Medianten nach etwaigen Unstimmigkeiten. Das konnte nicht schaden.

      „Ja.“

      „Bislang sind keine Konflikte mit Legol3s im Umfeld deiner SocialRelations bekannt.“

      Der Umfeldcheck hatte ihr schon oft geholfen, führte hier aber offensichtlich auch nicht weiter.

      „Kannst du dich an andere kritische Situationen mit Legol3s erinnern, in Bezug auf die du aber keine MatchingSession angefordert hast?“

      Sie überlegte. Bislang war sie Legol höchstens 4 oder 5 Mal begegnet und soweit sie sich besinnen konnte, war dabei nichts Besonderes vorgefallen.

      „Nein.“

      „Hast du irgendwelche Vermutungen, was in deinem Verhalten Legol3s zu einer solchen Reaktion getrieben haben könnte?“

      Hätte sie hier auch nur die leiseste Ahnung gehabt, hätte sie sich den Anamnesedurchlauf sparen und den Mediator gleich nach einer Konflikthypothese fragen können. Aber das System ging eben immer auf Nummer sicher. Erst Anamnese, dann Hypothese.

      „Nein.“

      „Möchtest du eine Konflikthypothese erstellen lassen?“

      „Ja.“

      „Konflikte sind Stolpersteine auf dem Weg der Mittelung. Verhindere daher die Entstehung von Konflikten und vor allem deren Eskalation und fordere schon beim geringsten Anzeichen eine Konflikthypothese deines Mediators an.“

      „Ich beantrage in Bezug auf die von mir, Kibele2k5, Update_567 / Takt_23.706.291 wahrgenommene Irritation mit Legol3s eine Konflikthypothese.“

      „Konflikthypothese für Kibele2k5 und Legol3s. Grundlage verifizierbare Daten wie folgt:

      Daystream von Kibele2k5 und Legol3s, Update_567 / Takt_23.706.291 bis Update_567 / Takt_23.706.306.

      Auswertung des MimikScans von Legol3s: Legol3s beneidet Kibele2k5 in hoher Ausprägung. Er ist aber auch in geringerer Ausprägung verunsichert und zögert, seine negativen Gefühle Kibele2k5 gegenüber auszuleben. Dies findet seinen Ausdruck in Unbehagen mittlerer Ausprägung und Wut hoher Ausprägung. Die Wut richtet sich gegen Kibele2k5, weil sie diesen Gefühlskonflikt in ihm auslöst, aber auch gegen Legol3s selbst, weil etwas in ihm ihn daran hindert, Kibele2k5 offen anzugreifen.

      Vergleich der Eintrittsdaten in die Agency: Legol3s ist 3 TeraTakte länger Member der Agency als Kibele2k5.

      Vergleich der Eignungsprofile: Legol3s wurde eine hohe analytische Kompetenz attestiert. Kibele2k5 wurde eine hohe analytische Kompetenz sowie eine ungewöhnlich stark ausgeprägte soziale Empathie attestiert.

      Vergleich der CareerPoints: Legol3s 115, Kibele2k5 135.

      Aus diesen Daten ableitbare Schlüsse führen zu folgender Konflikthypothese: Legol3s beneidet Kibele2k5 um ihren Erfolg in der Agency. Wahrscheinlichkeit, dass die Ursache des Konflikts hier zu finden ist: 78,65 Prozent. Die negativen Gefühle Kibele2k5 gegenüber sind noch nicht verfestigt. Das gibt Kibele2k5 eine Chance von 83,76 Prozent, positiv im Sinne der Mittelung auf Legol3s einzuwirken.

      Möchtest du Legol3s mit dieser Konflikthypothese konfrontieren und face to face daran arbeiten, den Konflikt zu mitteln?“

      Legol beneidete sie um ihren Erfolg in der Agency. Das konnte es sein! Seitdem sie schon in recht kurzen Takt durch geschicktes Networking zu so etwas wie der inoffiziellen Opinion­Leaderin der JuniorScouts geworden war, hatten ihre Supervisoren View in den Fokus genommen. Die Analysen und Hypothesen, die sie zum Verhalten ihrer Peers entwickelt hatte, mochten ihren Teil dazu beigetragen haben, dass sie als vielversprechendes Talent galt und direkt von der AntiGrav einen exklusiven Zugang zur Agency erhalten hatte. Legol dagegen hatte die Agency durch den Haupteingang am MesotesCircus betreten. Hatte er also Grund, neidisch auf sie zu sein?

      View war immer wieder erstaunt, wie das System scheinbar zusammenhangslose Daten miteinander verknüpfte und dann zu wirklich belastbaren Folgerungen kam, auf die man solide bauen konnte. Vor dem Hintergrund einer vom Mediator offiziell ausgegebenen Konflikthypothese ließ sich immer leichter agieren als auf der Basis lediglich persönlicher Mutmaßungen.

      „Ich beantrage in Bezug auf die von mir, Kibele2k5, Update_567 / Takt_23.706.291 wahrgenommene Irritation mit Legol3s eine Konfrontation.“

      Auf dem Screen erschein eine ebenmäßig verlaufende Gaußkurve, deren linke Hälfte mit Legols und deren rechte Hälfte mit Views Namen versehen war. Das Icon einer miniaturisierten Glockenkurve zeigte an, dass View bereits eine Konflikthypothese eingeholt hatte. Dann öffnete sich eine Totale in Legols Hexagon, die langsam auf dessen Bewohner zoomte. Legol war offensichtlich gerade dabei, ein PreparedMeal von SwellTaste oder BigFlavour – View konnte das Logo auf dem FreshPack nicht genau erkennen – in die MoleculeRub zu schieben. Ihr Gesicht musste jetzt die gesamte Fläche seines Screens ausfüllen und als Legol ihrer Anwesenheit gewahr wurde, sah er erschrocken auf.

      „Oh, hallo ... „

      „Hier ist Kibele2k5, die du heute Morgen auf dem Weg in deine WorkingCell so konfrontativ angegangen bist und ...“

      Legol wirkte irgendwie ertappt, doch hatte er sich schnell wieder gefasst.

      „ ... und deswegen willst du mir jetzt eine MatchingSession antragen“, unterbrach er sie. „Und wie ich sehe, hast du auch schon eine Konflikthypothese eingeholt. Allzu weit her kann es mit deinen Empathiefähigkeiten also nicht sein.“

      Sieh da, Legol war ihr gegenüber immer noch aggressiv. Seine Hälfte der Gaußkurve beulte sich nun auf der X-Achse ein wenig nach links aus.

      „Ich wollte deinen Takt nicht mit eventuell wenig zielführenden Fragen beanspruchen. Und außerdem finde ich es immer besser, rein persönliche Eindrücke durch Auswertungen des Systems zu validieren.“

      Das auf der X-Achse liegende Ende ihrer Hälfte der Gaußkurve verringerte die Distanz zur Mittelachse.

      „Nun komm schon, rede nicht länger um das ausgewogene Mittel herum. Was hat das System ausgespuckt?“

      „Dass du neidisch auf meinen Erfolg in der Agency bist.“

      Legols herausfordernd hoch gerecktes Kinn sank abrupt nach unten. View hatte schon oft erlebt, dass die Angriffslust der Kontrahenten versteckter und selbst offener Konflikte rapide abnahm, sobald die tieferen Ursachen einer Meinungsverschiedenheit einmal vom System offengelegt und offiziell benannt worden waren. Irgendwie war einem damit jegliche Basis entzogen, allein vor dem Hintergrund der eigenen Sicht der Dinge gegen die ebenfalls völlig subjektive Perspektive des Opponenten anzurennen. Konflikte waren komplex und je länger die Kontrahenten auf ihrer subjektiven Wahrnehmung beharrten, desto tiefer verstrickten sie sich in eine Gemengelage, aus der sie alleine nicht mehr herauskamen. Das System aber entschlüsselte diese Komplexität, deckte auch noch die geringste Kleinigkeit auf und der Mediator