Bernd Boden

Dismatched: View und Brachvogel


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Strömungen Raum greifen, ins für uns Frauen nicht mehr Bezwingbare.“

      „Und du solltest einmal bedenken, dass auch du zu einem gewissen Teil von einem Zeugungsträger abstammst“, gab Ayiah spitz zurück, „und vielleicht wäre es jetzt etwas weiter und lichter in deinem Kopf, wenn deine Mutter damals aus einer größeren Anzahl von Zeugungsträgern hätte wählen können.“

      „Liebe Schwestern“, beschwichtigte die Große Mutter, „mäßigt euch! Gerade im Rahmen dieser Unterredung sollten wir doch wie besonnene Frauen vorgehen und nicht wie hitzköpfige Mannlinge blindwütig um uns schlagen.“

      So wogte der Disput noch des Längeren hin und her, wurde das Für und Wider möglicher Handlungsweisen erörtert, bis die Mütter schließlich mit Billigung der Archontin dahingehend gleichen Sinnes wurden, zweifachen Müttern im gebärfähigen Alter anheim zu stellen, noch ein drittes Kind zur Welt zu bringen.

      Das Lager der Wächterinnen um Leial hatte es äußerst geschickt verstanden, bei den Frauen tiefsitzende Ängste vor dem Erstarken des mannlingschen Geistes zu schüren, so dass der Vorschlag, weniger Knablinge zu entkeimen, in keiner Weise tragfähig erschien.

      „Gut Ding will Weile haben und unmittelbar besteht keinerlei Gefahr. Wir sollten uns also davor hüten, die Dinge in mannlingschem Ungestüm übers Knie zu brechen, sondern den Gedanken an eine dritte Geburt feinfühlig und behutsam unter die Mütter bringen und vielleicht auch darüber nachdenken, mit welchen Begünstigungen wir Müttern, die sich freiwillig dafür entschieden haben, ihren Einsatz für die Klave vergelten können“, beschied Archontin Idune schließlich und hob die Versammlung auf.

      Die nächsten Tage führten Ayiah im Auftrage der Archontin weit in der Klave herum, um in Gesprächen mit den unterschiedlichsten Frauen auszuloten, wie sie dem Gedanken, dass jede Frau drei Kinder gebären solle, gegenüberstanden. Und immer wieder begegnete sie dabei Brachvogel, der als Springling an den unterschiedlichsten Orten eingesetzt wurde. Vermaledeit, gerade wenn sie sich diesen Jungmannling aus dem Kopf geschlagen hatte, lief er ihr wieder über den Weg. Sie musste sich allmählich eingestehen, dass ihr Interesse an ihm nicht länger aus Pflichtgefühl erwuchs, sondern gänzlich anderer Natur war.

      Was an diesem Mannling wirkte nur so anziehend auf sie? Er war von schlanker, aufrechter Gestalt. Doch das waren viele andere Mannlinge auch. Auch an seinem Gesicht, mit den weit auseinander stehenden Augen, der leicht schiefen Nase und dem Grübchen am Kinn war durchaus nichts Besonderes. Warum also zog sie gerade dieser Mannling in seinen Bann?

      Es war seine ungezwungene Art sich zu bewegen. Es war der offene und direkte Blick seiner grünen Augen, der dem ihren nicht auswich und nicht wie der anderer Mannlinge unstet umherirrte oder sich senkte, sobald eine Frau sie ansprach. Brachvogels Blick war nicht trotzig, wie der der Rebellen, die es in den Reihen der Mannlinge auch gegeben hatte, sondern arglos und natürlich und schien ein wenig träumerisch verloren, so als würden für ihn die Verhältnisse, dass die Mannlinge den Frauen untertan waren, nicht gelten. Ja, immer wenn sie – mit deutlich wachsenden Wohlgefallen – Brachvogel sah, war es, als würde sie einer Frau in der Gestalt eines Mannlings begegnen, einem Wesen, das sich seines Wertes und seiner Stellung bewusst war und sich nicht so verschlossen gab oder duckmäuserisch gebärdete wie die anderen Mannlinge. Auch haftete Brachvogel eine selbstgewisse Eigenständigkeit an. Selten sah sie ihn mitten im Pulk der andern Mannlinge. Offenbar blieb er lieber für sich, als sich mit den anderen gemein zu machen. In diesem Wesenszug fühlte sich Ayiah ihm verwandt, die ebenfalls nicht vorbehaltlos die von den anderen Frauen ausgetretenen Wege beschritt, sondern sich in den meisten Belangen ihren eigenen Pfad ins Dickicht der Zukunft bahnte.

      Der Mannling ging ihr nicht mehr aus dem Kopf und sie erkannte, regelrecht besessen von ihm zu sein. Und ganz allmählich konnte sie sich auch nicht länger der Einsicht entziehen, dass die Gefühle, mit denen sie das Abbild seiner Erscheinung und seines Wesens in ihrem Inneren immer und immer wieder umrundete und abtastete, begehrlicher und wollüstiger Natur waren. Dies stürzte sie in tiefe Verwirrung. Was ging nur mit ihr vor? Ganz unabhängig davon, wie ihr seltsames Gelüst in der Gemeinschaft der Frauen und Mütter zu beurteilen war, musste sie vor allem sich selbst gegenüber Rechenschaft ablegen.

      Bis auf die von Leial so beklagte unumgängliche Notwendigkeit, sich im Akt der Empfängnis mit den Körpern von Zeugungsträgern zu vereinen, gab es keinerlei geschlechtliche Beziehungen zwischen Frauen und Mannlingen. Ihre Wollust lebten die Frauen unter ihresgleichen aus und was die Mannlinge trieben, wollte Ayiah gar nicht erst wissen. Es hieß, dass der größte Teil der Mannlinge als Entkeimte ohnehin keinen Trieb verspürte. Wie alle Kleinen Frauen war auch sie einst am Ende ihrer Zeit im Hort der Weisung von einer älteren Frau in die körperliche Liebe eingeführt worden und auch ihre Jungfräulichkeit hatte sie später durch die Hand einer Frau verloren. Zwar hatte sie im Laufe der Zeit zu wechselnden Gespielinnen Beziehungen unterhalten, doch dabei nie besondere Lust empfunden, so dass das Geschlechtliche in ihrem Leben nur geringes Gewicht einnahm. Ayiah wünschte sich eine Vertraute ihrer Seele, mit der auch sie dem Taumel der Sinne würde frönen können, doch war es nie bis dahin gediehen. Umso befremdlicher dünkte sie die jetzt nicht mehr zu leugnende Gewissheit, diesen Mannling Brachvogel auf eine Art und Weise zu begehren, die allen Regeln des Lebens in der Klave Hohn sprach.

      Nächtens träumte ihr, mit Brachvogel auf ihrem Lager zu liegen, von ihm umschlungen zu werden und ihrerseits ihn zu umschlingen und wachte morgens völlig zerschlagen und mit feuchtem Geschlecht auf. Tagsüber konnte sie sich nur mühsam sammeln, um ihre Sache in Disputen und Wortgefechten zu vertreten. Sie ertappte sich dabei, ihm nachzustellen und auf ihren Gängen in der Klave die Wege zu beschreiten, auf denen sie ihm vielleicht begegnen würde.

      So konnte, so durfte es nicht mehr weitergehen. Wie aber war das zu heilen? Vielleicht würde ja das nur in ihrem Innern genährte Gespinst an Vorstellungen der Realität nicht standhalten und Brachvogel sich im näheren Umgang als ganz gemeiner Mannling erweisen? Doch da der Umgang zwischen Frauen und Mannlingen strengstens geregelt war und sich aufseiten der Frauen gewöhnlich darauf beschränkte, Weisungen und Befehle zu erteilen und aufseiten der Mannlinge darauf, diese zu empfangen und entsprechenden Rapport zu geben, war es undenkbar, einen Mannling anzusprechen, der weder in ihrer Frauschaft hauste noch dessen Weisungsfrau sie war. So sah sie hier keine Möglichkeit, ihr Bild von Brachvogel an der Realität zu messen.

      In ihrer Not und Verwirrung fasste Ayiah einen aberwitzigen Plan, sich diesen Brachvogel ein für alle Mal auszutreiben: Sie würde ihre wollüstigen Fantasien in die Tat umsetzen und ihrer unziemlichen Neigung zu dem Mannling durch die Probe aufs Exempel ein Ende machen. Vorausgesetzt, die Blutslinien im Buch der Abstammung standen dem nicht entgegen, war es das verbriefte Recht einer jeden angehenden Mutter, für den Akt der Empfängnis einen ganz bestimmten Mannling zu bestellen. Sie, Ayiah, würde ein drittes Kind zur Welt bringen und als ihren Zeugungsträger würde sie Brachvogel wählen. Zwar galt es als ungewöhnlich, mit 29 Umlaufzwölfen noch ein Kind zu bekommen, doch war sie noch nicht zu alt für eine letzte Schwangerschaft. Im Gegensatz zu Leial beurteilte sie das Ritual der Empfängnis völlig nüchtern. Für die beiden vergangenen Male hatte sie aufs Geratewohl geziemend ansehnliche Mannlinge gewählt, die sie jetzt, sollten sie ihr über den Weg laufen, nicht wiedererkennen würde. Und auch während des Aktes hatte sie nichts empfunden, das ihr noch vor Augen stünde.

      Ayiah glaubte fest daran, dass die Riten, Gebote und Lehren der Klave dem Wohl der gesamten Schöpfung dienten, Frau und Mannling, Tier und Pflanze, Berg und Tal, Feld und Wald, Fluss und Weiher. In diesem Geiste war es auch ihr Bestreben, der alten Großen Mutter Idune ins Amt der Archontin zu folgen. Sie war daher überzeugt davon, dass die im Rahmen der heiligen Riten einzig geduldete geschlechtliche Begegnung zwischen Frau und Mannling zu vollziehen, sie von ihrer Verirrung befreien und Brachvogel der verhängnisvollen Anziehungskraft berauben würde, die er auf sie ausübte. So wäre sie von ihren Flausen geheilt und konnte zudem hoffen, durch ihr Beispiel, als erste Mutter ein drittes Kind zur Welt zu bringen, ihren Aufstieg zum Amt der Archontin zu beflü­geln.

      Es benötigte seine Zeit, einen Akt der Empfängnis auf den Weg zu bringen und Ayiah musste sich sputen, damit nicht eine andere Mutter vor ihr mit einem dritten Kind von sich reden machte. Sobald es ihre mannigfachen Pflichten erlaubten, suchte sie die Hüterin der Blutlinien,