Bernd Boden

Dismatched: View und Brachvogel


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leistete, wenn es Citizens antrug, sich zu matchen.

      View teilte ihr Hexagon mit einer MonsteraDeliciosa, deren große Photosyntheseflächen nachgewiesenermaßen halfen, das Wohnklima zu verbessern. Da sie gern die Kontrolle über die Dinge behielt, bereitete ihr ungehemmtes und chaotisches Wachstum Unbehagen und sie versuchte, die Triebe ihres floralen Elementes in eine möglichst zylindrische Form zu binden. Überstehende Photosyntheseflächen stutzte sie regelmäßig zurück, wobei sie darauf achtete, die Luftwurzeln nicht zu beschädigen, da diese der Versorgung dienten.

      Für eine MatchingSession war sie jetzt zu müde und wollte gleich auf ihr RestBoard. Sie war sich ziemlich sicher, dass heute nichts vorgefallen war, das gematched werden musste und auch das Screening und Classifying der Rankings, die ihre Peers den Tag über vorgenommen hatten, konnte bis morgen Abend warten. Aber eine möglichst pralle Zirkulationsdusche musste einfach sein. Sie zog sich aus, schlüpfte in die Nasszelle und stellte die 8 Brauseköpfe auf höchste Intensität. Nachdem sie sich von den konzentrierten Wasserstrahlen 2 Intervalle hatte durchprickeln lassen, schaltete sie auf Trocknen und ließ sich von der warmen Luft umschmeicheln. Wie immer nach einem Tag, der ihre Erwartungen mehr oder weniger zuverlässig eingelöst hatte, beschloss die Dusche Views Aktivitätsphase und sie fühlte sich physiologisch optimal auf ihre Regenerationsphase von 7 MacroTakten vorbereitet. Sie fuhr das RestBoard aus der Wand und wählte als Einschlafmodus „sanfte Dünung“. Die Ruhepneumatik versetzte das Board in die entsprechende Bewegung und innerhalb des Medians ihrer Einschlafzeit von 5 MinorTakten sank View in ihren traumlosen Schlaf. Sobald die Sensoren ihres MatchingEyes registrierten, dass ihr Körper in den Ruhezustand übergegangen war, aktivierte sich das in das dritte Auge integrierte Morpheus­tron, dessen Strahlung dafür sorgte, dass die Citizens ihre Ruhephase optimal nutzten und nicht durch Traumerinnerungen aufgewühlt erwachten.

      Sommersaat; dritter Umlauf im fünfhundertachtundsechzigsten Umlaufzwölft der Zeitläufte der Mondin

      „Das Rund des Kreises gebiert Sicherheit und Gelingen. Wer sich ihm in Demut und Besonnenheit anheimgibt, des Werk wird glücken und seine Seele wird gesunden.

       Der geraden Linie aber folgen Unsicherheit und Misslingen. Wer sie hochmütig und vorwärtsdrängend beschreitet, des Werk wird scheitern und seine Seele wird zuschanden werden.“

      Archontin Ayiah

      „Schonet die Schöpfung“ schallte weithin der Weckruf über das mondbeschienene Rund der Klave und befreite Brachvogel aus seinem, seit einiger Zeit immer wiederkehrenden Alb­traum. In seiner Butze war es so finster wie im Bauch der Schafe, die die Freien Männer schlach­teten, wenn einer der ihren die Prüfung bestand, die aus einem Mannling einen Mann machte. Gewöhnlich zuckten Schatten über ihm, die das Feuer an die Decke warf, das die ganze Nacht in einem Eisenkorb an der Ecke der Gasse unterhalten wurde. Aber seit Archontin Ayiah, die vor einem Umlaufzwölft zur Regentin bestellt worden war, dem Kreis der Weisen Frauen vorsaß, wurden nächtens nur die unbedingt zur Verteidigung oder Orientierung erforderlichen Feuer und Fackeln in den Gassen entzündet, damit Luna das volle Ausmaß ihrer Kraft über die Erde ergießen konnte, ohne dass übermäßiger Feuerschein ihre Strahlen schwächte. Das galt besonders für eine Nacht wie diese, in der die Mondin fast ihr volles Rund erreicht hatte.

      Es hatte Brachvogel wieder einmal geträumt, so tief im abgründigen Rund des Brunnens im Hort der Empfängnis zu stecken, dass er selbst am lauteren Tage am Ende der sich steil über ihm reckenden endlos langen Brunnenröhre die Gestirne sehen konnte. Aus dem eiskalten Brackwasser, in dem er bis zum Nabel stand, wanden sich langsam die schuppigen und schleimigen Leiber von Schlangen und Mollusken an ihm hoch, bis er in den Windungen von Muskelpaketen und den Schlingen von warzenbedeckten Tentakeln zu ersticken drohte. Als ihm in dem verzweifelten Versuch, sich an den schlüpfrigen Quadern des Brunnenrundes in die Wärme Sols empor zu ziehen, die Fingernägel blutig brachen, drängten die Steine des Schachtes immer enger auf ihn ein und ihr tonnenschwerer Druck zerpresste ihm die Rippen.

      „Schonet die Schöpfung“ ertönte es abermals und Brachvogel kletterte, erleichtert, dass der Albdruck des Traums allmählich von ihm abfiel, noch ganz benommen von seinem Lager und rüstete sich, sein Mondwerk zu beginnen. Auch in den anderen Butzen regte und reckte es sich nun und die Mannlinge, mit denen Brachvogel hauste, verließen ebenfalls ihre Bettstatt.

      Die Weisen Frauen hatten ihn zum Springling bestimmt und also gehörte er zu denen, die keine feste Berufung hatten, wie diejenigen Mannlinge, die als Gehilflinge in der Großmeisterinschaft der Köhlerin, der Schmiedin, der Kesslerin, der Wagnerin, der Küferin, der Korbmacherin, der Töpferin, der Glasbläserin, der Metzgerin, der Käserin, der Müllerin, der Imkerin, der Kürschnerin, der Gerberin, der Weberin, der Schneiderin, der Schusterin oder im Gewerk der Berg- oder Holzfrau ihr Tag- oder Mondwerk verrichteten. Die Springlinge dagegen versahen die immer wieder­keh­renden Obliegenheiten des Alltags, die im Haushalt einer Frauschaft anfielen, als da waren, mit den anderen Mannlingen am Fluss Wasser zu holen, das Essen zu bereiten, Feuerholz zu spalten, den Herd zu warten, die Wäsche zu versorgen. Zu ihren Aufgaben gehörte es, das Vieh zu tränken, zu füttern und auf die Weide zu führen, der Kühe und Ziegen Milch zu melken, der Schafe Wolle zu sche­ren, der Hühner Eier zu sammeln, des Ackers runde Furchen zu treiben und der Erde Gaben zu ernten, die Ebsel auf dem Treidelpfad zu lenken, die Esse in der Schmiede zu versorgen und den Brennofen in der Töpferei zu warten oder sich mit den anderen Springlingen zu vereinen, um in einem gemeinsamen Kraftakt einen im Schlamm versunkenen Karren wieder auf die Räder zu stellen oder mit dem Flaschenzug eine besonders schwere Last auf einen der Speicher am Hafen zu hieven.

      Bei all dem war Brachvogels Zirkel eng beschränkt und immer hatte er auf das Genaueste den Anweisungen und Befehlen seiner Weisungsfrau Folge zu leisten. Und so kehrte, putzte, scheuerte, feudelte, wusch, sammelte, schabte, pulte, zupfte, klaubte, sortierte, harkte, hackte, hob, schleppte, jätete, ackerte, rackerte und fronte er, dass es eine Art hatte, bis er spätabends oder frühmorgens – wenn der Arbeitstag wie jetzt ein Mondtag war – todmüde in seine Butze sank. In sein Tagwerk eingespannt war er wie in ein Fass gesperrt, das in rasendem Lauf einen steilen Abhang herunterrollte und ihn am Ende eines jeden Tages im Felsengrund zerberstend wieder aus der Zwinge entließ, ohne dass er etwas Lebenswertes gefühlt oder geschaffen hätte.

      Er neidete den Jagdfrauen ihr Tun, die nie­mandem Rechenschaft abzulegen hatten und un­gebunden weit auf den Ebenen umherschweiften, um das gebogene Wurfholz nach Vögeln und die Bola nach größerem Wild kreisen zu lassen.

      Gerne wäre er auch wie sein Freund Agror Gehilfling der Schmiedin Ferruma, Eisenfrau genannt. Zwar wich wahrscheinlich auch Ferruma unter dem ehernen Gebot der Einhaltung der Tradition keine Spanne von dem seit Frauengedenken ausgetretenen Pfad und ließ ihre Gehilflinge unter dem ewigen Gleichklang von Hammer und Amboss tagein und tagaus die ewig immer gleichen Dinge anfertigen. Aber immerhin schuf sie etwas, das nützlich und von Dauer war, und erschöpfte sich nicht in sich täglich wiederholender Fron, aus der nichts Bleibendes erstand. Sie konnte ihn gut leiden und verwehrte es ihm nicht, seine Zeit in der Schmiede zu verbringen, wann immer es ihm möglich war. Er liebte das unergründliche Glühen der Essen, das helle Klingen der Hämmer auf den Ambossen, den leicht bissigen Geruch von Holzkohle, der über allem lag, das tiefe Seufzen der Blasebälge, die die Essen mit Luft versorgten und das scharfe Zischen des weißglühenden Metalls, wenn es zum Abkühlen ins Wasser getaucht wurde. Er durfte zwar nichts anfassen, saugte aber alles, was er sah, begierig in sich auf. So hatte er beobachtet, wie die Eisenfrau und ihre Gehilflinge prüften, ob ein Werk­stück heiß genug war, um bearbeitet zu werden: Sie spuckten darauf. Wenn der Speichel sofort zischend verdampfte, war das Metall noch nicht bereit. Wenn der Sputum sich aber zu kleinen Tröpf­chen zusammenballte, die, bevor sie ver­gingen, auf dem Metall herumsprangen, wie die fla­chen Steine, die Brachvogel über die Wasseroberfläche der Gleiß schnellen ließ, war es richtig.

      Wenn er es irgend ermöglichen konnte, ließ Brachvogel nach der Fron des Tages oder der Nacht den Wall der Klave hinter sich, um am Ufer des Flusses oder unter den Bäumen des Waldes seinen Gedanken und Fantasien nachzuhängen. Es war dies die Zeit des Untergangs oder Aufgangs der großen Gestirne, die Stunde der Dämmerung, die er so sehr liebte. Luna oder