Harley Barker

Love and Crime


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Hundert Meter weiter rechts befindet sich das Polizeigebäude, in dem mein Vater arbeitet, und die Feuerwehr.

       Immer zwei Stufen auf einmal nehmend gehe ich nach oben und will die Tür aufdrücken, als sie jemand auf der anderen Seite öffnet und sie mir beinahe ins Gesicht knallt. Ich kann schnell genug ausweichen, wobei ich das Gleichgewicht verliere. Bevor ich die Treppen hinunterfallen kann, greift jemand nach meinem Handgelenk und hindert mich so daran.

       Es dauert, bis ich realisiere, dass es derjenige ist, wegen dem ich erst zur Seite gesprungen bin. Und bei noch genauerem Hinsehen erkenne ich, dass mir ein älterer Streifen-Polizist gegenüber steht.

       „Sorry, ich habe Sie überhaupt nicht wahrgenommen“, entschuldigt er sich.

       „Kein Problem. Ich ziehe das Pech förmlich an. Erst gestern wurde mein Auto aufgebrochen und in dem Haus meiner Eltern befanden sich Einbrecher“, erkläre ich und ziehe die Schultern ein Stück nach oben. So zeige ich ihm, dass es mich nicht stört. In gewisser Weise habe ich mich mittlerweile dran gewöhnt, dass mir ständig irgendein Mist passiert. Meine Ankunft hier war ja auch nicht unbedingt besser.

       „Du bist die Tochter von Barker“, stellt er fest, nachdem er überlegt hat. Sein Gesicht erhellt sich merklich. „Ich bin Rayn Henderson.“

       „Ja, die bin ich“, erwidere ich hingegen nur.

       „Willkommen in Tarpon Springs. Ich hoffe, der heutige Tag wird besser als gestern.“ Mit einem frechen Grinsen auf dem Gesicht betrachtet er mich. Die Geste sorgt dafür, dass ich mir sicher bin, dass es mittlerweile die Runde gemacht hat und jeder darüber in Kenntnis gesetzt ist, was geschehen ist.

       Eigentlich wollte ich nach meinem Termin hier meinem Dad noch einen Besuch abstatten. Unter den Voraussetzungen lasse ich es aber lieber sein.

       „Danke“, gebe ich nur freundlich zurück und gehe an ihm vorbei. „Ich bin mir sicher, dass wir uns noch einmal über den Weg laufen werden.“

       Henderson nickt einmal kurz, ehe er sich umdreht und ebenfalls verschwindet. Ich bleibe an Ort und Stelle stehen und schaue ihm nach.

       „Aber glaube ich nicht, dass es ruhiger bei mir wird“, flüstere ich leise, ehe ich im Inneren des Gebäudes verschwinde.

      6

       Ich habe zwei Staatsangehörigkeiten. Zwei! Eigentlich sollte man meinen, dass es die Sache einfacher macht. Schließlich bin ich keine Einwanderin in dem Sinne. Dennoch sieht die Sache ein wenig anders aus.

       Bereits vor ein paar Wochen habe ich einen Haufen Unterlagen zugeschickt bekommen, die ich ausfüllen musste, oder die ich ausfüllen lassen musste. Und nun sitze ich vor der Verwaltungsangestellten und schaue ihr zu, wie sie auf jedes zweite Dokument, zumindest kommt es mir so vor, ein Siegel stempelt und sich das nächste vornimmt. Zwischendurch habe ich sogar die Befürchtung, dass sie einen Grund dafür findet, nein zu sagen. Schließlich kann ich es nicht mal eben ein zweites Mal ausfüllen lassen.

       Doch nach einer Stunde stehe ich endlich wieder draußen auf dem Bürgersteig und kann durchatmen. Ich hasse solche Gänge. Vor allem deswegen, weil sie immer Wörter benutzen, von denen ich mir sicher bin, dass ein paar darunter sind, die sie selber nicht verstehen, nur um sich wichtig zu fühlen. Und genauso geht es mir jetzt auch. Mein Kopf schwirrt, weil sich so viele Informationen darin befinden, dass ich sie gar nicht alle auf einmal verarbeiten kann. Aber die Hauptsache ist, dass alles nun durch ist und ich mir darüber keine Sorgen mehr machen muss.

       „Was machst du denn hier?“, dringt die tiefe Stimme meines Vaters zu mir hindurch. Ich drehe mich in seine Richtung und erkenne, dass er mit zwei Männern, die vielleicht nur ein paar Jahre älter sind als ich, vor einem Wagen steht und sich unterhält.

       „Nachdem ich vorhin beinahe von einem deiner Kollegen über den Haufen gerannt worden wäre, habe ich meine Unterlagen beim Rathaus abgegeben und bin nun ganz offiziell eine Einwohnerin von Tarpon Springs“, erkläre ich ihm, wobei sich meine Laune wieder ein wenig hebt.

       „Das ist ja super. Dir steht nichts mehr im Weg.“ Freudig schließt mein Dad mich in seine Arme.

       „Wen haben wir denn da? Habt ihr Mal wieder einen Verbrecher gefangen?“, ruft einer der Polizisten. Kurz schaue ich zu ihm, bevor ich mich in die Richtung drehe, in die er sieht.

      Doch was ich da sehe überrascht mich. Einige Meter von mir entfernt steht der Typ, den ich am Flughafen gesehen habe.

       „Was?“, entfährt es mir. Ich bleibe neben meinem Dad stehen und schaue ihn an, als wäre er ein Alien.

       „Thomas ist nicht so gut auf Kopfgeldjäger zu sprechen. Die drei machen einen harten Job und waren uns schon öfters eine große Hilfe“, erklärt mir mein Dad.

       „Kopfgeldjäger?“ Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen nach oben.

       „Ja, das sind die, die …“, beginnt er mir zu erklären.

       „Ich weiß, was die machen“, unterbreche ich ihn und schüttle den Kopf.

       Klar, er ist breit gebaut und er ist sicherlich niemand, mit dem ich mich freiwillig anlegen würde. Genauso wie seine Freunde. Doch damit habe ich auch nicht gerechnet. Nun erkenne ich aber die Waffe, die er an seinem Gürtel trägt, und die Handschellen, die sich auf der anderen Seite befinden.

       „Die Jungs arbeiten für eine riesige Firma in Miami, die überall Außenstellen hat“, fährt er fort. So wirklich höre ich ihm nicht mehr zu. Noch immer verarbeite ich, dass ich mit einem Kopfgeldjäger zusammen gestoßen bin und keine Ahnung hatte. Ich war mir immer sicher, dass man sie sofort erkennen würde. Ich meine, man sie doch schon aus der Entfernung ausmachen können.

       Die letzten Minuten haben mir das Gegenteil bewiesen.

       „Na, Zane“, begrüßt mein Dad ihn, als sie an uns vorbeigehen. „Wen habt ihr jetzt wieder zurückgebracht?“

       „Nur zwei kleine Fische. Aber auch die müssen sich an die Regeln halten“, erwidert er und sieht mich an.

       Es kommt mir so vor, als würden sich all meine Sinne nur noch auf ihn konzentrieren. Es fällt mir schwer, mich nicht zu sehr von ihm einnehmen zu lassen. Um wenigstens ein wenig Desinteresse zeigen zu können, rufe ich mir in Erinnerung, dass mein Vater neben mir steht und zwei seiner Kollegen direkt hinter mir, die uns wahrscheinlich beobachten. Und es hilft, zwar nur ein wenig, aber besser als nichts.

       Mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen, was mein Herz schneller schlagen lässt, als wäre ich erst dreizehn, geht er an mir vorbei, steigt in seinen Ford Raptor und verschwindet, während seine Kollegen mit einem dunklen Geländewagen fahren.

      Er sieht so aus wie der, der vor unserem Haus stand. Ich erkenne, dass der hier viel größer ist. Und auch wenn es mich erleichtert aufatmen lässt, so hat es mir doch einen kleinen Schrecken eingejagt.

       Kurz bleibe ich noch so stehen und schaue ihnen nach. Doch als ich merke, dass mein Vater sich wieder auf mich konzentriert, reiße ich mich zusammen.

       „Ich werde mich jetzt auch auf den Weg machen und mir noch ein paar Autos anschauen. Vielleicht ist ja etwas dabei“, verabschiede ich mich schnell von ihm. Ich winke seinen Kollegen noch zu, bevor ich mit großen Schritten an ihm vorbeieile. So schnell wie möglich will ich von hier verschwinden.

       Ich spüre den Blick meines Vaters in meinem Rücken, bis ich um die nächste Ecke gebogen bin. Und auch, wenn ich gerade eigentlich in die falsche Richtung gehe, so ist es doch besser, als ihm eine Angriffsfläche zu geben.

       Es dauert ein wenig, bis ich das erste Autohaus erreicht habe. Auf den ersten Blick erkenne ich, dass hier nichts für mich zu finden ist, was ich mir leisten kann. In der Ausbildung habe ich nicht sehr viel verdient. Und das, was ich zurücklegen konnte, ging zum größten Teil für den Umzug drauf, sodass nicht viel übrig geblieben ist.

       Seufzend ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche heraus, als ich das leise Klingeln höre.