Harley Barker

Love and Crime


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„Ich bin Harley“, stelle ich mich ihr vor.

       „Ich habe Sie noch nie vorher hier gesehen“, überlegt sie und verzieht das Gesicht, als würde sie darüber nachdenken. Sie wendet sich aber nicht von mir ab.

       „Harley ist neu bei uns und eine der Besten, die man sich nur vorstellen kann“, erklärt Hannah, als sie kurz neben mir stehen bleibt.

       Mir liegen die Worte auf der Zunge, dass ich das bestimmt nicht bin. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass es im Salon Frauen gibt, die eindeutig besser sind als ich. Schließlich bin ich gerade erst aus der Ausbildung heraus. Mir fehlt die Berufserfahrung. Außerdem bin ich mir sicher, dass es noch einiges gibt, was ich lernen muss. Es wird mir hier und jetzt nicht helfen.

       „Auf geht's“, ruft Mrs. Morrison laut aus und zwinkert mir zu.

       Gerade frage ich mich, wie viel sie mitbekommen hat. Wahrscheinlich ist es besser, wenn ich mir nicht weiter den Kopf darüber zerbreche. Es würde mich nur ablenken und das kann ich gerade nicht gebrauchen.

       „Ich brauche ein wenig Abwechslung. Die Haarfarbe hängt mir mittlerweile aus den Ohren raus. Ich habe sie nun schon seit Jahren.“ Um ihre Worte zu unterstreichen, streckt sie die Zunge heraus und verzieht das Gesicht.

       „Eher einen schlichten Ton oder einen auffälligen?“, erkundige ich mich. Ich kann mir gerade noch verkneifen leise zu lachen.

       „Auffällig“, antwortet sie mir sofort, ohne weiter darüber nachzudenken.

       „Wie wäre es mit rot?“, frage ich sie, während ich sie mir mit einem schrillen Rotton vorstelle.

       „Nur wenn es der Ton ist, den die Frau auf dem Bild im Schaufenster trägt“, weist sie mich an.

       „Das bekomme ich hin.“ Ich weiß genau, welchen sie meint. Bevor ich vorhin hereingekommen bin, habe ich das Bild selber noch betrachtet und kurzzeitig sogar überlegt, ob ich mir meine nicht auch in dem Farbton färben sollte. Ich muss zugeben, dass ich nicht mutig genug dafür bin.

       Die nächsten zwei Stunden verbringe ich damit, ihr die Haare zu machen. Je mehr ich mich dem Ende nähere, umso nervöser werde ich. Sie macht zwar nicht den Anschein auf mich, als würde sie es schrecklich finden, doch so genau achte ich auch nicht auf ihren Gesichtsausdruck.

       Als ich sie fertig habe, bleibe ich hinter ihr stehen und halte gespannt die Luft an, während ich den Spiegel von rechts nach links und wieder zurückbewege, damit sie alles begutachten kann. Endlose Sekunden vergehen, während sie sich aufmerksam betrachtet. Es dauert nicht lange, bis meine Lungen brennen, da ich den Atem angehalten habe. Doch ich bin nicht in der Lage zu atmen, egal wie oft ich es mir in Erinnerung rufen. Ich komme mir vor, als würde ich gerade in einer Prüfung sitzen. Und in gewisser Weise tue ich das ja auch.

       Eine Prüfung, die über meine Zukunft entscheidet.

       Wie Mrs. Morrison darauf reagiert, hängt davon ab, ob ich den Vertrag bekomme. Ich muss zugeben, dass ich ihn gerne haben würde. Es gefällt mir hier zu arbeiten. Alle sind lieb und hilfsbereit. Ich habe das Gefühl, als wäre das hier der richtige Laden, um die Erfahrung zu sammeln, die ich brauche.

       „Sally“, ruft Mrs. Morrison in der nächsten Sekunde so laut, dass ich erschrocken zusammenzucke. Langsam, beinahe in Zeitlupe, drehe ich mich um und sehe Sally nur ein paar Schritte von mir entfernt stehen. Sie hat sich an eines der Waschbecken angelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr aufmerksamer Blick ruht auf den Haaren, die ich frisiert habe.

       Wenn ich gerade schon nervös war, so fühlt es sich jetzt an, als würde ich sterben, und zwar nicht nur einen Tod. Tief in mir drin hatte ich gehofft, dass Mrs. Morrison schon lange verschwunden wäre, bevor Sally auftaucht. Nun frage ich mich aber, wie lange sie schon da steht und mich beobachtet.

       Oder war sie die ganze Zeit über anwesend? Alleine der Gedanke reicht aus, dass mir wieder schlecht wird. Ich wollte mich sicher geben und zeigen, dass mir bewusst ist, was ich da mache. Die Wahrheit ist aber, dass ich es nicht immer wusste. Und ich bin mir sicher, dass man das auch genau gemerkt hat.

       Langsam kommt sie näher und wendet sich nicht ab.

       „Ich habe doch gesagt, dass sie es darauf hat“, verkündet Sally schließlich und lächelt stolz. Doch da ist noch etwas anderes. Etwas Überhebliches, was ich in ihrem Gesicht erkennen kann. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich mich nicht einfach nur irre.

       „Ja, das hast du. Und wieder einmal hattest du recht. Ich würde gerne erfahren, woher du deine Talente nimmst, doch ich wünschte, dass ich auch die Gabe habe und die perfekten Angestellten mit nur einem Blick erkennen kann. Davon bin ich ganz weit entfernt. Deswegen könnte ich mir auch in den Hintern treten, dass ich immer wieder die bescheuerte Wette mit dir eingehe.“

       Mein Mund öffnet sich. Doch da ich keine Ahnung habe, was ich eigentlich dazu von mir geben soll, schließe ich ihn wieder. Schweigend stehe ich daneben und versuche ihrer Unterhaltung zu folgen. Doch auch das kann ich nicht.

       „Tja, Schwesterherz. Die einen können es und die anderen nicht.“ Sally strahlt regelrecht.

       „Sie sind Schwestern?“, frage ich. Ich schaue zwischen den beiden hin und her und halte nach Gemeinsamkeiten Ausschau. Doch egal wie sehr ich es versuche, ich finde nichts.

       „Ich bin die Ältere von uns beiden“, verkündet Mrs. Morrison und steht auf. „Sie geht nach unserer Mutter, während ich eher wie unser Dad bin.“ Sie greift nach ihrer Tasche und geht an mir vorbei. „Willkommen“, sagt sie noch, nachdem sie sich ein letztes Mal in meine Richtung gedreht hat. „Und wir sehen uns heute Abend.“ Mit den Worten verschwindet sie.

       Ich hingegen bleibe stumm an Ort und Stelle stehen. Noch immer versuche ich zu verarbeiten, was hier gerade geschehen ist. Doch so wirklich kann ich es nicht. Langsam schaue ich zu den anderen, die anscheinend nichts davon mitbekommen habe. Sie kümmern sich um ihre eigenen Sachen und beachten uns überhaupt nicht.

       „Wenn meine Schwester begeistert ist, bist du wirklich gut. Aber ich habe ehrlich gesagt nichts anderes erwartet.“ Während sie spricht geht sie an mir vorbei und bedeutet mir, dass ich ihr folgen soll.

       „Soll ich das nicht aufräumen?“, erkundige ich mich.

       Sally dreht sich kurz zu mir und schüttelt den Kopf, nachdem sie den Platz in Augenschein genommen hat. „Das kannst du später machen. Jetzt werden wir uns erst einmal um den Papierkram kümmern“, erklärt sie und geht weiter. „Ich bin immer froh, wenn ich das hinter mir habe. Ich bin keine von den Frauen, die Büroarbeiten liebt. Ich mache eher die anderen Sachen viel lieber.“

       Während ich ihr folge, sehe ich Hannah, die mir zuzwinkert und glücklich strahlt. Gleichzeitig hält sie die Daumen nach oben. Ich hingegen kann es noch immer nicht glauben, das werde ich wahrscheinlich auch noch nicht, wenn ich den unterschriebenen Vertrag in meinen Händen halte.

       Gemeinsam betreten wir den Aufenthaltsraum, wo Sally plötzlich stehen bleibt, sodass ich in sie hineinlaufe.

       „Sorry“, murmle ich, während ich mein Gleichgewicht wieder suche und einen Schritt nach hinten mache.

       „Was machen Sie hier?“, fragt meine Chefin mit energischer Stimme. Ich hingegen schaue verwirrt an ihr vorbei. Doch kaum kann ich in den Raum blicken, entdecke ich einen großen und gefährlich wirkenden Mann, der neben dem Tisch steht und meine Tasche in der Hand hält. Ohne darüber nachzudenken, mache ich einen Schritt an Sally vorbei und auf ihn zu. Ich verspüre keine Angst oder so. Nein, ich will meine Tasche wieder haben.

       Er ist nicht so breit gebaut wie Zane, dennoch hat er etwas Furchteinflößendes an sich. Und in gewisser Weise erinnert seine Statur mich an den Typen, der in unser Haus eingebrochen ist.

       Der Gedanke erschreckt mich. Er sorgt dafür, dass ich wie angewurzelt stehen bleibe. Mein Blick wandert zu der Tasche, die er noch immer in der Hand hält. Ich will sie wieder haben, aber nicht so sehr, dass ich mich auf ihn stürzen werde. Das ändert aber nichts daran, dass ich keinen Zweifel daran lasse.