Ewa A.

Lord of the Lies - Ein schaurig schöner Liebesroman


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in dessen Mittelpunkt ein goldener Lindenbaum prangte. Verwundert beobachtete Pearlene, wie sich die Tür öffnete und ein großer braunhaariger Mann in dunklen Kleidern ausstieg. Er blieb auf den Pflastersteinen vor der Eingangstreppe stehen, hob den Kopf und schaute zu ihrem Fenster hinauf, direkt in ihr Gesicht. Atemlos ließ Pearlene sogleich die Vorhänge zurückfallen und machte einen Schritt nach hinten.

      Sie hatte die Züge des Besuchers nicht deutlich erkennen können, aber die blauen Augen gehörten eindeutig einem Lyndon-Zwilling. War das etwa Arden, der Grand Duke? Vermutlich, nach der Wahl seiner Kleider zu urteilen schon. Herr im Himmel, was hatte das zu bedeuten?

       *

      In grimmiger Entschlossenheit stieg Arden aus der Kutsche. Immer wieder sagte der Grand Duke sich, dass es das einzig Richtige war, dies zu tun, auch wenn ihn das schlechte Gewissen plagte. Aber letztendlich war es die beste Entscheidung, sowohl für die Baroness und deren Familie als auch für seine. Selbst wenn es Bradford nicht gefallen würde, er konnte darauf keine Rücksicht nehmen. Es stand für beide Parteien weitaus mehr als nur ihre Familienehre auf dem Spiel. Bei Gott, es war wahrlich kein Spiel, schon lange nicht mehr!

      Sein Blick wanderte betrübt über die Fassade des Gebäudes, in dem die Baroness zurzeit wohnte. Es war das Stadthaus ihres Onkels, dem ebenso sein Besuch galt. Für einen kurzen Moment sah er das zarte Gesicht der Baroness hinter einem der oberen Fenster. Der Grand Duke hatte keine Zweifel daran, dass sie es war, denn ihr auffällig verlockender Mund war unverwechselbar. Leider verschwand die junge Frau jedoch aus seinem Sichtfeld. Arden schmunzelte, denn der kleine unerwartete Stich in seiner Brust, den ihr Anblick ausgelöst hatte, bestärkte ihn umso mehr in seinem Entschluss.

      Beschwingt erklomm er die Stufen und benutzte den bronzenen Türklopfer, dessen tiefes Dröhnen unüberhörbar durch das Haus hallte. Ein Diener öffnete schließlich die Tür und Arden stellte sich vor.

      »Ich bin Grand Duke Lyndon und habe ein dringendes Anliegen, das ich mit Lord Clifford persönlich zu klären habe.«

      Der Diener verbeugte sich. »Willkommen, Grand Duke. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet. Ich unterrichte meine Lordschaft über Euren Besuch.«

      Arden nickte und betrat das Haus. Der Bedienstete brachte ihn in ein Schreibzimmer, das dem Anschein nach bloß dem Herrn des Hauses vorbehalten war, und ließ ihn allein. Der Grand Duke sah sich interessiert um. Das Zimmer war mit einem massiven Schreibtisch und mehreren Regalen bestückt, in denen Bücher und Schriftrollen fein säuberlich verwahrt ruhten. Neugierig ging Arden auf die Schriftstücke zu, als sein Fuß plötzlich gegen etwas stieß, das lautlos über den Teppich rollte. Der Grand Duke bückte sich nach dem Gegenstand, der sich als Siegelring herausstellte. Er betrachtete das Schmuckstück, welches er zwar für wertvoll, aber auch für hässlich befand, und legte es auf den Schreibtisch, von dem es offensichtlich heruntergefallen war.

      Alles in dem Zimmer wie auch die Vorhalle des Hauses, die Möbel und das überaus gepflegte Personal deuteten darauf hin, dass die Familie Clifford sehr wohlhabend war. Nach den Informationen, die er über sie in Erfahrung gebracht hatte, war das keine Überraschung. Pearlene war eine wohlerzogene Lady und ihr Ruf, wie der ihrer Sippe, war bis heute Morgen untadelig gewesen. Daher stand einer Verbindung ihrer zwei Familien nichts im Wege. Nein, im Grunde war sie sogar wünschenswert. Sehr sogar, wenn er genauer darüber nachdachte.

      Die Tür öffnete sich und Pearlenes Onkel trat ein. Lord Clifford ging mit forschem Schritt auf Arden zu und reichte ihm die Hand.

      »Grand Duke Lyndon, es ist mir eine Ehre, Euch in meinem Haus begrüßen zu dürfen. Nichtsdestotrotz bin ich mir darüber im Klaren, dass Euer Erscheinen lediglich mit den unglaublichen Geschehnissen der vergangenen Nacht zusammenhängt.«

      » Ich danke Euch für die freundliche Begrüßung. Ja, die Umstände zwingen uns alle, nun schnell zu handeln, um größeren Schaden abzuwehren.«

      Der Lord nickte und zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch. »Setzen wir uns.«

      Arden nahm Platz und beobachtete, wie der rothaarige Mann sich hinter den Schreibtisch setzte. Während der Lord begann, Ordnung auf dem Pult zu schaffen, und verschiedene Dinge in die Schubladen verstaute, trug der Grand Duke sein Anliegen vor.

      »Wir beide wissen, dass die kompromittierende Situation im Beaumont Park, in der sich mein Bruder und Eure Nichte heute Morgen wiederfanden, uns nur einen Ausweg lässt. Die beiden müssen heiraten. Mit anderen Worten: Ich bitte im Namen meines Bruders, Bradford, um die Hand Eurer Nichte, der Baroness Pearlene Clifford.«

      »Natürlich und ich denke, ich spreche für meinen Bruder Wilburn, wenn ich sage, dass wir Euer Eingreifen und Euren Antrag sehr zu schätzen wissen. Selbstverständlich werde ich Pearlene und ihrem Vater den Antrag Eures Bruders zukommen lassen. Ohne Euch Hoffnungen machen zu wollen, denke ich jedoch, dass beide zustimmen und den Antrag annehmen werden. Zugegebenermaßen ist dies die beste Alternative für meine Nichte, sie kann sich glücklich über diese Lösung ihrer misslichen Lage schätzen. Vermutlich werdet Ihr ebenso froh darüber sein, dass Euer Bruder in den Stand der Ehe eintreten wird.«

      Arden holte tief Luft und lehnte sich in seinen Sessel zurück. »Wohl wahr, Mylord, auch wenn mein Bruder dies anders sehen wird. Aber er wird den gestellten Erwartungen nachkommen, dafür werde ich persönlich sorgen.«

      Kritisch sah der Lord auf. »Wie mir scheint, können wir uns beide nicht vollkommen sicher sein, dass die zwei Betroffenen ihr Einverständnis zu einer Ehe geben werden?«

      Die Augenbrauen des Grand Duke zogen sich zusammen. »Ihr solltet Eurer Nichte deutlich machen, dass sie sehr wahrscheinlich nur knapp dem Jungfrauenmörder entgangen ist. Denn sie wurde von einem Unbekannten verschleppt und nicht wie Bradford von seinen übermütigen Freunden entkleidet und in jener Gondel abgelegt. Diese wussten nicht, wie sie mir vor wenigen Stunden versicherten, dass die Baroness ebenfalls in dem Boot lag. So gern man diese jungen Männer deswegen zur Verantwortung ziehen möchte, muss man ihnen jedoch vielmehr dankbar sein, da durch ihr Auftauchen und ihr tolldreistes Handeln der Baroness das Leben gerettet wurde. Was aber auch bedeuten könnte, dass sie noch immer in Gefahr schwebt – wenn sie noch Jungfrau ist, nach gestern Nacht. Was uns zum nächsten Argument für diese Ehe führt: Was, wenn sie keine Jungfrau mehr ist und letzte Nacht möglicherweise ein Kind gezeugt wurde? Auch wenn dies nicht den Tatsachen entsprechen sollte, sich die Beteiligten an nichts dergleichen mehr erinnern, können wir es nicht ausschließen. Abgesehen davon glaubt die Öffentlichkeit bereits jetzt schon, dass der Akt vollzogen wurde.«

      Lord Clifford hob sein Kinn, an dem er sich gemächlich kratzte. »Ihr habt Recht, das alles sollte man bedenken.«

      » Wir können den Eklat nur aufhalten, indem die beiden auf der Stelle eine Verlobung eingehen und in drei Wochen die Hochzeit stattfindet. Wundersamer Weise wird einem verheirateten Paar jeder vorangegangene Fehltritt alsbald verziehen, aber Ledigen werden sie zum Verhängnis. Keiner von uns wünscht sich die Ächtung der Gesellschaft und die damit verbundenen Einbußen.«

      Die Augen des Lords wanderten aufmerksam über die Gestalt des Grand Duke. »Nein, das liegt weder in Eurem noch in unserem Interesse. Auch darin sind wir uns einig. So wie es aussieht, müssen wir beide zum Wohle unserer Familien Überzeugungsarbeit leisten. Ihr bei Eurem Bruder und ich bei meiner Nichte.«

      Arden nickte.

       *

      Ihre Hände aneinanderreibend wanderte Pearlene in ihrem Zimmer auf und ab. Wie lange würde das Gespräch zwischen ihrem Onkel und dem Grand Duke noch dauern? Würde man sie denn nicht dazu rufen?

      Reeva stand am Fenster und lag auf der Lauer, um Ardens Fortgehen zu überwachen. Schließlich begann sie, begeistert zu kommentieren: »O mein Gott, er hat gerade das Haus verlassen und steigt jetzt in die Kutsche ein.« Mit strahlendem Gesicht drehte sie sich zu ihrer Cousine um, deren Nervosität von Minute zu Minute stieg. »Gleich werden sie dich hinunter bitten. Oh, Pearlene, das ist so aufregend!«

      Pearlene spürte ihr eigenes Herzklopfen bis in den Hals hinauf. Es gab nur zwei mögliche Nachrichten, die der Grand Duke ihrem Onkel hatte überbringen können: Die eine