Ewa A.

Lord of the Lies - Ein schaurig schöner Liebesroman


Скачать книгу

Kopf zuckte, während sie nach einem passenden Wort suchte, dass er ihr nicht wieder falsch auslegen konnte. Da ihr jedoch kein unverfängliches einfiel und sie glaubte, dass er, egal was sie sagte, sie weiter herausfordern würde, gab sie auf. »… Aussagen zu kompromittieren.« Mit einem Blick, der Bradford zu einem Staubkorn degradieren sollte, herrschte sie ihn von oben herab an: »Ich verbitte mir, von Euch noch mal belästigt zu werden.«

      Mit Schwung drehte Pearlene ihm den Rücken zu und schritt mit erhobenem Haupt davon.

      Bradford seufzte leise und betrachtete andächtig Pearlenes grazilen Nacken, um den sich blonde Locken schlangen. Der Duke bereute ein wenig seine forsche Vorgehensweise, mit der er die Baroness offensichtlich zu sehr erschreckt hatte. Aber so war nun mal seine Art und daran konnte und wollte er nichts ändern. Zumindest jetzt noch nicht. Schade, dass sie nicht darauf eingegangen war, denn sie war das Bezauberndste, was ihm seit Langem untergekommen war. In jeglicher Hinsicht.

      Pearlene betete um Contenance und darum, dass keiner der Anwesenden, die sie sowieso schon neugierig beäugten, ihre Unterhaltung mit dem Duke belauscht hatte. Sie hoffte, ihre Aussicht auf einen Bewerber nicht vollends verspielt zu haben. Die ganzen Aufregungen des Abends setzten ihr mittlerweile stark zu. Jetzt kamen zu ihrer Übelkeit, die von den Erzählungen der Mordfälle ausgelöst worden war, noch Hitzewallungen und Schwindel hinzu. Ihre Beine wurden immer schwerer, wie ihre Lider. Vermutlich hatte sie Luftmangel, denn die ganze Zeit hatte es ihr den Atem verschlagen, seit Arden aufgetaucht war. Bestimmt lag es an ihrem Mieder, das sie zu straff gebunden hatte. Sie sollte es ein bisschen lockern.

      Pearlene schleppte sich zu Reeva, die sie sogleich überfiel. »Wieso tanzt du nicht mit Bradford? Mein Gott, er hat dich regelrecht entführt und du lässt ihn einfach stehen?!«

      Schweißperlen rollten über Pearlenes Stirn und schwach griff die junge Frau nach dem Arm ihrer Cousine und flüsterte ihr zu: »Reeva, bitte! Mir geht es nicht gut. Ich muss unbedingt irgendwohin, wo ich frische Luft bekomme und mein Mieder lockern kann. Ich glaube, ansonsten falle ich in Ohnmacht.«

      Reeva erschrak und nahm zugleich die Blässe um Pearlenes Nase wahr. »Um Himmels willen, natürlich. Komm, wir gehen sofort zu der nächsten Bank, die außerhalb des Zeltes steht.«

      Hilfsbereit legte Reeva den Arm um ihre Cousine und geleitete sie zügig durch die Menge. Sie ließen ihre Begleiter mit einer kurzen Entschuldigung hinter sich, da sie keine Zuschauer bei dieser delikaten Angelegenheit brauchten. Unweit des Zeltes fanden sie eine verlassene Bank, die von Gebüschen umsäumt war. Pearlene war froh, sich hinsetzen zu können, denn eine ungeheure Mattheit überrollte sie, welche sie schier ihrer ganzen Kraft beraubte. Sie vermutete, dass sie sich bei ihrem Bruder angesteckt hatte und nun ebenfalls krank wurde.

      Während Pearlene sich Luft zu fächelte und damit begann, die Verschnürung ihres Mieders zu lockern, legte Reeva ihr das Retikül auf die Bank. Unglücklich kräuselte sich die Stirn der jüngeren Cousine. Ihr fiel auf, dass Pearlene immer langsamer wurde und schwankte. Sie musste so schnell wie möglich handeln.

      »Ich werde Mutter und Vater holen, Pearlene. Warte hier! Ich beeile mich und werde mit ihnen gleich zurückkommen. Dann bringen wir dich nach Hause.«

      Unsicher um sich schauend, überlegte Reeva, ob es die richtige Entscheidung war, denn auch ihr waren die Warnungen ihrer Eltern noch gegenwärtig, nicht allein im Park unterwegs zu sein. Da die Parkbank aber durch die Fackeln am Wegesrand gut beleuchtet war, sie zudem in der Nähe des Zeltes stand, ringsum viele Leute zu sehen waren und ihr so oder so keine andere Wahl blieb, beschloss sie, solange Pearlene noch bei Bewusstsein war, ihre Cousine diesen kurzen Moment allein zu lassen.

      »Rühre dich nicht vom Fleck, hörst du?!«

      Pearlene brachte nur noch ein Nicken zustande. Kaum hatte Reeva ihren letzten Satz ausgesprochen, setzte sie sich in Bewegung und schaute immer wieder über die Schulter, um zu überprüfen, ob Pearlene noch aufrecht saß. Sie hatte gerade das Zelt betreten, als ihre Eltern ihr entgegenkamen.

      Ihr Vater stellte sie sogleich zur Rede. »Reeva, du bist allein? Wo ist Pearlene?«

      »Schnell, Vater, ihr geht es gar nicht gut. Ich glaube, sie verliert jeden Moment das Bewusstsein.«

      »Was?«, rief ihre Mutter und fasste sich an die Brust. »Wo ist sie? Bring uns sofort zu Pearlene.«

      Zu dritt stürzten sie zu der Parkbank, wo Reeva Pearlene zurückgelassen hatte. Doch die Baroness Clifford war nicht mehr da.

      »Sie ist weg!«, keuchte Reeva aufgelöst. »Aber … gerade eben war sie doch noch da. Es war nur ein Augenblick.«

      »Bist du sicher, dass es diese Bank war, Reeva?«, fragte die Mutter besorgt.

      Reevas Vater hob etwas vom Boden auf. »Es ist die richtige Bank, denn das hier ist Pearlenes Retikül, ihre Stielbrille ist darin.«

      Reeva fing an zu jammern. »Wo kann sie nur sein, Vater? Sie muss doch hier irgendwo sein?«

      Das Gesicht der Mutter verzerrte sich vor Kummer und sie tauschte einen Blick mit ihrem Gatten. Sie hielten stille Zwiesprache und es war unverkennbar, dass jeder der beiden das Gleiche befürchtete.

      »Deana, gehe mit Reeva zu Marquess Shutterfield, sage ihm, wir vermissen die Tochter des Duke Clifford. Er soll sofort einen Suchtrupp zusammenstellen. Wir müssen so schnell wie möglich den Park durchkämmen. Jede Sekunde zählt. Ich werde gleich hier mit der Suche beginnen.«

      »Stuart?!«, hauchte Reevas Mutter ängstlich.

      »Geht! Jetzt! Vielleicht wollte Pearlene bloß zum See und ist unterwegs ohnmächtig geworden. Ich suche zuerst die nähere Umgebung ab.«

      Während sich Deana in heller Aufregung und mit einer weinenden Reeva auf die Suche nach ihrem Gastgeber machte, schlug sich Stuart ins Gebüsch.

      Kapitel 5

      Einem Schatten gleich bewegte er sich durch den Wald. Wie konnte eine schmächtige Person so schwer sein? Er hatte geglaubt, die Baroness durch den Park zum Ufer der Themse zu tragen, wäre ein kleineres Problem, als sie in einem unbeobachteten Moment zu betäuben und zu verschleppen. Aber da hatte er sich getäuscht. Es war wesentlich leichter gewesen, den beiden jungen Frauen aus dem Zelt zu folgen und hinter den Büschen auf den Augenblick zu warten, bis die Baroness allein auf der Bank zurückgeblieben war. Dass er dunkle Kleidung trug, gereichte ihm, wie immer in diesen Situationen, zum Vorteil und machte ihn in der Finsternis fast unsichtbar. Da die Baroness durch die Droge sowieso schon schwach und benebelt auf der Bank gesessen hatte, war es einfach gewesen, ihr aus dem Hinterhalt ein Äther-getränktes Tuch über Mund und Nase zu stülpen. Sie war gar nicht mehr in der Lage gewesen, sich gegen einen Überfall zu wehren. Es hatte danach nur Sekunden gebraucht, ihren schlaffen Körper in die Büsche zu ziehen und fortzuschleifen. Sofort hatte er sich dann mit ihr in das naheliegende Wäldchen verzogen, das neben den Panoramawegen entlang, um den See herum wuchs. Zwar wurde dieser Forst ab und an von Querpfaden durchbrochen, die von den Gärten zum Seeufer führten, aber dennoch würde sie hier drin niemand finden. Was ihm allerdings den Marsch erschwerte, waren das Unterholz, das unebene Gelände und vor allem die Röcke der Baroness, die er auf den Schultern trug. Er hatte ihr eine schwarze Decke umgelegt, damit ihre helle Kleidung nicht in der Dunkelheit auffallen würde, aber auch die hatte ein Gewicht und bewahrte die Spitzenbesätze ihrer Röcke nicht davor, im Gestrüpp hängenzubleiben. Mehr als einmal war er deswegen gestrauchelt, was zum einen schmerzhaft für seine Fußgelenke und zum anderen zeitraubend war. Er würde ewig brauchen oder sich noch die Knochen brechen wegen diesem Firlefanz.

      Schnaubend hielt der Mann inne und warf seine Last auf den Waldboden. Mit einem leisen Ächzen richtete er sich gerade auf, drückte seinen Rücken durch und hielt den Atem an, um in die Finsternis hineinzuhorchen. Von Weitem konnte er die Musik des Orchesters im Tanzzelt hören, ab und an auch ein lautes Rufen. Er schloss daraus, dass man bereits mit der Suche nach ihr begonnen hatte. Hastig zog er unter seiner Weste einen kurzen Dolch hervor, schlug die Decke beiseite und durchtrennte die Schulternaht des Oberkleides. Dies besaß eine lange Schleppe und hatte großes