Ewa A.

Lord of the Lies - Ein schaurig schöner Liebesroman


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’n Boot, Mann. Ich seh nur ’n Haufen … Dingens, so grünes Ssseug.«

      Grant packte seinen orientierungslosen Freund, drehte ihn zu dem See und deutete auf die dunkle Silhouette der Gondel.

      »Nich dort! Da, im Wassa!«

      Edvard gluckste: »Packen wir Brrrads Kleida da rein!«

      »Neiiiin!«, flüsterte Lester aufgeregt und erhob seinen Zeigefinger. »Ich weiß wasss viel Bessererees.« Ruckartig zeigte er auf den See und schwankte dabei. »Wir packen Brad da rein!«

      Nachdem alle begeistert zugestimmt hatten, schleppten sie Bradford mit vereinten Kräften zur Gondel.

      »Oh, da iss sogar ’ne Decke drin. Na, da hattas schön kuschschelig!«, nickte Edvard, als sie ihn in das Boot legten.

      Fröhlich prustete Lester: »Dann brauchta die Kleida ja nich mehr.«

      Grant stemmte sich gegen die Gondel und versuchte, sie ins Wasser zu schieben.

      »Was machst du ’nn da?«, fragte Fenton und hickste.

      Grant schüttelte bedröppelt den Kopf. »Iss doch ’n Boot. Und Boote schwimmen.«

      Das klang logisch in den Ohren der drei anderen und sie nickten zustimmend. Gemeinsam wuchteten sie die Gondel in den See. Zwar rutschten sie dabei aus, wurden nass und dreckig, aber das war den vieren egal. Zufrieden grinsend verharrten sie am Ufer und sahen zu, wie die Gondel mit ihrem Freund gemächlich auf die Mitte des Gewässers zu trieb.

      Kapitel 6

      Er wartete regungslos in seinem Versteck und horchte in die Nacht hinein. Sein schneller Herzschlag übertönte in seinen Ohren beinahe die lauten Männerstimmen, die zu ihm in das Gebüsch hallten. Er spürte, wie einzelne Schweißtropfen aus seinem Nacken den Rücken entlang rannen. Obwohl seine Muskeln und Sehnen langsam gegen die starre, zusammengekauerte Haltung rebellierten, zwang er sich so lange ton- und bewegungslos auszuharren, bis sich die Stimmen und damit die Männer entfernen würden. Da ihr Lärm nicht leiser wurde, vermutete er, dass die Gruppe auf der Wiese, nahe der Gondel, angehalten hatte. Die Angst, dass die Männer womöglich die Frau in dem gestrandeten Boot entdecken könnten, ließ ihn nervös schlucken. Erst nach einer Weile vernahm er, wie die Stimmen in die Ferne wanderten und schließlich nur noch die nächtlichen Geräusche des Waldes zu hören waren, die von den weit entfernten Rufen des Suchtrupps begleitet wurden. Er musste sich sputen, denn bald würden sie auch hier nach der Vermissten suchen.

      Schließlich wagte sich der Entführer aus dem Gebüsch und hastete auf Zehenspitzen, vorsichtig um sich schauend, über die Wiese, um an das Ufer des Sees zu gelangen. Doch als er dort ankam, war von einer Gondel nichts mehr zu sehen. Sie war verschwunden, samt seinem Opfer, welches er darin abgelegt hatte. Verwirrt drehte er sich um die eigene Achse.

      Er war sich sicher, dass das Boot hier gelegen hatte. Der Fels dort drüben und die Eiche daneben, sagten ihm, dass er sich nicht täuschte. Aber dennoch war weit und breit keine Gondel, keine betäubte Jungfrau auszumachen. Eine ungemütliche Hitze durchfuhr den Entführer, der von Panik erfasst wurde. Währenddessen tauchten immer mehr Fackeln in der Finsternis auf, die sich zügig in seine Richtung bewegten. Die Gefahr, von dem Suchtrupp aufgegriffen und der Entführung verdächtigt zu werden, wuchs mit jeder Sekunde. Eine Befragung oder Untersuchung seiner Person sowie seines Anwesens konnte er sich nicht leisten, denn zu viele Beweise würden zu Tage treten, die ihn mit den Kinder- und Jungfrauenmorden in Verbindung brachten. Das konnte er nicht zulassen, wie er ebenso nicht länger nach dem Mädchen suchen konnte, auch wenn der Meister darüber nicht sehr erfreut sein würde. Samael selbst hatte immer wieder betont, dass die Sicherheit des Zirkels vorginge. Jedes Mitglied, das entlarvt werden würde, könnte den gesamten Zirkel gefährden.

      Deshalb kannte keiner von ihnen die Identität des anderen. Sie sprachen sich nur mit ihren Decknamen an und waren von dem Meister angehalten worden, unbedingt bei jedem Treffen ihre Masken und Kutten anzulegen. Obwohl vieles von ihnen verlangt wurde, jeder seinen Beitrag leisten musste, war der rote Zirkel das Beste, was ihm je passiert war. Die Zeremonien und die Ideologie, die dahintersteckte und welche Samael verkündete, war genau das, wonach er schon immer gesucht hatte. Seine sexuelle Vorliebe für Kinder und sein Verlangen, ihnen Qualen zuzufügen, hatte er immer geheim halten müssen. Doch im Zirkel konnte er seine Wünsche ohne Hemmungen ausleben. Denn der Meister predigte, dass sie als Menschen das vollkommene Geschöpf seien und es ihre Pflicht als Stärkere wäre, ihr Begehren auf Kosten der Schwachen auszuleben. Für sie, die auserwählten Starken, die gottgleich wären, gäbe es keine gesellschaftlichen Zwänge und keine Konventionen, an die sie sich halten müssten, absolute Freiheit sei die oberste Maxime. Niemals würde er seine Brüder verraten. Sie waren eine eingeschworene Gemeinschaft.

      In Bedrängnis geraten überlegte der Teufelsanbeter nicht länger, sondern stahl sich in der Dunkelheit davon, ohne einen weiteren Gedanken an sein Opfer zu verschwenden.

      *

      Es war ein herrlicher Morgen. Der Himmel trug sein wolkenfreies azurblaues Sommerkleid, auf dem sich die Sonne in ihrer ganzen Pracht entfaltete. Die Vögel im Beaumont Park zwitscherten vergnügt ihr Morgenlied. Die Tautropfen, die auf den saftig grünen Grashalmen glitzerten, würden bald verdunstet sein, doch noch verliehen sie der Luft die kühle Frische eines neu anbrechenden Tages.

      Der Frühstückspavillon im Beaumont Park, der mitten im See lag und über einen langen Steg zu erreichen war, erfreute sich an diesem Morgen besonderer Beliebtheit bei den adligen Herrschaften. Denn es gab, weiß Gott, nach dem gestrigen Ball, den der Marquess Shutterfield veranstaltet hatte, genügend Neuigkeiten, die weitererzählt werden mussten. Die erhitzten Gemüter ließen die Gerüchteküche hochkochen.

      Auch Marquess Shutterfield war im Pavillon anwesend und nahm sein karges Frühstück ein, an einem Tisch mit direktem Blick auf den See. Er war noch immer entsetzt über den fürchterlichen Ausklang des Balls. Ihm gegenüber saß die beleibte Matrone Longbottom, die Pearlene am Abend zuvor belauscht hatte und nun voller Appetit ihren Porridge verspeiste.

      »Findet Ihr nicht auch, mein lieber Marquess, dass der Onkel der Baroness Clifford völlig die Fassung verloren hat gestern Nacht? Man konnte sein Brüllen bis in das Musikzelt hören. Es war fürchterlich.«

      Shutterfield schüttelte unmerklich den Kopf. »Angesichts der Jungfrauenmorde ist es vollkommen verständlich, dass der Bruder des Duke außer sich war und auf eine sofortige Suchaktion in der Nacht bestand. Der arme Mann trug schließlich die Verantwortung für seine Nichte, die ihm abhandengekommen ist. Es bleibt bloß zu hoffen, dass sie dem Jungfrauenmörder nicht zum Opfer fiel.«

      Die Matrone Longbottom schnalzte mit der Zunge. »Nun, könnte es nicht sein, dass die Baroness aus ganz anderen Gründen spurlos verschwunden ist? Schließlich hatte der berüchtigte Schwerenöter Duke Bradford Lyndon offenkundig Interesse an der unscheinbaren Baroness Clifford.«

      Der Marquess holte entrüstet Luft. »Madame, was Ihr andeutet, sind bloße Vermutungen. Es gab mehrere Zeugen, die bestätigten, dass die Baroness dem jüngeren Lyndon einen Korb gab und dieser letztendlich mit seinen Freunden in die entgegengesetzte Richtung den Ball verließ.«

      »Aber nichtsdestotrotz wäre es eine Möglichkeit. Und dazu eine weitaus gesündere für sie als die andere, wo sie als kopflose, geschändete Jungfrau enden würde«, erwiderte die Matrone mit einem einseitigen Schulterzucken.

      Ein plötzliches Getuschel an den benachbarten Tischen ließ den Marquess aufmerksam werden. »Was erregt die Leute denn so?«

      Neugierig sahen sich Shutterfield und die Matrone um und entdeckten die Ursache: eine einsame Gondel, die auf dem See trieb.

      Shutterfields Augen verengten sich. »Sitzt da ein Mann in dem Boot?«

      »Ja! Grundgütiger! Und er ist … nackt!«, staunte Lady Longbottom mit großen Augen.

      Indessen starrte der Marquess immer noch angestrengt auf den See. »Er ist nicht allein, da ist doch ...« Er verstummte, denn, was er sah, war skandalös.

      »Eine