Rüdiger Marmulla

The Fulfillment


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hat uns heute Abend zur Physikumsparty eingeladen. Wollen wir gehen, Lars?“ Lisa schaut mir in die Augen. Ich sehe, sie mag gerne mal raus.

      „Ja. Hat Kerstin heute Abend Zeit?“

      „Ich habe schon mit ihr gesprochen. Sie könnte es einrichten, zu kommen.“

      „Dann hat dieser Ulrich also seine Zahnärztliche Zwischenprüfung bestanden?“

      „Ja.“

      „Na, dann kann er ja als Cand. med. dent. die Familientradition fortsetzen. Warum brauchen die Zahnmediziner eigentlich ein Semester länger als die Humanmediziner bis zum Physikum?“

      „Na, Ulrich musste ja noch die ganzen Zahntechnikkurse machen. Und er musste Phantome behandeln.“

      „Phantome?“

      „Ja. Das sind Puppen aus Kunststoff, denen er Zahnersatz und Füllungen anfertigt.“

      „Ulrich hat eine Gummipuppe behandelt?“ Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

      „Es heißt ‚Phantom‘. Da legt Ulrich Wert drauf.“

      Es klingelt. Lisa geht an die Tür. Kurz darauf ruft sie mir zu: „Das ist Kerstin. Wir können los.“

      Als wir am Carolinum eintreffen, folgen wir dem süßlichen Geruch, der aus dem Untergeschoss zu kommen scheint. Ich schaue Lisa an. „Gibt es heute wieder eine Feuerzangenbowle?“

      Ulrich kommt uns aus dem Raum der Fachschaft entgegen. „Kommt, wir haben bereits angefangen.“

      „Gibt es eine Feuerzangenbowle?“

      „Ja. Im Carolinum wird allerdings kein Alkohol ausgeschenkt. Die Bowle ist ohne Umdrehung.“

      „Ja, das ist auch besser für mich während der Stillzeit.“ Lisa lächelt Ulrich an.

      Eine andere Kandidatin aus Ulrichs Semester singt voller Inbrunst und a capella „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn“. Sie hat eine phantastische Stimme. Ich frage mich, ob sie Gesangsunterricht nimmt. Lisa und ich hören ihr zu.

      Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n

      Und dann werden tausend Märchen wahr

      Ich weiß, so schnell kann keine Liebe vergeh'n

      Die so groß ist und so wunderbar

      Ich lache. „Also, dass der UIrich sein Physikum geschafft hat, ist wirklich ein Wunder. Jetzt können nach der Zahnärztlichen Zwischenprüfung tausend Märchen wahr werden.“

      Ulrich hört mich. „Ja, Lars. Und jetzt geht es an die Behandlung der Patienten. Jetzt beginnt der spannende Teil des Studiums.“

      Ich gehe zu Ulrichs Kommilitonin, die so schön gesungen hat und spreche sie an. „Du hast eine gut ausgebildete Stimme. Aber ich kannte das Lied gar nicht, das du gesungen hast.“

      „Der Text ist von Bruno Balz. Er engagierte sich im Dritten Reich in der Homosexuellenbewegung und wurde von der Gestapo mehrfach verhaftet. Nachdem er aus den Folterkellern der Geheimen Staatspolizei entlassen worden war, schrieb er das unvergessene Lied ‚Davon geht die Welt nicht unter‘. Beide Lieder sang Zarah Leander.“

      „Magst du das Lied auch singen? Ich würde es sehr gern hören.“

      Sie geht zu Ulrich. Der bittet alle Anwesenden um Ruhe. Dann singt seine Kommilitonin nochmals.

      Davon geht die Welt nicht unter

      Sieht man sie manchmal auch grau

      Einmal wird sie wieder bunter

      Einmal wird sie wieder himmelblau

      Ich frage, nachdem sie das Lied beendet hat, nach ihrem Namen. „Wie heißt du?“

      Sie lächelt. „Nenne mich Zarah.“ Dann verschwindet sie in der Menge der Studenten. Ulrichs Kommilitonin bleibt ein Geheimnis.

      Die Stimmung ist sehr ausgelassen, obwohl die Feuerzangenbowle alkoholfrei ist. Zwei frische Kandidaten der Zahnmedizin knutschen in der Ecke des Fachschaftsraums. Ich stoße Lisa an. „Ob die sich vorher auch die Zähne geputzt haben?“

      „Wieso?“

      „Na, wegen der Übertragung der Kariesbakterien…“

      „Keine Ahnung, Lars.“

      Ulrich zitiert gern aus der Feuerzangenbowle. Er hat seinen großen Auftritt mit einem Glas alkoholfreiem Punsch in der rechten Hand. Er spricht den Schüler Pfeiffer und seinen Lehrer:

      „‚Sehen sie, Pfeiffer, es ist nichts mit ihnen. Sie werden immer dümmer! In allen Fächern sind sie gut – nur in Deutsch werden sie immer schlimmer.‘

      ‚Deutsch liegt mir nicht, Herr Lehrer.‘

      ‚Ja, was wollen sie denn einmal werden, Pfeiffer?‘

      ‚Das weiß ich noch nicht.‘

      ‚Suchen sie sich einen Beruf, bei dem sie nicht viel zu schreiben haben. Am besten Zahnarzt.‘“

      Alle lachen und heben dann das Glas. Lisa und ich trinken feste mit. Mir ist die Bowle allerdings zu süß. Egal. Ulrich macht nur einmal Physikum.

      Neuigkeiten aus Tel Aviv

      Mein Holokrypt-Tattoo flasht. Ich nehme den Call an. Jaels Avatar erscheint über meinem Handgelenk. „Lars, wir können nächste Woche starten.“

      „Kommt nun doch ein Quantencomputer aus Tel Aviv?“

      „Ja. Er kommt mit einer Sondermaschine von El Al. Und er wird zwei Begleiter haben.“

      „Zwei Begleiter?“

      „Noah Rubinstein und Samuel Kaikov werden den Quantencomputer eskortieren.“

      „Nicht schlecht. Dann ist ja unsere alte Truppe fast wieder beisammen.“

      „Ja, Lars. Nur Abraham Mandelzweig ist nicht mehr unter uns.“

      „Manchmal denke ich noch an Abraham und vermisse ihn, Jael.“

      „Ich auch.“

      „Wann soll ich in Genf eintreffen?“

      „Kannst du schon am Montag da sein?“

      „Ich spreche mit Lisa. Ich denke, es sollte möglich sein.“

      Wir beenden das Gespräch. Lisa schläft noch. Gestern Abend ist es auf der Studentenparty spät geworden. Aber ich höre Maurice. Ich glaube, er möchte gestillt werden. Ich hole ihn und bringe ihn zu Lisa. Und da kommt auch schon Francis. Wie schön. Wir stehen jetzt alle auf. Und ich bereite uns das Frühstück vor.

      Francis beobachtet jede meiner Handbewegungen.

      Ich schäle Grapefruits und richte die Schnitze in einer Schüssel an. Dazu brate ich Rührei und toaste Brot. Auf dem Esstisch im Wohnzimmer decke ich den Tisch mit dem Frühstück.

      Francis setzt sich an den Tisch, und Lisa kommt mit Maurice zu uns. Sie legt ihn in eine Wippe, die auf dem Boden steht. Dann essen wir gemeinsam.

      „Hattest du heute Morgen schon telefoniert? Ich dachte, ich hätte dich sprechen gehört.“

      „Ja, Lisa. Jael sandte mir einen Call. Nächste Woche können wir unser Experiment starten. Bist du einverstanden, dass ich noch einmal für zwei oder drei Tage nach Genf fliege?“

      Lisa nickt. Ich freue mich, dass sie mit meiner Reise einverstanden ist.

      Goodbye

      Francis ist im Kindergarten. Lisa begleitet mich zusammen mit Maurice zum Terminal des Rhein-Main Airports. Am Gate haben wir noch kurz Zeit, uns voneinander zu verabschieden. Mein Boarding startet in zehn Minuten. „Ich liebe dich, Lisa.“

      „Ich liebe dich auch, Lars. Ich werde dich immer