Mark Prayon

Katakomben


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er, seine Ex anzurufen. Sie klang verschlafen, als sie sich meldete. Er wartete eine Sekunde mit der Antwort.

       „Ich bin’s, Marc.“ Marie schien überrascht. „Du bist es … Was willst du?“, fragte sie genervt. „Mit dir reden.“ „Ich weiß nicht, ob es noch Sinn macht“, erwiderte sie gelangweilt. Jetzt musste er sich ins Zeug legen. „Ich verlange gar nicht, dass du mir noch eine Chance gibst. Ich möchte nur, dass du mich anhörst.“ „Nur zu, ich spreche ja mit dir.“ „Ich möchte dich sehen, du weißt, dass wir nie gut miteinander telefonieren konnten.“

      Der Kommissar musste sich mächtig anstrengen, um sanft genug zu wirken. „Ich lade dich ein ins Café Leffe am Grand Sablon.“ Mit ihrem Lieblingslokal traf er den Nerv. „Vielleicht hast du recht und wir sollten wirklich mal reden, aber mach dir keine Hoffnungen.“ „Sagen wir heute Abend um acht?“ „Okay!“

      Van den Berg kam mit einem Strauß dunkelroter Rosen, er trug ein weißes Hemd, das er leger aufgeknöpft trug, darüber ein granitfarbenes Jackett von Versace. Marie präsentierte sich ganz anders als sonst, nämlich ungeschminkt und im grauen Strickpulli. Der Kommissar lachte ausgelassen und umarmte sie so innig, als sei alles in Butter. Sie bestellten Bier und herzhafte Speckröllchen. Wären sie in allem so ähnlich, wie in ihren kulinarischen Vorlieben, dann hätten sie kaum Probleme gehabt, dachte sich van den Berg, der sich Mühe gab, das Gespräch anzukurbeln.

      „Ich habe dich vermisst“, sagte er entschlossen. Marie sah ihn überrascht an, bevor sie ihn mit einem Wortschwall überschüttete. „Ist dir klar, dass es so nicht weitergehen konnte? Hast du mal überlegt, wann wir in letzter Zeit mal zusammen waren? Ich habe ja kapiert, dass du mit deinem Job verheiratet bist. Aber du musstest ja ständig auf deine bescheuerte Rennbahn, und wenn du bei mir warst, ich weiß nicht, an was du da gedacht hast. Weißt du, ich bin einfach nicht mehr an dich rangekommen. Ich habe dir so oft gesagt: Ändere was! Und was kam von dir? Immer nur die gleichen Floskeln! Ich habe das Gefühl, dass ich in deinem Leben nicht mehr wichtig bin.“ Wenn Marie sich einmal in Rage geredet hatte, war sie nur schwer zu stoppen – er begriff, dass sie jedes ihrer Worte ernst meinte. „Das stimmt doch alles nicht“, konterte der Kommissar unwirsch.

      „Ich habe dich ins Theater eingeladen, wir sind ans Meer gefahren, ich habe dir Blumen geschenkt.“ Marie musste lachen. „Natürlich hast du das, aber versteh doch! Darum geht es mir nicht. Ich brauche echt keinen Mann, der mich einlädt, der mich beschenkt – ich will einen, der für mich da ist, der Zeit investiert und der zuhört.“ „Du weißt, dass du einen wie mich nicht mehr finden wirst“, sagte der Kommissar ganz cool. „Denke an unsere Pläne – wir wollten Kinder, erinnerst du dich? Ist es dafür zu spät?“

      Van den Berg glaubte, dass er Marie umstimmen konnte, auch wenn sie es war, die redete. Er hatte sich vorgenommen, nicht ausfallend zu werden, sich ihre Kritik anzuhören und sachlich darauf zu reagieren. Er wusste, dass er keinen Fehler machen durfte. Als das Essen kam, brach die Unterhaltung ab. Marie konzentrierte sich ganz auf die Speckröllchen, die sie in den großen Stücken in den Mund schob.

      Nach dem Essen gähnte sie, um ihm klarzumachen, dass sie nach Hause wollte. Van den Berg spürte, dass es besser war, jetzt zu schweigen. Beim Verabschieden lachten sie. Der Kommissar war sich sicher, dass ihm Marie schon bald wieder aus der Hand fressen würde.

      3

      Ein Dutzend Polizisten waren in der Sondereinheit. Van den Berg hatte nicht die leiseste Absicht, die Kollegen bis ins letzte Detail in seine Kenntnisse und Pläne einzuweihen. Selbst Deflandre nicht, der sein engster Partner war. Und Vermeulen würde auch nur das zu hören bekommen, war er preisgeben wollte. Van den Berg wusste um sein Image als Einzelkämpfer und das war ihm herzlich egal. Deflandre war der Einzige, dem er vertraute. Manchmal brauchte er ihn, denn es gab Dinge, die nicht einmal van den Berg allein schaffen konnte.

      Ich muss Nicole anrufen, dachte van den Berg und griff im gleichen Augenblick zum Hörer. Sie nahm nicht ab - der Kommissar sprach ihr ein paar verbindliche Sätze auf die Mailbox. Nicole Vandereycken hatte bereits einen exzellenten Ruf als Polizeipsychologin, obwohl sie erst 27 war. Es war fast genau ein Jahr her, dass sie zusammen mit van den Berg einen Ritualmord aufklärte, der das ganze Land in Atem hielt. Sie hatten eine 17-jährige in der Badewanne gefunden, der man die Zunge herausgeschnitten hatte. Van den Berg hatte sich in verschiedenen Sackgassen festgerannt.

      Seinen Entschluss, eine Psychologin hinzuzuziehen, hatte er spontan gefasst und weil er nicht weiterkam. Nicole hatte keinen Schimmer von Polizeiarbeit, aber sie war klug - das hatte van den Berg schnell verstanden. Nicole war unvoreingenommen, dachte nicht in Konventionen, und sie war radikal. Die Psychologin legte los wie eine Dampfwalze, sie verdächtige jeden im Dunstkreis des toten Mädchens, die beste Schulfreundin, die Eltern, sogar die Großmutter. Die gesamte Verwandtschaft des Opfers war einem gnadenlosen Kreuzverhör ausgesetzt. Der Vater des Mädchens hatte einen Wutanfall bekommen, die Großmutter war in Tränen ausgebrochen, als sie begriffen, dass man ihnen den Mord zutraute.

      Van den Berg war fasziniert davon, wie cool die Psychologin Widerstände wegsteckte. Bei ihrer unerbittlichen Art, Gesprächpartner in die Enge zu treiben, fühlte sich der Kommissar mitunter an die spanischen Inquisitoren des 15.Jahrhunderts erinnert. Mit Finten und Halbwahrheiten hatte sie den Hauptverdächtigen schließlich erst in Widersprüche verwickelt und dann so sehr in die Enge getrieben, dass er mitten in der Nacht ein tränenreiches Geständnis ablegte. Nicole genoss im Brüsseler Kommissariat fortan mindestens Respekt. Nur sie selbst war nicht mit sich zufrieden gewesen, sie ärgerte sich, nicht schneller auf die Lösung gekommen zu sein. Van den Berg holte eine schwere Schwarte aus dem Regal, die er tags zuvor in einem Antiquariat erstanden hatte – die Geschichte der Habsburger. Seine Lieblingsfigur war Karl V, der in Gent geboren war, genau wie er. Ihn faszinierte, wie es die alten Kaiser geschafft hatten, ein Riesenreich durch geschickte Kriegsführung zu erobern, in dem die Sonne niemals unterging, aber vor allem, indem sie die richtigen Frauen heirateten. Große Herrscher wie Karl V, die waren seine Kragenweite. Manchmal stellte er sich vor, mit einem gewaltigen Heer in die Schlacht zu ziehen und in der Wiener Hofburg oder im Prager Hradschin zu residieren.

      Sein Interesse für das 16. und 17. Jahrhundert hatte auch damit zu tun, dass das mittlerweile so unbedeutende Belgien als Teil der spanischen Niederlande ein wichtiger Teil in Europa gewesen war. Es machte ihn traurig, dass die belgische Monarchie nur noch ein vergilbtes Abziehbild seiner ruhmreichen Vergangenheit war. Dennoch verfolgte er die Politik des belgischen Königs Albert II, an dem er dessen nicht ganz uneigennütziges Eintreten für die Einheit Belgiens schätzte. Flamen, die für die Loslösung Flanderns kämpften, machten ihn rasend.

      Van den Bergs Telefon schellte. Das geht aber schnell, dachte sich van den Berg. „Du hast Sehnsucht nach mir, Herr Hauptkommissar?“, fragte sie mit ihrer hellen mädchenhaften Stimme. „Du hast es erraten, aber Hauptkommissar bin ich deswegen noch lange nicht“, gab er mit einem lauten Lachen zurück. Nicole wurde ernster: „Ich hab schon gehört von dem Mädchen. Hört sich wirklich nicht schön an. Habt ihr schon was?“ „Willst du mich auf den Arm nehmen? Ich weiß gar nicht, wo wir anfangen sollen.“ „Dann ist ja klar, dass du mich angerufen hast!“ „Du weißt doch, ohne dich sind wir grundsätzlich aufgeschmissen“, flachste van den Berg. „Kannst du gleich kommen?“ „Wenn ich könnte, würde ich fliegen.“

      Eine halbe Stunde später flog van den Bergs Bürotür auf. Der Kommissar strahlte bis über beide Ohren, als die Psychologin vor ihm stand. Schon während der letzten Ermittlungen hatte ihn die attraktive Frau mächtig beeindruckt. Jetzt stand sie im Türrahmen seines schlichten Arbeitszimmers, ihre dunkelbraunen langen Haare hatte sie streng nach hinten gekämmt und zu einem Zopf geknotet. Die hautenge Jeans und die perfekt sitzende braune Lederjacke waren unheimlich sexy. Nicole hatte sich daran gewöhnt, dass Männer ihr, der Unwiderstehlichen, unterstellten, dumm zu sein. Offen ins Gesicht sagte ihr das niemand, aber zwischen den Zeilen konnte sie es oft genug heraushören. Für derartige Vorurteile hatte Nicole nur ein charmantes Lächeln übrig.

      Sie sprach selten darüber, dass sie in Paris und Barcelona studiert und ihr Diplom mit Auszeichnung gemacht hatte. Van den Berg wurde leicht nervös, als er auf ihren festen Arsch