Christian Jesch

Renaissance 2.0


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war denn das?", fragte einer von ihnen erschrocken.

      "Ein Schlagloch oder etwas Ähnliches", vermutete der Zweite mit dem Bart.

      "Frag doch mal über das Intercom nach, was passiert ist", schlug der dritte Mann vor, worauf hin ihn die beiden anderen mit einem leicht genervten Blick ansahen.

      "Was…?", fragte der unschuldig zurück.

      "Strom…", antworteten die beiden anderen wie im Chor.

      "Aaaah…."

      "Alles in Ordnung", wollte der Mann mit der Narbe wissen, der zuvor noch nach dem Intercom gefragt hatte.

      "Ich war das nicht", erwiderte der eine und der andere ergänzte "Ich auch nicht." Zwei weitere Taschenlampen gingen an und durchleuchteten das Innere. Sie hatten den Jungen nicht bemerkt, da sie weit hinten, an der Hecktür saßen, während er sich so gut wie eben möglich in die andere Ecke gedrängt hatte.

      "Wo kommst du denn her?" Die Überraschung stand den Männern ins Gesicht geschrieben.

      "Haben dich die Proteqtoren verhaftet?" Neniu sagte immer noch kein Wort.

      "Der Junge blutet", erkannte jetzt der mit dem Bart. "Und zwar nicht wenig, wie es aussieht."

      Jetzt sahen es auch die anderen. An der Stelle, wo ihn der Proteqtor beim Einsteigen angefasst hatte, war ein großer, dunkelroter Fleck auf seinem Shirt zu sehen. Einer der Männer näherte sich ihm vorsichtig. Dabei beobachtete er Neniu genau. Als dieser versuchte sich weiter zurückzuziehen, blieb der Mann stehen und machte dann zwei Schritte zurück.

      "Alles in Ordnung, Junge. Wir wollen dir nichts tun. Haben die Proteqtoren dich so zugerichtet?" fragte der Bart.

      Neniu schüttelte langsam und verängstigt den Kopf.

      "Wie ist das dann passiert?"

      "Kann ich nicht sagen.", waren seine ersten Worte. Doch vertrauensvoll klangen diese nicht.

      "Warum kannst du es nicht sagen?", wollte jetzt die Narbe wissen.

      "Ich weiß nicht."

      Die Männer waren ratlos. Was sollte das bedeuten? Alle drei schauten ihn befremdet an. Keiner von ihnen wusste, wie sie vorgehen sollten. Jeder fragte sich, was mit dem Jungen passiert war und entwickelte im Kopf seine eigenen Theorien.

      "Kann ich mir die Wunde einmal ansehen?", fragte jetzt wieder der Mann, der das Blut auf Nenius Shirt entdeckt hatte. "Nur ansehen", schränkte er ein. "Sonst nichts." Neniu überlegte, dann nickte er langsam. Der Mann kam näher und hob das Hemd vorsichtig nach oben, bis er die Wunde sehen konnte.

      "Das sieht verdammt übel aus", meinte er zu seinen Kollegen. "Besser, wir bringen ihn in eines unserer Hospitäler. Wenn ich das hier richtig sehe, ist die Wunde schwer entzündet und vereitert. Keine Ahnung, was passiert, wenn das nicht behandelt wird."

      "Schaut mal nach, ob hier ein Verbandskasten ist, Jungs. Vielleicht können wir schon einmal ein bisschen was ausrichten, wenn das für dich in Ordnung ist?", fragte der Bart mit Blick auf Neniu. Der überlegte wieder kurz und nickte dann zustimmend.

      Mittlerweile hatten die anderen beiden den Verbandskasten gefunden und reichten ihn weiter. Der Mann bei Neniu öffnete ihn, durchsuchte den Inhalt bevor er dann eine Spraydose hervorholte. Er warf einen kurzen Blick auf die Beschreibung, machte dann den Deckel ab.

      "Das ist ein Infektion hemmendes Sprühpflaster. Das wird jetzt brennen, wenn ich es auftrage. Versuch die Zähne zusammenzubeißen. Das Brennen geht nach einer Weile wieder weg."

      Neniu nickte etwas unsicher, schloss die Augen und biss die Zähne kräftig zu. Das Brennen entwickelte sich zu einem Flächenbrand, den der Junge kaum in der Lage war auszuhalten. Aber es ging nicht anders. Und jetzt, wo das Pflaster schon aufgesprüht war, konnte er sowieso nichts mehr machen. Tränen liefen ihm aus den Augen. Langsam ließen die Schmerzen nach, bis sie nur noch ein leichtes Ziehen waren. In der Zwischenzeit hatte sich der Mann auch die anderen Verletzungen angesehen. Immer wieder schüttelte er den Kopf. Was musste dem Jungen widerfahren sein, fragte er sich.

      "Warum möchtest du uns nicht sagen, wo du all diese Prellungen, Schwellungen, blauen Flecken und Wunden her hast?", wollte der Mann jetzt wissen.

      "Ich möchte es euch schon sagen", antwortete Neniu jetzt etwas mehr vertrauensvoll. "Aber ich weiß nicht, woher ich sie habe. Ich kann mich immer nur an die letzten paar Stunden erinnern."

      Nach diesen Worten schauten ihn alle ungläubig an, als hätten sie ihn nicht richtig verstanden. Keiner von ihnen hatte jemals so etwas gehört oder gar erlebt. Ein Junge ohne wesentliches Gedächtnis. Jeder von ihnen stellte sich vor, wie schrecklich das sein musste. Am liebsten hätten sie ihn gefragt, ob das schon immer so war. Aber diese Frage hätte er unmöglich beantworten können.

      "In Ordnung. Sobald wir mit unserem Auftrag fertig sind, bringen wir dich in ein Hospital."

      "Wer seid ihr eigentlich?", wollte Neniu jetzt neugierig wissen.

      "Wir sind Renegaten. Freiheitskämpfer, die gegen die Regierung und die Reichen antreten. Nach dem letzten Krieg hat die Regierung sich zunächst um die geschädigte Bevölkerung gekümmert", führte einer der Männer aus, "Jedoch bald erkannte sie, dass dies ein finanzielles Projekt ohne Boden war. Sie haben fünf Städte mit einer Biosphäre versehen, bis ihnen klar wurde, dass es einige Milliarden kosten würde auch alle andere Städte damit zu versorgen. Ab da hat die Regierung nichts mehr für uns getan."

      "Was ist eine Biosphäre?", führte Neniu das Gespräch weiter. "Und warum musste man die Städte damit versorgen?"

      "Eine Biosphäre ist eine Art riesiger Glaskuppel die ein bestimmtes Gebiet hermetisch umschließt", führte jetzt der Mann mit der Narbe aus. "Dies musste sein, da der letzte Krieg mit biochemischen Waffen geführt wurde, welche die Atmosphäre und den Boden verseucht haben. In dieser Biosphäre befinden sich riesige Ventilatoren, die Luft von Außen ansaugen und sie durch eine Filteranlage schickt, damit sie dort gereinigt und für uns nicht gesundheitsschädlich ist. Das Gleiche gilt auch für das Wasser hier. Lebensmittel, wie Gemüse und Fleisch werden in sogenannten Trabantensphären produziert. Du solltest mal diese Airo Farmen sehen. Alles ohne Erde und mit nur ganz wenig Wasser", schwärmte der Mann. "In zwei Wochen ist das Gemüse zum Ernten bereit. Einfach grandios. Mein Vater hat früher mal in so einer Farm gearbeitet. Nach der Ernte werden die Lebensmittel dann mit dem Zug hier her gebracht"

      Zug. Bei dem Wort blitze kurz eine Erinnerung auf, die sogleich wieder verschwand. War er… War er was? Woran hatte er eben gedacht? Er bat den Mann das, was er gesagt hatte, noch einmal zu wiederholen. Was er auch tat. Nur dieses Mal passierte bei Neniu nichts. Innerlich zuckte er mit den Schultern und dachte nicht mehr weiter darüber nach.

      Das Fahrzeug hielt an und einer der drei öffnete die Hecktür. Draußen standen weitere Männer und Frauen, alle in ziviler Bekleidung, die jedoch irgendwie der seiner Begleiter ähnelte. Der Mann ging sofort auf einen von ihnen zu. Er sprach mit ernster Miene und deutete dabei ein paar mal mit dem Daumen über seine Schulter in das Innere des Wagens. Der Mitte Zwanzigjährige rief eine Frau zu sich, die dann in das Fahrzeug kletterte und sich Neniu näherte.

      "Lass mich mal sehen", forderte sie den Jungen mit einer freundlichen, samtweichen Stimme auf. Bereitwillig drehte er sich so, dass sie auf die bereits versorgte Wunde blicken konnte. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck nickte sie, reichte ihm die Hand und half ihm beim Aussteigen. Sie gingen zurück zu dem Mann, der die Frau geschickt hatte.

      "Wenn Sie erlauben bringe ich den Jungen in ein Lazarett von uns. Er muss dringend versorgt werden, sonst bekommt er einen Wundbrand. Außerdem muss sein Oberkörper in einer Röhre gescannt werden. Möglicherweise hat er einige Brüche im Bereich des Thorax."

      Der Mann, eventuell der Kommandant des Lagers, nickte. Sie solle eines der Zivilfahrzeuge aus dem Fuhrpark nehmen und vorsichtig sein. Ohne weitere Worte trennten sie sich und Neniu ging mit der Frau in einen anderen Bereich des Lagers. Der Boden unter ihren Füßen war merkwürdig schräg, als würde man eine Rampe heruntergehen. Das war ihm auch schon aufgefallen, nachdem der Wagen zum Stillstand gekommen