„Dann fahr besser nach Hause und legt dich hin.“
„Das werde ich machen. Gute Nacht, John.“ Ich kann gar nicht schnell genug von ihm wegkommen.
„Wir sehen uns.“ John umarmt mich zum Abschied und ich lasse es geschehen. Obwohl ich mich gerne wehren oder etwas sagen würde, bin ich nicht dazu in der Lage.
Nachdem er mich losgelassen hat, steige ich, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, in meinen Wagen und fahre vom Parkplatz. Die ganze Fahrt über frage ich mich, ob Jayden wirklich diese Verbrechen begangen haben könnte. Jedes Mal komme ich auf dieselbe Antwort: Ich traue ihm das nicht zu. Ich muss mit Jayden darüber sprechen, aber zuerst brauche ich einen Plan, wie ich das am besten anfangen soll.
Das letzte Mal habe ich mit Jayden gesprochen, als ich auf dem Parkplatz vor dem Laden auf John gewartet habe, und heute ist Freitag. Ich habe also seit zwei Tagen nichts mehr von ihm gehört.
Ich muss mit dir sprechen. Bitte ruf mich an.
Kaylee
Wie viele von diesen Nachrichten ich ihm in den letzten Stunden geschrieben habe, weiß ich nicht. Von Sekunde zu Sekunde werde ich nervöser.
Geht es ihm gut oder ist ihm etwas passiert? Oder hat er vielleicht wegen der Ermittlungen so viel zu tun, dass er es nicht schafft, mich anzurufen? Soll ich bei ihm vorbeifahren? Vielleicht habe ich ja Glück und er ist zu Hause.
Bei dem Gedanken breitet sich in meinem Bauch ein ungutes Gefühl aus. Trotzdem, oder vielleicht deswegen, schlage ich den Weg zu seinem Penthouse ein.
Ein paar Meter vom Eingang entfernt finde ich einen Parkplatz. Die letzten Minuten habe ich mir überlegt, wie ich es am besten ansprechen könnte. Dabei bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass die direkte Art wahrscheinlich am einfachsten ist.
Ich atme tief durch und gehe mit großen Schritten auf das Hochhaus zu.
„Kann ich Ihnen helfen?“ Der Portier lächelt mich zuvorkommend an.
„Ich möchte zu Jayden Drake“, antworte ich genauso freundlich und nenne ihm noch meinen Namen.
„Er kommt gleich runter“, teilt er mir nach einem kurzen Telefonat mit. Nickend gehe ich ein Stück zur Seite und mache Platz für eine ältere Dame, die ihre Post holen möchte.
Es dauert ein paar Minuten, aber schließlich öffnet sich die Fahrstuhltür und gibt den Blick auf Jayden frei, der mich mit einem finsteren Gesichtsausdruck ansieht.
Mein Herz beginnt zu rasen. Dieses Mal allerdings nicht vor Vorfreude, sondern vor Angst. So hat er mich noch nie angesehen.
„Wir müssen reden“, erkläre ich ihm mit piepsiger Stimmer.
„Ich glaube nicht.“ Mit diesen Worten macht er Anstalten an mir vorbeizugehen.
Hat er das gerade wirklich gesagt?
„Jayden, ich muss dir was erzählen.“ Dieses Mal klingt meine Stimme selbstbewusster, als ich ihn am Arm packe und ihn festhalte.
Was ist nur los mit ihm?
„Ich will es nicht hören. Ich habe dich und deinen FBI-Freund auf dem Parkplatz gesehen. Du brauchst mir nichts zu erklären. Das Bild, das sich mir dort bot, hat alles gesagt.“ Mehr gibt er zur Erklärung nicht von sich. Stattdessen verschwindet er.
Perplex und sprachlos lässt er mich allein zurück. Er kann nur meinen, dass er uns gesehen hat, als John mich umarmt hat.
Laut fluchend gehe ich hinaus zu meinem Wagen, damit klar wird, dass Jayden denkt, ich wäre wieder mit John zusammen. Sauer, aber auch enttäuscht und traurig steige ich in meinen Wagen.
Hätte ich ihm doch bloß von den Beweisen berichtet, als Lynn es mir erzählt hat. In diesem Fall wäre es nie zu diesem Missverständnis gekommen. So wäre es nie passiert, dass Jayden diesen Moment, in dem John mich umarmt, falsch versteht.
Den ganzen Samstag verbringe ich auf dem Sofa. Nach dem letzten Treffen mit Jayden habe ich mich nicht getraut, ihm eine Nachricht zu schicken oder ihn anzurufen. Wahrscheinlich ist meine Hoffnung zu groß, dass er von sich aus das Gespräch mit mir sucht.
Als Lisa anruft, gehe ich nicht ans Telefon, weil ich keine Lust habe, ihr zu erklären, was passiert ist. Immer wieder starre ich mein Handy an, nur um zu sehen, dass er mich nicht angerufen und keine Nachricht geschickt hat. Allein der Gedanke, dass ich in der Gegenwart von John glücklicher bin, als in Jaydens, ist lächerlich. Er muss doch gemerkt haben, dass ich mich wohlfühle, wenn er in meiner Nähe ist.
Am Sonntag beschließe ich, dem Theater ein Ende zu setzen.
Ruf mich an! Es ist wichtig!
Ich weiß nicht, ob es etwas ändern wird, aber ich will es ihm erklären. Das ist mein gutes Recht. Und daran wird auch er mich nicht hindern.
Als er sich nach drei Stunden noch immer nicht gemeldet hat. Reicht es mir. Ich war nur selten diejenige, die nach einem Streit angekrochen kam. Aber wenn man es genau nimmt, dann ist es ja nicht einmal ein Streit.
Genervt greife ich nach meinem Handy und gebe eine letzte Nachricht in das Textfeld ein. Wenn er darauf nicht reagiert, ist es das gewesen.
Meine Schwester hat mir vor ein paar Tagen etwas erzählt und ich musste herausfinden, ob es wirklich stimmt. John hat es mir bestätigt und deswegen kann ich jetzt sagen, dass du in Schwierigkeiten steckst. Wenn du mehr wissen willst, kannst du mich anrufen.
Bevor ich sie absende, lese ich mir die Nachricht noch ein paarmal durch. Mir ist klar, dass ich verzweifelt bin, weil ich ihn nicht gehen lassen will. Und obwohl er wegen des Missverständnisses nicht mehr mit mir sprecht, soll er wenigstens gewarnt sein.
Die nächsten drei Stunden vergehen, ohne dass ich etwas von ihm höre. Mein Handy lasse ich keine Sekunde aus den Augen.
Ich rechne nicht damit, dass Jayden vorbeikommt, aber ich hoffe, dass er wenigstens anruft. Allerdings schreibt er nicht einmal eine Nachricht.
Genervt und sauer lasse ich mich in die Kissen zurücksinken, als es an meiner Tür klingelt. Erschrocken springe ich auf die Beine und überprüfe die Uhrzeit.
Es ist bereits neun Uhr abends. Mein Herz schlägt schneller bei dem Gedanken, dass Jayden vor der Tür stehen könnte. Aber als ich meine Wohnungstür öffne, werde ich enttäuscht. Es ist nicht Jayden, der da vor mir steht.
Der Mann, der mich nun angrinst, ist genauso groß wie Jayden und ebenso breit gebaut. Unter seiner engen Hose und dem noch viel engeren Shirt kann man seine Muskeln erahnen.
Er sieht gut aus, zieht mich allerdings nicht so in seinen Bann, wie es bei Jayden der Fall ist. Seine schwarzen Haare hängen ihm wirr ins Gesicht, was in mir den Eindruck erweckt, als wäre er gerade erst aus dem Bett gefallen.
„Du bist Kaylee, richtig?“, fragt er mich, als er an mir vorbeigeht und meine Wohnung betritt.
In diesem Moment bin ich viel zu überrascht, um ihn daran zu hindern. Benommen drehe ich mich zu ihm um und beobachte ihn, während er sich in meiner kleinen Wohnung umsieht.
„Jayden hat mir schon viel von dir erzählt. Ich bin Mailo.“ Er reicht mir seine Hand.
„Kann ich dir irgendwie helfen?“, frage ich ihn vorsichtig.
„Ich weiß, dass du eigentlich darauf wartest, dass Jayden sich meldet. Aber der hat heute sein Handy bei mir liegen gelassen. Ich war neugierig und habe die Nachrichten gelesen, die du ihm geschickt hast. Daraufhin habe ich versucht, ihn zu erreichen, aber er ist nicht in seiner Wohnung und bei seinen Eltern ist er auch nicht.“
Das erklärt zumindest, wieso er nicht zurückgeschrieben hat. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob er das getan hätte, wenn er sie gelesen hätte.
„Deine letzte Nachricht klang so verzweifelt, dass ich beschlossen habe, vorbeizukommen.“