Thomas Hoffmann

Schatten der Anderwelt


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aus der Küche.

      Die gut genährte Frau, die in der Küchentür erschien, hatte eine weiße Schürze umgebunden. Auf dem Kopf trug sie die flachsfarbene Haube einer Magd. Sie stemmte die Hände in die Hüften.

      „Was sitzt du hier müßig herum? Warte nur, eines Tages erzähl ich der Hohenwarterin, dass du Milch stiehlst und sie der Katze gibst!“

      Das Mädchen sprang auf, aber statt irgendwo zu verschwinden, blieb sie auf dem Fleck stehen.

      „Melanies Freund ist gekommen,“ sagte sie wie zur Entschuldigung.

      Die Magd betrachtete Norbert mit in die Hüften gestemmten Armen.

      „So? Also du bist Melanies arme, alte Großtante, zu der sie jeden Sterntag Abend gegangen ist, um ihr den Haushalt zu machen und bei ihr zu übernachten?“

      Norbert ging auf den Spott und das Gezanke der Küchenmagd nicht ein. In der tauben Leere, die die Nachricht von Melanies Weggang in seinem Kopf hinterlassen hatte, suchte er nach der Spur eines Weges, einem Faden, den entlang er sein Leben wieder aufnehmen konnte.

      „Wie lange ist sie schon fort?“ fragte er, um überhaupt etwas zu sagen.

      Die Augen in dem vollwangigen Gesicht der Magd waren sanft, trotz ihres burschikosen Auftretens. Sie deutete mit dem Kopf ins Haus.

      „Komm in die Küche. Schluss mit dem Getratsche mitten auf dem Hof.“

      Der Küchenraum hatte gekachelte Wände. Der Fußboden war gefliest. Ein großes Fenster neben dem gusseisernen Herd sorgte für frische Luft. Küchentisch, Stühle und Schränke waren weiß angestrichen. Die längs der Wände gestapelten Töpfe, Pfannen und Küchengeräte waren blitzsauber. Zu anderen Zeiten hätte die Einrichtung dieser Küche Norbert, der noch nie die Küche eines Herrenhauses betreten hatte, in Erstaunen versetzt. Jetzt registrierte er seine Umgebung ohne jedes Interesse. Er fühlte sich, als wäre er gar nicht hier.

      Am Küchentisch saß ein beleibter Mittfünfziger in einer braunen Kapuzenjacke aus gutem Stoff vor einer Schale Grütze und einem Teller Rührei mit Speck. Sein schütteres graues Haar war zerrauft, das Gesicht mit den Hängewangen sah müde aus. Er blickte kurz auf, als Norbert die Küche betrat, widmete sich aber gleich wieder seinem Frühstück. Die Küchenmagd - Norbert vermutete, dass sie die Köchin war - stellte Norbert einen Pott heißen Kaffee auf den Tisch.

      „Da, setz dich, nimm einen Schluck.“

      Sabinchen schlich sich durch die Küchentür herein und lauschte stumm. Norbert setzte sich dem Mittfünfziger gegenüber und nahm aus Höflichkeit einen Schluck Kaffee.

      „Ja, die Melanie, das blonde Schönchen, hat den Fang ihres Lebens gemacht, scheint's,“ erzählte die Köchin. „Als dieser Jörgsohn aus Stegersting hier ankam, um den Ratsherrn zu besuchen und ein paar Tage zu bleiben – der Ratsherr und er waren früher Weggefährten, als der Herr Hohenwarth noch auf Handelsreisen, wie es so schön heißt, durch die Lande zog, bis er zu Reichtum kam – als dieser alte Reisekamerad den gnädigen Herrn jetzt hier besuchte, selber steinreich geworden, da hat die Melanie ihm so schöne Augen gemacht – und sie hat's nicht nur bei süßen Blicken belassen, glaub's mir! - dass er sich in sie verguckt und ihr nicht nur Schmuck und schöne Kleider geschenkt, sondern ihr gleich einen Heiratsantrag gemacht hat. Und das junge Ding ist drauf eingegangen! Dabei ist der Mann gestandene Vierzig!“

      Es war immer Melanies Traum gewesen. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht. Die Köchin musterte Norbert mitleidig.

      „Am letzten Tag vor der Abreise hat sie geweint und ich sag zu ihr: „na, bist du's schon leid, mit dem Kaufherrn zu ziehen?“ aber sie schüttelte den Kopf und meinte, sie weine um ihren Freund, der von einer Reise nicht zurückgekommen sei und sie hätte Angst, ihm sei was zugestoßen. Und sie hätte sich so gerne noch von ihm verabschiedet.“

      Es tat weh. Eine Flut von Schuldgefühlen brach über Norbert herein. Er hatte ihr versprochen, innerhalb einer Woche zurück zu sein. Er biss sich auf die Lippen und zog Rotz hoch, um seine Tränen zurückzuhalten. Der teiggesichtige Mittfünfziger blickte von seinem Frühstück auf. Seine Stimme klang unangenehm und verhalten, als müsse er jedes Wort aus sich herausquetschen.

      „Sag mal, junger Mann, du bist doch der Norbert Lederer, oder irre ich mich? Ich hab dich gestern gesehen, mitten im Dämonenfeuer.“

      Sabinchen hielt sich die Hände vor den Mund und starrte Norbert mit großen Augen an. Norbert nickte achselzuckend. Die Köchin stemmte die Hände in die Hüften. Sie schien diese Geste zu lieben.

      „Der bist du? Und dich hat die dumme Gans fahren lassen? Den Schüler des großen Dämonologen? Da hätte sie ja bloß noch ein paar Jährchen zu warten brauchen, bis du selber steinreich wirst! Stattdessen fährt sie mit einem reich gewordenen Straßenräuber ans Ende der Welt bis in die Nordberge! Na, ich hätt' mir ja überlegt, wer da die bessere Partie gewesen wäre!“

      Es war nie sein oder ihr Ziel gewesen. Hätte er sie fragen sollen?

      „Wo liegt dieser Ort, wo sie hingezogen ist?“ wollte Norbert wissen, als könnte die Ortsbeschreibung sie aus der Ferne wieder in seine Nähe bringen.

      Die Köchin gab Grütze in eine Schale, tat aus der Pfanne auf dem Herd Rührei auf einen Teller und stellte beides vor Norbert hin.

      „Da, frühstücke ein wenig. Damit hätt' ja niemand gerechnet, dass wir hier am Morgen so hohen, unerwarteten Besuch bekommen.“

      Sie setzte sich zu Norbert an den Tisch.

      Zu dem teiggesichtigen Diener sagte sie: „Wo liegt Stegersting, Konrad? Als gelehrter Hausverwalter, der hier die Bücher führt, musst du so was doch wissen!“

      Norbert wollte Teller und Schale wegschieben, aber sein Magen sagte ihm, dass er ein Frühstück bitter nötig hatte, um irgendwie über diesen Tag zu kommen. Lustlos begann er zu essen.

      „Stegersting,“ erklärte der Mittfünfziger mit seiner unangenehm gepressten Stimme, „liegt im hohen Findelgebirge, das ist ein östlicher Hochgebirgsausläufer der Nordberge. Die Stadt liegt im Hauermannstal nahe der dortigen Silberminen. Das berühmte Stegerstinger Silber wird dort geprägt.“

      Der Hausverwalter richtete seinen trüben Blick auf Norbert. Er schien zu erraten, was den Jungen beschäftigte.

      „Bis nach Stegersting reist man von Trümmelfurt aus an die vierzig Tagereisen. Also von hier aus zwischen fünfzig und sechzig Tagereisen. Der Kaufmann Ulf Jörgsdohn wird ein Vierteljahr unterwegs sein, bevor er wieder zu Hause in Stegersting ist. Die kaiserlichen Botenreiter sind natürlich schneller.“

      Warum musste es sie denn gleich ans Ende der Welt verschlagen? Und er hätte sich ihre Nähe so sehr gewünscht, jetzt, wo alles zusammengebrochen war.

      „Junger Mann, hör mal,“ meinte die Köchin, „wenn du der Schüler von diesem Anton Dreyfuß bist, dann kannst du uns doch von dem grausigen Spuk befreien, der dieses Haus heimsucht. Hier geht nachts ein Poltergeist durchs Haus, lässt Bilder von den Wänden fallen, rückt Möbel, zerbricht Vasen und Krüge. Wir stehen alle schreckliche Angst aus. Der gnädige Herr wird es dir sicher gut bezahlen.“

      Das Gesicht des Verwalters, der der Köchin schweigend zugehört hatte, sah nicht so aus, als wäre er von ihrer zuletzt genannten Vermutung überzeugt. Norbert schüttelte den Kopf, während er den Rest Rührei vom Teller kratzte. Einen Schwarzalb bekämpfen! Alleine, ohne den Meister. Er hatte jetzt keinen Kopf für derart riskante Unternehmungen. Eigentlich war ihm alles egal.

      „Nein, so weit bin ich in Dreyfuß‘ Lehre nicht gekommen. Ich hab ihm ja immer nur assis... assis..., na, eben nur geholfen. Die Dämonenaustreibungen hat der Meister gemacht.“

      „Du hast ganz alleine das dämonische Feuer besiegt, das beinahe die gesamte Stadt aufgefressen hätte,“ protestierte die Köchin, „und so ein elender Poltergeist soll dir zu stark sein? Ich versteh ja, dass du traurig bist wegen der Melanie, und sie war ja auch ein bildhübsches Ding, aber überlege es dir, hörst du? Komm heute Abend wieder, dann ist der