Thomas Hoffmann

Schatten der Anderwelt


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konnte versuchen, den Schwarzalb auszutreiben, der das Haus des Ratsherrn Hohenwart heimsuchte. Dreyfuß hatte für eine Geisteraustreibung zwischen zwei und zwölf Goldtalern genommen, je nachdem, wie gefährlich die Anderwelterscheinung war. Gefährlich würde es in jedem Fall werden. Norbert konnte nur hoffen, dass er das, was dort sein Unwesen trieb, überwinden und bannen konnte, bevor er davon in die Anderwelt hinübergezogen oder in Stücke gerissen wurde. Aber hatte er eine Wahl? Bier und Schnaps halfen ihm bei der Entscheidung. Er entschloss sich, zum Ratsherrn zu gehen.

      Die Wirtin brachte einen zweiten Humpen Bier, aber Norbert winkte ab.

      „Nein danke. Ich nehme noch von deiner Suppe, wenn sie fertig ist. Ich hab noch was vor, heute.“

      ***

      Die sechste Stunde war angebrochen, als Norbert den kopfsteingepflasterten Platz vor dem Haus des Ratsherrn überquerte. Obwohl er sich den Tag über immer wieder darin bestärkt hatte, an seinem Entschluss festzuhalten, war ihm mulmig zumute. Das große, dunkle Haus mit den hohen, noch lichtlosen Fenstern ragte in der Stille der Abenddämmerung auf, wie der Hüter eines lauernden Geheimnisses - schweigend, mit nach innen gekehrten, blinden Augen. Dahinter erhob sich der Burgfelsen, von der untergehenden Sonne in flammendes Rot getaucht.

      Den Nachmittag über war Norbert in den Seitengassen des Armenviertels und der Unterstadt umhergeschlichen, die Hauptgassen meidend, wo er womöglich wieder von irgendwem erkannt worden wäre. Er hatte sich nicht überwinden können, in den Schwarzen Raben zurückzukehren.

      Er entschied sich, lieber über den Hof zur Küchenpforte zu gehen, statt über die Freitreppe zu dem mächtigen Eingangsportal hinaufzusteigen. Im dämmrigen Hof war die Kleine, die sie Sabinchen nannten, dabei, die Hühner in den Stall zu treiben. Mit dem Besen versuchte sie, ein Huhn, das offenbar noch keine Lust hatte, für die Nacht eingesperrt zu werden, zum Hühnerstall zu scheuchen. Ihre Holzschuhe klapperten auf dem Pflaster. Sabinchen sah Norbert im Tordurchgang und blieb mit großen Augen stehen. Aus der Tür des Wirtschaftsgebäudes trat ein untersetzter Kerl mit wirrem, dunklen Haar und aufgedunsenem Gesicht. Er trug die grobe, unförmige Hanfjacke eines Knechts. In der Hand hielt er einen Krug. Missmutig blickte er Norbert entgegen.

      „Heda, was suchst du hier?“

      Norbert ging ein paar Schritte in den Hof hinein. Das Huhn stellte fest, dass die Verfolgungsjagd vorbei war, lief zum Stall und schlüpfte über die Hühnerleiter hinein. Der Knecht blickte unsicher zur Seite, als Norbert ihm ruhig ins Gesicht schaute.

      „Ich bin Norbert Lederer. Euer Verwalter hat mich heute Morgen gefragt, ob ich den Schwarzalb bannen könnte, der angeblich in diesem Haus sein Unwesen treibt. Ich mache das, wenn der Hausherr einverstanden ist.“

      Sabinchen ließ den Besen fallen und schlug die Hände vor den Mund. Ihre Augen wurden immer größer. Auch der Knecht starrte Norbert verdattert an.

      „Heilige Jungfrau!“ murmelte er.

      Er wies zu Küchentür.

      „Wenn du nicht an der Hauspforte vorsprechen willst, komm zur Küche herein.“

      Sabinchen herrschte er an: „Glotz nicht so! Geh, mach den Hühnerstall zu, bevor die Biester alle ausrücken.“

      In der Küche saß eine hagere Frau in einem grauen Kleid mit weißer Kopfhaube der Köchin am Tisch gegenüber. Sie mochte um die Vierzig sein. Die großen, ängstlichen Augen in ihrem blassen Gesicht füllten sich mit verhaltener Abscheu, als sie Norbert erblickte. Norbert überlegte kurz, ob sie womöglich die Gemahlin des Ratsherrn wäre, aber sie war es wohl eher nicht. Vermutlich gehörte sie zum Dienstpersonal. Die Köchin wandte sich zu Norbert um.

      „Heilige Mutter von Altenweil, der Norbert Lederer ist gekommen!“

      Der Knecht drängelte sich hinter Norbert in die Küche.

      „Er sagt, er will den Poltergeist austreiben,“ brummte er, während er sich hinter der Köchin vorbeischlängelte, zum Wandregal ging und einen Tonbecher herausnahm.

      „Wenn der gnädige Herr es erlaubt, heißt das.“

      Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und goss sich aus dem Krug, den er mitgebracht hatte, ein. Die Köchin beobachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. Sie stemmte die Hände in die Hüften.

      „Was willst du dich da schon wieder besaufen, Boris!“

      „Lass mich!“

      Der Knecht nahm einen langen Schluck aus dem Becher. Die Hagere rümpfte verächtlich die Nase. Die Köchin wandte sich an Norbert.

      „Aller Götter Dank soll dir sein, wenn du dem Spuk hier ein Ende machst.“

      Sie deutete mit dem Kopf auf einen leeren Stuhl.

      „Setz dich zu uns!“

      Zu der Hageren, die missbilligend beobachtete, was um sie her vorging, sagte sie: „Jetzt müssen wir nur zusehen, wie wir den gnädigen Herrn überreden, den jungen Mann zu Werke gehen zu lassen, Millie.“

      Norbert setzte sich. Die in Grau gekleidete Hagere blickte an Norbert vorbei, als müsse sie sich überwinden, ihn anzusehen.

      „Auch wenn er der Schüler von diesem Hexenmeister ist, muss er doch nicht so herumlaufen.“

      Anna, die Köchin betrachtete Norbert mütterlich.

      „Wir geben dir eine Waschschüssel und ein Stück Seife, damit du dir Gesicht und Hände waschen kannst.“

      Zu der Hageren meinte sie sanft: „Bestimmt hat er den ganzen Tag über bei der abgebrannten Unterstadt geholfen. Da gab es sicher keine Gelegenheit, sich zwischendurch zu säubern.“

      Die grau gekleidete Millie kommentierte es mit einem Naserümpfen. Norbert hatte sein dreckiges Äußeres völlig vergessen.

      Verlegen murmelte er: „Ja, danke.“

      Sabinchen schlich sich zur Küchentür herein. Sie blieb mit vor der Brust gefalteten Händen an der Tür stehen und beobachtete die Szene mit stummer Neugier. Der Knecht nahm einen weiteren Schluck aus dem Becher. Mit glasigen Augen stierte er Norbert an.

      „Was willst du machen, um den Poltergeist auszutreiben? Knoblauchbündel in Türen und Fenstern aufhängen? Mit Zauberkreide magische Pentagramme auf den Fußboden malen?“

      Die Köchin drohte dem Knecht mit dem Finger.

      „Lass den jungen Mann mit deinem besoffenen Gelaber in Frieden, Boris. Er wird schon wissen, was er zu tun hat.“

      Zu der spitznasigen Millie sagte sie: „Millie, geh doch hinauf und mach Elmar klar, dass er dem gnädigen Herrn die Aufwartung des Schülers des Dämonologen Dreyfuß ankündigen muss. Elmar wird wissen, wie er's dem gnädigen Herrn beibringen muss.“

      Die Hagere stand seufzend auf.

      „Vielleicht bringt es den gnädigen Herrn ja auf andere Gedanken und er hört auf, im Kabinett herumzuwüten und auf dem armen Konrad herumzuhacken. Der kann doch bei der heiligen Mutter am allerwenigsten dafür, dass der gnädige Herr sein Geld so verschleudert, dass kaum noch was davon übrig ist!“

      Als Millie hinausgegangen war, sagte Anna zu der Kleinen:

      „Bienchen, mach eine Schüssel mit Waschwasser und Handtuch und Seife für den Norbert Lederer bereit.“

      Das Mädchen huschte zum Herd, schöpfte Wasser in einen Kessel, rückte den Teekessel beiseite und setzte den Wasserkessel auf den Herd.

      Während das Waschwasser warm wurde, erklärte die Köchin Norbert: „Unser gnädiger Herr hatte bei dem Ulf Jörgsohn, dem sich die Melanie an den Hals geworfen hat, noch Schulden von früher, scheint's, aus der Zeit ihrer gemeinsamen Handelsreisen, wie es so schön heißt. Jedenfalls hat er dem Ulf Jörgsohn eine hohe Summe Goldtaler ausgezahlt, als der abgereist ist. Die beiden sind nicht als Freunde voneinander geschieden, glaub's mir. Die ganze Zeit über, die der Ulf Jörgsohn zu Besuch war, lief der gnädige Herr mit schlechter Laune herum.