Thomas Hoffmann

Schatten der Anderwelt


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Höllenteufeln! Rede halt etwas geschickter mit ihm! Erzähl ihm irgendwas! Schmier' ihm Honig um den Bart, wozu hast du all deinen Schulkram gelernt? Leier ihm das Geld aus den Rippen! Raus! Fort mit dir! Mach dich endlich mal nützlich, du Zahlenkrakler!“

      Elmar war während der gebrüllten Auseinandersetzung still in den Raum getreten. Norbert schaute rasch durch die offene Tür auf der gegenüberliegenden Seite. Ein schmaler Gang führte auf einen Erker. Gegenüber dem Erker befand sich eine weitere Tür. Norbert schärfte seine Sinne. Auch im Gang dasselbe drohende Gefühl. Das gesamte Stockwerk war erfüllt von der ungreifbaren jenseitigen Bedrohung.

      Aus der linken Tür stolperte Konrad heraus. Sein Blick flackerte wie der eines Irren. Er raufte sich die schütteren Haare, während er durch die Flügeltür stolperte. Norbert ging hinüber und trat durch die Tür. Er riss sich zusammen, versuchte, ein gefasstes Gesicht zu machen und richtete sich gerade auf.

      Standleuchter erhellten ein holzgetäfeltes Zimmer. Unter dem Fenster waren Bücher unordentlich über einen Tisch verteilt. Daneben stand ein Schreibpult. Andere Bücher lagen und standen in Regalen an den Wänden. An der Rückwand stand eine geöffnete Eisenkiste. Sie schien leer zu sein. Daneben lag ein Bild mit zerbrochenem Rahmen zwischen den Scherben einer Vase auf den Dielen. Es zeigte das Konterfei desselben Mannes, der mit zornrotem Kopf im Lehnstuhl vor dem Kamin saß. Elmar verbeugte sich.

      „Der junge Anwärter auf die Nachfolgerschaft des Anton Dreyfuß!“

      Der Mittvierziger im Lehnstuhl hatte schulterlanges, glatt gekämmtes blondes Haar. Er trug einen von einer Goldkette zusammengehaltenen schwarzen Umhang mit Pelzkragen über einer kurzen Jacke mit breitem Gürtel und eng anliegenden Hosen. Am Gürtel trug er einen Dolch mit verziertem Griff. Er saß zurückgelehnt mit geschlossenen Augen, wie um durchzuatmen. Als Norbert vortrat, wandte er ihm den Kopf zu. Norbert machte eine kurze, deutliche Verbeugung, wie er es sich von Dreyfuß abgeguckt hatte. Der Ratsherr kniff die Augen zusammen.

      „Und was bringt ausgerechnet dich dazu, mir heute auch noch auf den Nerven rumzutrampeln?“

      Norbert ließ sich nicht ins Bockshorn jagen: „Vielleicht kann ich Euch von einem Problem befreien. Ich bin gekommen, um die Geistererscheinung, die Euer Haus heimsucht, zu...“ Schnell verbesserte er sich: „Um zu prüfen, ob ich sie bannen kann. Wenn es Euch recht ist,“ ergänzte er.

       Ich sage ihm, ich muss erst herausfinden, um was es sich handelt, dann schaue ich mich nochmal kurz um und sage ihm ab.

      „Wer hat dir davon erzählt?“ schnappte der Hausherr.

      Verzweifelt suchte Norbert in seinem Kopf nach einer Antwort.

      Mit einer Verbeugung soufflierte Elmar: „Der junge Nachfolger des Herrn Dreyfuß hat es von seinem Lehrer erfahren, den Ihr in dieser Angelegenheit herbestellt hattet. Ihr wurdet Euch seinerzeit nicht einig mit dem Herrn Dreyfuß.“

      Dieser Kammerdiener hatte es offenbar faustdick hinter den Ohren, stellte Norbert überrascht fest. Der Ratsherr nickte grimmig. Sein Blick fiel auf Norberts Schwert, dann auf seine Ledermontur.

      „Da sind Blutflecken auf deiner Lederjacke. Du scheinst nicht bloß hinterm Ofen zu hocken und gelehrten Kram aus Büchern in deinen Kopf hineinzustopfen.“

      Norberts Trotz war herausgefordert: „Vor ein paar Tagen war ich im Gornwald, wo ich von einem Hexer magische Formeln geholt habe, die mein Meister gebraucht hätte. Ich hab mich da rausgekämpft aus der Wohnung des Hexers. Ich bin gerade noch rechtzeitig zurückgekommen, um die Banshee zu bannen, die das Feuer in der Unterstadt entfacht hat.“

      Warum lachte der angebliche Ratsherr so schallend? Dieses Haus war Norbert ein einziges Rätsel.

      „Er hat Zaubersprüche geraubt für seinen Herrn! Mit Waffengewalt!“ johlte der Hausherr. „Großartig. Elmar, du bringst mir den Richtigen!“

      Es klang boshaft.

      Der Ratsherr wurde wieder ernst: „Gut. Wie viel willst du dafür haben, mein Haus von diesem Spuk zu befreien?“

      „Also... zwei Goldtaler,“ sagte Norbert aufs Geratewohl. „Aber vorher...“

      „Zwei Goldtaler, um diesen Teufel auszutreiben?“ unterbrach ihn der Ratsherr. „Ich gebe dir zwanzig, wenn es dir gelingt.“

      Elmar ächzte. Norbert fuhr zusammen. Zwanzig Goldtaler! Genau die Summe, die er brauchte, um beim Burgschmied in die Lehre zu gehen! Der Gornwald, die Jagdwaffen waren vergessen. Er konnte diesen Auftrag nicht ablehnen. Es musste ihm gelingen! Norbert verneigte sich.

      „Ja, gut. Ich mache das – Herr,“ fügte er schnell an.

      Immer vergaß er diese Höflichkeitsfloskeln. Aber der Hausherr schien ohnehin wenig Wert darauf zu legen.

      Der Ratsherr blickte ihn streng an: „Unter einer Bedingung: keine Fragen!“

      Die Sache wurde immer problematischer.

      Norbert hörte sich sagen: „Wie Ihr wollt. Aber ich muss mich im Haus umsehen dürfen.“

      Der Ratsherr sank in den Lehnstuhl zurück und blickte ins Kaminfeuer.

      „Tu, was du zu tun hast. Ich werde wohl meinen Anteil dazutun müssen.“

      „Ja, das hat Anton Dreyfuß zu allen gesagt, von denen er einen Auftrag angenommen hat,“ erinnerte sich Norbert. „Aber zuerst muss ich herausfinden, um was es sich handelt. Dann kann ich Euch sagen, was Ihr tun müsst.“

      „Ich vermute, ich weiß es schon,“ murmelte der Hausherr bitter.

      Norbert verneigte sich mit dem starken Gefühl, einen fatalen Fehler zu machen. Doch er hatte sich entschieden.

      Der Ratsherr wandte sich an Elmar: „Bring mir Wein herauf. Hohenfelser Lornufer, den guten Jahrgang.“

      Der Diener verneigte sich. „Euer bester Wein. Es sind nur noch zwei Flaschen davon da.“

      „Genau. Bring mir beide.“

      Elmar seufzte. Der Ratsherr machte eine wegwischende Geste zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war.

      Beim Hinausgehen stieß Norbert beinahe mit dem Ordensbruder zusammen, der unbemerkt in der Tür erschienen war. Der beleibte, kleine Mönch trat mit einer kurzen Verbeugung zur Seite.

      „Darf ich dem ehrenwerten Herrn Ratsherrn von den heutigen Lernerfolgen seines Sohnes berichten?“

      Norbert trat in die Mitte des von dem ausgestopften Bärenungetüm beherrschten Raums und versuchte, sich auf die jenseitige Bedrohung zu konzentrieren, die er überall spürte. Elmar blieb abwartend an der Flügeltür stehen. Er nahm die Dienerpose ein, die Norbert an einen traurigen Vogel erinnerte. Doch bei dem Geschrei aus dem Kabinett war an Konzentration nicht zu denken.

      „Lernerfolge! Was glaubst du, was mich das Lesegestotter des großohrigen Rotzlöffels interessiert? Ob er sich das gelehrte Gequassel, das du in ihn hineinprügelst, merkt, oder nicht, ist mir egal!“

      „Ich wollte den ehrenwerten Herrn Ratsherrn nur daran erinnern, das mir das vereinbarte Lehrergehalt des heutigen Tages noch nicht ausgezahlt worden ist.“

      Das Brüllen steigerte sich zur Raserei: „Damit kommst du mir! Werde ich irgendwann einmal Ruhe haben vor euch Plagegeistern! Ihr seid schlimmer als der Höllenspuk in diesem Haus!“

      Die Stimme des Mönchs blieb ruhig: „Es ist nur so, dass mir seit zwei Wochen kein Lehrergehalt ausgezahlt worden ist.“

      „Dann machen ein, zwei weitere Tage ja wohl auch keinen Unterschied mehr! Heiliger Himmel! Komm morgen wieder. Morgen früh soll dir alles ausgezahlt werden.“

      „Sehr gerne, Herr Ratsherr. Ich werde mir erlauben, den ehrenwerten Herrn Ratsherrn morgen daran zu erinnern.“

      Der Mönch kam aus dem Kabinett und durchquerte mit gemessenen Schritten die Flügeltür in Richtung Treppenhaus. Sein blasses Gesicht zeigte keinerlei Regung.

      „Morgen,“