Thomas Hoffmann

Schatten der Anderwelt


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Hausknecht Boris sagte sie: „Hier, siehst du, das ist was Vernünftiges. Du solltest auch lieber Tee trinken, statt immerzu deinen ollen Fusel.“

      „Bleib mir weg mit deiner lauwarmen Plörre,“ knurrte Boris. „Ich racker mich den ganzen Tag ab, während du nur in der Küche sitzt und tratschst. Da brauch ich was Handfestes am Abend.“

      Solches Küchengeplänkel war Norbert aus dem Wohnturm seines ehemaligen Lehrmeisters nur zu vertraut. Hätte er nicht dieses elend flaue Gefühl in der Magengrube gehabt, es wäre ihm beinahe heimisch vorgekommen. Er wollte es sich nicht zugeben, aber er hatte erbärmliche Angst vor dem, was er sich vorgenommen hatte.

      Norbert nippte am heißen Kräutertee, während die Köchin und der Hausknecht leise miteinander zankten. Sabinchen goss warmes Waschwasser in eine Schüssel und Norbert stand auf und wusch sich möglichst gründlich Hände und Gesicht. Er war froh, dass er bei Anton Dreyfuß gelernt hatte, wie man mit hochstehenden Leuten reden musste. Dadurch, und weil er häufig dabei gewesen war, wenn Dreyfuß sich mit Städtern besprach, welche die Dienste des Meisters in Anspruch nehmen wollten, fühlte er sich nicht ganz so verunsichert. Was ihm wirklich Sorgen machte, war die Begegnung mit dem Schwarzalb, von dem er nicht wusste, worum es sich handelte und ob er in der Lage sein würde, ihm beizukommen.

      Norbert hatte den Tee noch nicht ausgetrunken, als die Tür geöffnet wurde. Der Alte, der in der Tür stand, trug Schlupfjacke und Hosen aus gutem Stoff. Die vielen Gesichtsfalten gaben ihm ein vergrämtes Aussehen. Sein Blick viel auf Norbert und er nickte traurig.

      „Elmar!“ rief Anna. „Hast du etwas erreichen können beim gnädigen Herrn?“

      Der sorgenvolle Diener hatte eine leiernde Altmännerstimme: „Ja. Norbert Lederer, der Schüler und möglicherweise der junge Nachfolger des jüngst so unglücklich verschiedenen Dämonologen Anton Dreyfuß, soll beim gnädigen Herrn im Kabinett vorsprechen. Aber,“ ergänzte er beinahe weinerlich, „der gnädige Herr ist sehr verstimmt, um nicht zu sagen außer sich, aufgrund gewisser Differenzen zwischen ihm und dem Hausverwalter bezüglich der Solidität des Finanzfundaments gewisser Verpflichtungen und Unternehmungen des gnädigen Herrn.“

      Norbert presste die Lippen zusammen. Er hasste Leute, die meinten, sie müssten so gebildet daherreden, dass er sie nicht verstand. Anna seufzte.

      „Bei allen Sternen, Elmar, kannst du das auch in unserer Landessprache sagen? Dein Gelehrten-Kauderwelsch versteht doch kein Mensch!“

      Elmar stand in der Tür wie ein großer trauriger Vogel.

      Sorgenvoll leierte er: „Der gnädige Herr ist pleite, meine Liebe. Pleite und hoch verschuldet.“

      Das war's dann wohl mit dem Geldverdienen. Norbert überlegte, ob er nicht gleich wieder gehen sollte.

      „Heilige Mutter von Altenweil!“ murmelte die Köchin.

      Vom Herd her flüsterte Sabinchen erschreckt: „Was heißt pleite?“

      Aber die resolute Anna fand ihre Fassung gleich wieder: „Na, wird schon nicht so schlimm sein. Sie werden den hohen Ratsherrn schon nicht gleich in den Block schließen. Wir haben hier schon ganz andere Krisen überstanden. Hauptsache,“ und damit wandte sie sich an Norbert, „wir werden den Höllenspuk hier los. Dann wird sich alles andere wieder einrenken. Sag dem gnädigen Herrn nur, was du als Bezahlung haben willst. Er wird es dir sicher nicht ausschlagen.“

      Die Zuversichtlichkeit der Köchin konnte Norbert nicht nachvollziehen, aber was sollte er tun? Schicksalsergeben stand er auf.

      „Soll ich gleich zu ihm kommen?“

      Der traurige Vogeldiener nickte: „Ja, der gnädige Herr lässt bitten.“

      ***

      Norbert folgte dem Diener einen unbeleuchteten Gang entlang und eine schmale Stiege hinauf ins Hochparterre. Durch eine kleine Tür traten sie in ein kaum erhelltes Zimmer mit getäfelter Holzdecke, hinter dessen großen Glasfenstern letztes Tageslicht verdämmerte. Die Stühle um den mächtigen Esstisch standen wie hastig an den Tisch geschoben, als wären sie alle durcheinander gerückt worden oder umgefallen und dann nachlässig wieder hingestellt. In der hinter dem Esszimmer liegenden Halle war Millie dabei, mit einem glimmenden Docht an einer Stange die Kerzen des Deckenleuchters zu entzünden. Auch vor einem kleinen Heiligenbild auf einem Wandaltar an der Seitenwand brannte eine Kerze. Durchs Treppenhaus gingen Elmar und Norbert über eine breite Steintreppe in den ersten Stock hinauf.

      Hinter der Tür im oberen Stockwerk überfiel Norbert schlagartig ein Gefühl drohender Gefahr, wie bei der Annäherung eines Raubtiers, dessen Gegenwart einem bewusst wird, noch bevor man es sieht. Die Ahnung von etwas Lauerndem, Bösartigen machte ihn schaudern. Wie eine tastende Klaue kroch ihm Kälte den Rücken herab. Er musste sich zwingen, ruhig weiterzuatmen. Er ließ Elmar vor gehen, blieb stehen und sammelte sich, um der jenseitigen Macht, deren Gegenwart er spürte, wach und gefasst entgegenzutreten. Einen Moment lang kämpfte er mit seiner Angst. Dann siegte seine Konzentration. Die Hand auf den Schwertgriff gelegt, schritt er in den Raum.

      Die Dielen knarrten unter seinen Schritten. Im Kamin brannte ein Feuer. Davor standen gepolsterte Lehnstühle. Polsterbänke säumten die Wände zwischen den hohen, dunklen Fenstern. Das Bild über dem Kamin hing schief. Im flackernden Kerzenlicht konnte Norbert nicht erkennen, was es darstellte. Eine schmale Frau mit zusammengebundenen Haaren in einem weiten, dunklen Kleid, das bis zum Boden reichte, hielt im Auf- und Abgehen inne und starrte Norbert und Elmar erschreckt an. Sie hielt die Hände vor der Brust zusammengepresst. Elmar machte eine leichte Verbeugung.

      „Gnädige Frau!“

      Er ging an der Dame des Hauses vorbei durch eine Flügeltür in den nächsten Raum. Norbert verbeugte sich und folgte dem Diener. Stumm starrte die Hohenwarterin ihnen nach. Angst stand ihr im Gesicht geschrieben.

      Auch im angrenzenden Raum brannte ein Feuer im Kamin. Hinter den Fenstern zum Hof lag letztes Dämmergrau. Die Tür an der linken Seite war geschlossen, die zur Rechten stand offen. Wandteppiche hingen an den Wänden. Die Kerzen in den Wandleuchtern flackerten. Ein riesiger ausgestopfter Bär mit gefletschten Zähnen war neben der linken Tür auf den Hinterfüßen aufgestellt. Das verloren dastehende, zottelige Ungetüm machte einen grotesken Eindruck auf Norbert. Wer stellte sich so etwas ins Haus? Durch die Tür neben dem Bären drangen Flüche und Wutgebrüll.

      Norbert stand einen Moment still und konzentrierte sich. Die lauernde, dämonische Gegenwart war überall. Norbert spürte einen Druck im Kopf, als würde ihm der Schädel zusammengepresst. Er meinte, kaum atmen zu können. Schweiß brach ihm aus. Um was auch immer es sich handeln mochte, dieses Anderweltwesen war zu stark für ihn! Wie konnte er gegen etwas kämpfen, geschweige denn, es zurück in die Anderwelt bannen, das ihm derart zusetzte, noch bevor er es überhaupt ausmachen konnte?

      Die Worte des Meisters kamen ihm in den Sinn: Ich lasse mich niemals auf eine Begegnung ein, bevor ich nicht genau weiß, worum es sich handelt!

      Er musste dem Ratsherrn absagen. Alles andere wäre mörderischer Wahnsinn.

      Elmar ging an dem ausgestopften Bären vorbei und öffnete die Tür zur Linken.

      Drinnen schrie ein Mann auf jemanden ein: „Lüge! Du bist nur vergesslich, das ist alles! Wozu kritzelst du ständig in deine Bücher, wenn du dir die einfachsten Dinge nicht merken kannst? Natürlich habe ich noch Ländereien!“

      „Herr...,“ beschwichtigte eine gequälte Stimme, aber der Aufgebrachte schrie weiter:

      „Das Landgut bei Kloster Schwarzach!“

      „Ihr habt es voriges Jahr an den Schwarzacher Orden verkauft, Herr.“

      „Unmöglich, du irrst dich!“

      „Herr...“

      „Himmeldonnerwetter nochmal! Dann geh eben zu Ansgar Winterfels und borge noch einmal zweihundert Goldtaler von ihm. Sag ihm, ich zahle sie innerhalb von zwei Wochen zurück.“

      „Herr, der Ratsherr Winterfels hat mir