J.D. David

Mondschein


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getreten, der ihm ungebrochen ins Gesicht schaute und dann vor die Füße spukte. Sofort wurde der von einem der Soldaten in den Rücken getreten, und danach erst wieder am Schopf gepackt und hochgezogen, auf dass er seinem Richter ins Gesicht schaute.

      „Ludger, hol einen Strick.“, sagte der König, blickte dem Verurteilten noch einmal kurz ins Gesicht, und wandte sich dann ab, um zurück zur Kutsche zu gehen.

      Als er die Szene verließ, spürte er eine starke Hand auf seiner Schulter. „Gut gesprochen.“, sagte Geron leise und begleite den König zurück zu den anderen Reisenden. Währenddessen legte Ludger dem Anführer die Schlinge um den Hals…

      Der Schock des Überfalls war kurz aber heftig gewesen. Und dennoch war keiner der Soldaten gefallen. Zwei waren etwas schwerer verwundet, allerdings nicht lebensgefährlich, und so hatten sie sich mit einem weiteren Soldaten in ein nahes Dorf aufgemacht, um dort ihre Wunden zu versorgen. Der Rest des Trosses setzte die Reise fort, nachdem der Baumstamm zur Seite geräumt war, um auf keinen Fall die Nacht außerhalb einer befestigen Siedlung zu verbringen.

      Etwa zwei Stunden waren vergangen, noch einige Stunden Reise lag am Tag vor ihnen, als Isabel Lora überraschend mit einer Frage konfrontierte.

      „Lora, kannst du eigentlich Lesen und Schreiben?“

      Lora war völlig überrumpelt von dieser eigentlich doch eher absurden Frage. Wie sollte sie denn das gelernt haben? Sie hatte Isabel doch erzählt, wie sie ihr Leben verbracht hatte, und in diesem war sie bestimmt weder in eine Universität, Schule oder an einen Hof gekommen, um Lesen und Schreiben zu lernen. Obwohl ihr so einige, wahrscheinlich unpassende, Antworten durch den Kopf gingen, schaffte Lora es höflich zu bleiben. „Nein, wieso fragt Ihr?“ Isabel lächelte. „Weißt du, wir Frauen werden nie so stark oder kampfkräftig werden, wie Männer. Wir müssen uns in anderen Sachen beweisen. Intelligenz und Diplomatie sind da sehr wichtig, und dafür muss man auch oft genug Lesen und Schreiben können. Das solltest du, wenn es möglich ist, lernen.“ Lora nickte. Lesen und Schreiben musste bestimmt sehr schwer sein, da es so wenig Menschen konnten. Sie glaubte nicht, dass sie das so einfach lernen konnte, wie Isabel gerade beschrieb.

      Als hätte sie ihre Gedanken gelesen fügte dann Isabel noch hinzu. „Es ist gar nicht so schwer, wie du dir bestimmt vorstellst. Ich glaube, dass du ein kluges Mädchen bist, das das schnell lernt. Wenn du willst, kann ich dir ein paar Dinge zeigen.“ Wissbegierig nickte Lora. Sie war neugierig, und sie wusste nicht, wann sich das nächste Mal eine solche Chance bieten würde.

      „Ludwig“, fragte Isabel den Herzogssohn. „Hättest du etwas, womit ich Lora ein bisschen Lesen beibringen kann?“ Dieser nickte und griff in seine Umhängetasche, aus der ein kleines Buch zog.

      „Hier bitte, das sind einige valorische Gedichte.“

      „Danke“, sagte Isabel und nahm das Buch an sich. Dann schlug sie es auf und zeigte es Lora. Für diese sah das Ganze auf den ersten Blick nur wie wildes, schwarzes Gekritzel aus. Als sie jedoch näher hinschaute, begann sie langsam Muster zu erkennen.

      „Jedes Wort besteht aus mehreren Buchstaben“, begann Isabel die Erklärung, die noch den Rest der abendlichen Etappe dauern sollte.

      Kapitel 8

      Durch hohe Berge, alte Wälder

      Winde tragen diesen Reim

      Durch Wiesen, Weiden, Auen, Felder

      Uns Freital ist der Freien Heim

      Arthur ließ die letzten Zeilen des Gedichtes, das er gerade gelesen hatte, noch etwas nachwirken. Nicht dass er das Gedicht überhaupt noch lesen musste, er kannte es schon längst auswendig, aber es gab ihm ein gutes Gefühl, in dem kleinen Büchlein zu lesen, das ihm einst sein Vater gegeben hatte. Die Handschrift, der Einband mit dem Wappen Freitals, all das erinnerte ihn an die Tage seiner frühen Kindheit. Er war gerade fünf Jahre alt gewesen, als ihm sein Vater das Buch gegeben hatte, um dann in den Krieg zu gehen. Er war nie wieder zurückgekommen. Sein ganzes Leben hatte er das kleine Büchlein stets bei sich gehabt, während seiner Ausbildung zum Knappen, bei seinem Ritterschlag, bei all den Abenteuern, die er mit Geron und anderen erlebt hatte. Auch in der letzten Schlacht gegen die Urben, als er den großen Ikran Khan mit seinem Pfeil tötete, war das kleine Büchlein in seiner Gürteltasche gewesen. Egal wie weit er von Freital entfernt war, das kleine Buch mit den Gedichten, die einst sein Vater für ihn niedergeschrieben hatte, war ihm immer ein Stückchen Heimat, das er bei sich tragen konnte.

      Seufzend stand er auf, um noch eine Scheite Holz auf das Feuer nachzulegen, das langsam kleiner wurde. Als das trockene Holz ins Feuer gelangte, loderte es sofort wieder auf und spendete erneut Wärme, in dieser sonst klaren und kalten Sommernacht in den südlichen Ebenen von Tandor. Wulf, der mit ihm am Feuer saß, nickte Arthur dankbar zu. Obwohl er in seinen wärmenden Mantel eingehüllt war, musste ihm die Kälte bestimmt besonders in die alten Knochen fahren. Außer ihnen beiden waren noch vier weitere Wachen eingeteilt, die jedoch um das Lager verteilt waren. Obwohl er als Ritter und Freiherr standesgemäß weit über seinen Männern stand, hatte er, trotz Protesten, darauf bestanden, sich wie alle an der Wache zu beteiligen. Es war mittlerweile zu einer Art Ritual geworden, dass er sich bei jeder Wacheinteilung ebenfalls einteilte, seine Männer dagegen protestierten, er jedoch darauf bestand. Das ging jeden Abend so, schon so lange er seine Männer anführte, und es würde wohl auch immer so weitergehen.

      Er schaute in den Himmel hoch. Keine Wolke bedeckte das Sternenzelt, der Mond stand etwa auf Viertel, bald gab es Neumond. Er dachte an die Schlacht zurück, und die Tage in Celans Heer. Arthur wollte nicht wissen, wie viel Überwindung es den eitlen Herzog gekostet haben musste, um diese Hilfe aus Rethas zu bitten. Aber er würde genau wie Arthur wissen, dass es am Ende die Bogenschützen aus Rethas gewesen waren, die das Schlachtenglück für sich entschieden hatten.

      Obwohl es nicht lang war, kam ihm die Zeit in Tandor wie eine Ewigkeit vor. Arthur war froh, dass die meisten Männer, die mit ihnen losgezogen waren, auch wieder heil nach Hause zurückkehren würden. Nur neunzehn waren gefallen, zwei davon waren schwarze Pfeile gewesen. Weitere neun waren verletzt immer noch in Tandor, diese würden aber in den nächsten Wochen auch wieder nach Hause zurückkehren können.

      „Wie lange noch?“, fragte er Wulf. Arthur wusste nicht wieso, aber Wulf hatte so ziemlich das beste Zeitgefühl, das er jemals bei jemandem bemerkt hatte. Obwohl er sich natürlich freiwillig für die Wache gemeldet hatte, war Arthur doch froh, wenn er endlich noch ein paar Stunden Schlaf genießen konnte. Morgen würde wieder ein langer und anstrengender Tag werden, genau wie die letzten Tage. Er hatte sich entschieden, ein ambitioniertes Marschtempo anzuordnen. Einerseits wollten alle natürlich schnell nach Hause, andererseits war das Reisen in dieser Gegend alles andere als sicher. Obwohl sie das Hauptheer der Urben von Ikran Khan geschlagen hatten, gab es noch genug kleinere Stämme, die sich dem Kriegsherrn nicht angeschlossen hatten und noch immer marodierend durch die Länder zogen. Auch wenn er nicht glaubte, dass jemand eine solch starke Truppe wie die ihrige angreifen würde, wollte Arthur lieber sicher gehen und deshalb die Ebenen im südöstlichen Tandor möglichst schnell passieren. Er hatte sich auch dagegen entschieden, über die westlichen Straßen zu reisen, da dies einfach zu viel Zeit gekostet hätte. Den Preis, den sie jetzt dafür zahlen mussten, waren eben die kalten Nächte in den Ebenen und die anstrengenden Märsche am Tag.

      „Nur noch wenige Minuten, du kannst die nächsten wecken gehen“, antwortete Wulf. Sie beide waren schon zu lange durch die Lande gezogen und hatten schon zu viel erlebt, als dass Wulf auf Höflichkeiten achten würde, die Arthur eigentlich zustanden. Ihm machte das nichts aus. Er erhob sich und streckte sich kurz. Endlich konnte er noch ein bisschen Schlaf finden. Er ging zwischen den Männern hindurch, die überall möglichst nah an verschiedenen Feuern lagen, und suchte die für die nächste Wache eingeteilten Soldaten.

      Gerade erreichte er einen von ihnen, als er stockte. War da nicht etwas in der Nacht gewesen, das sich von dem Schnarchen der Männer und den knisternden Feuern abgehoben hatte. Er meinte ein leises Geräusch zu vernehmen, dass hier nicht ganz hinpasste. Ruhig stehend versuchte er die gewohnten Geräusche auszublenden und sich nur auf das zu konzentrieren, was hier nicht hingehörte.