J.D. David

Mondschein


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erblickten. Geron hatte zwar eigentlich nicht gewollt, dass ein Soldat auch sein Wappen trägt, immerhin sei er nur ein einfacher Reisebegleiter, aber der Herzog von Fendron hatte auf diese Ehre bestanden. Als sie näher kamen musterte Priovan die Menschen genauer. Viele sahen sehr dürr und ausgemergelt aus, obwohl doch eigentlich so ein bescheidenes Dorf ganz erträglich sein sollte, das zudem noch an einer viel genutzten Straße lag. Und von erhöhten Steuern in Fendron hatte er auch noch nicht gehört. Hatten die Winter der letzten Jahre wirklich so hart zugeschlagen? Er wollte Geron gerade nach dieser Situation fragen, als sie die Dörfler bereits erreichten.

      Aus der Menge von etwa vierzig Dorfbewohnern trat ein Mann heraus, der seine besten Jahre offensichtlich schon hinter sich hatte. Dennoch wirkte der Mann kräftig und willensstark, weder gebeugt von Alter noch von Hunger. Seine dunklen Haare waren schon grau durchzogen, sein Bart wuchs wild. Anhand seiner Schürze, die er um den Bauch trug, konnte man annehmen, dass es sich um den Wirt der kleinen Herberge handelte. Dieser schien auch als Dorfvorsteher zu fungieren.

      „Seid gegrüßt, edle Herren“, begrüßte er die Reisenden mit einer kleinen Verbeugung. „Es ist mit eine Ehre, Euch in unserem bescheidenen Dorf willkommen zu heißen, Herr Ritter. Mein Name ist Havold. Wünscht Ihr zu rasten? Können wir Euch in irgendeiner Weise dienlich sein?“

      Geron nickte dem Wirt zu und stieg ebenso wie der Hauptmann der Eskorte aus dem Sattel. Nach einem kurzen Wink tat es ihm auch Priovan gleich, der sich jedoch wohlweislich im Hintergrund hielt. Es sollte wirklich nicht jeder wissen, wen er dort vor sich hatte.

      „Vielen Dank, Havold.“, sagte Geron während er sich seiner Reithandschuhe entledigte. „Wir wünschen für einen Augenblick zu rasten. Kümmere dich doch bitte darum, dass die Pferde ordentlich getränkt und gefüttert werden und dass die Soldaten ein ordentliches Mittagsmahl und einen großen Humpen Wasser bekommen. Kein Alkohol zu dieser Zeit. Außerdem würden sich die hohen Herrschaften gerne für einige Momente in die Schänke setzten, rasten und ein kleines Mittagsmahl einnehmen. Du wirst natürlich entsprechend entlohnt werden.“

      Der Mann verneigte sich wieder und drehte sich zu den Dörflern um, um diesen Anweisungen zu geben. Diese Reisegruppe bedeute ein wirklich lohnendes Geschäft für das kleine Gelnau, das offensichtlich in der jüngsten Vergangenheit nicht mit Glück gesegnet war.

      Nachdem er sich mit Havold unterhalten hatte ging Geron zusammen mit Ludger und Priovan zu der Kutsche und öffnete die Tür.

      „Mein Herr“, wandte er sich an Ludwig. „Wir werden hier eine kleine Rast einlegen, wenn Ihr nichts dagegen habt.“

      Ludwig erhob sich und stieg aus der Kutsche. Als erstes streckte er sich kräftig und konnte auch ein leichtes Gähnen nicht unterdrücken.

      „Im Gegenteil, eine Pause kommt wirklich gerade gelegen.“ Dem Herzogssohn folgte Isabel, der Ludwig eine Hand zum Aussteigen reichte, und Lora, die auch mehr als froh war, endlich eine kleine Pause einlegen zu können und sich ein bisschen die Beine vertreten zu können. Sie hatte die lange Zeit in der Kutsche mehr angestrengt, als sie zu denken vermocht hatte. Dennoch war die Zeit einigermaßen angenehm gewesen. Isabel hatte sich weiterhin äußerst freundlich und nett gezeigt und auch Ludwig war immer höflich zu ihr gewesen. Es war keinerlei Anspannung zu spüren gewesen, obwohl doch Welten zwischen dem Stand der beiden und dem ihren lagen. Wenn sie eine Erkenntnis von dieser ersten Etappe ihrer Reise hatte, dann wohl, dass auch die höchsten Adeligen nur Menschen sind. Obwohl sie dies bei Priovan schon festgestellt hatte, war er für sie immer noch weniger König als mehr ein einfacher Junge, der Abenteuer erleben wollte.

      Gemeinsam gingen dann Geron, Ludger, Priovan, Isabel und Lora in die kleine Taverne. Der Innenraum war kaum beleuchtet, jedoch schaffte es die Mittagssonne durch alle Fugen und Löcher durch die Wand und so wurde der Raum doch ganz gut erhellt. Die fünf setzten sich an einen Tisch und sahen, wie der Wirt im Hinterraum, offensichtlich der Küche, verschwand. Nach kurzer Zeit kam ein kleines Mädchen aus dem hinteren Raum. In der Hand hielt sie ein Tablett mit einem großen Krug Wasser und mehreren Tonbechern, das offensichtlich zu schwer für sie war und so ständig drohte auf den Boden zu fallen. Das Mädchen war vielleicht sieben oder acht Jahre alt und hatte dunkle Haare wie der Wirt, die jedoch recht kurz geschnitten waren. Geron schaute zu Priovan.

      „Hilf ihr doch bitte.“, sagte er und der Knappe folgte wie immer gehorsam seinem Befehl. Auch wenn das Mädchen offensichtlich dankbar darüber war, dass ihr die Last abgenommen wurde, stammelte sie doch leise: „Das ist doch nicht nötig.“ Dann sagte sie aber nichts mehr sondern verschwand in der Küche, während Priovan sechs Becher mit Wasser füllte. Das Wasser war angenehm klar und kühl und alle außer Isabel lehrten die Becher in wenigen Zügen. Lora bemerkte, dass Isabel den Becher nur immer kurz an den Mund ansetzte und kleine Schlücke trank. Obwohl auch sie bestimmt sehr durstig war, schaffte sie es so, stets eine gewisse Eleganz zu bewahren, die sie deutlich von den anderen am Tisch sitzenden hervorhob.

      Als das Mädchen das zweite Mal wiederkam wurde sie vom Wirt, offensichtlich ihrem Vater, begleitet. In der Hand trug sie ein grobes Holzbrett auf dem ein großer Laib Brot und fünf Holzlöffel lagen. Der Wirt hatte sechs dampfende Schüsseln in den Händen, und schaffte es trotz der großen Anzahl diese ohne einen Tropfen zu vergießen auf den Tisch zu stellen. Es war ein einfacher Eintopf aus verschiedenem Gemüse und einigen Brocken Fleisch. Nichts Besonderes für die Adeligen am Tisch, jedoch war es für Lora wohl genauso wie für die einfachen Bauern des Dorfes ein wirklich gutes Essen, das man schätzen sollte.

      Als der Wirt gerade wieder verschwinden wollte, die drei Männer, Priovan und Lora wollten schon mit dem Essen beginnen, hielt die Stimme von Isabel den Wirt vom Gehen ab.

      „Sagt, Herr Wirt, was geschieht in diesem Dorf, dass die Menschen hier so leiden müssen? Die Kinder und Frauen sehen ausgemergelt aus und selbst die Männer, die durch die harte Feldarbeit für eine gute Ernte sorgen sollten, sehen nicht besonders wohlgenährt aus. Was ist hier geschehen, dass das Dorf so arm ist?“

      Der Wirt drehte sich um und trat wieder an den Tisch. Alle hatten ihre Löffel wieder weggelegt, obwohl Lora wirklich darauf brannte, endlich zu beginnen. Das frühe Frühstück hatte nicht lange vorgehalten. Aber sie war es ja gewöhnt, auch für längere Zeit nichts zu essen.

      „Oh, edle Dame, so einiges ist geschehen, was diesem Dorf kein Glück brachte“, begann der Mann zu erzählen. Geron deutete auf einen der Schemel, die in der Nähe standen, und der Mann setzte sich dankbar. Lora erkannte die kleine Tochter, die am Türrahmen zum Hinterzimmer stand und die Szene beobachtete.

      „Ich glaube alles begann vor drei Jahren, als in einer Herbstnacht unsere Scheune abbrannte. Von dort an widerfuhr diesem Dorf nur noch Pech, ein Schicksalsschlag nach dem anderen. Die Scheune beherbergte unsere Vorräte für den Winter. Obwohl wir natürlich auch noch einige andere Vorräte hatten, wussten wir schon, dass es ein Winter voll Entbehrungen werden sollte. Wir hatten jedoch nicht damit gerechnet, dass es so schlimm wird. Die Herrschaften erinnern sich vielleicht an den Winter vor drei Jahren. Er war hart, kalt und wollte offenbar nie enden. Zu allem Überfluss suchte uns in dieser Zeit, als wir sowieso schon geschwächt von Hunger und Kälte waren, noch das Fieber heim. Mein Weib und mein jüngster Sohn, eine Knabe von damals erst sechs Jahren, starben beide am Fieber. Auch andere Familien verloren Frauen, Männer und Kinder. Als der Winter überstanden war, hofften wir das schlimmste hinter uns zu haben. Aber wir haben uns getäuscht. Es folgten weitere schwierige Monate. Stürme im Frühjahr, Trockenheit im Sommer und weitere Kälte im Winter ließen die Situation immer schlimmer werden, aber nicht nur bei uns. Auch in den Dörfern der Umgebung wurde die Lage zunehmend ernster. Aus Frust, Armut, Hunger und Verzweiflung bildeten sich dann Räuberbanden, Diebe und Gesetzlose. In den letzten drei Monaten wurden wir schon zweimal von solchen Banden überfallen. Die Lage ist wirklich dramatisch. Meine beiden großen Söhne verließen mich letztes Jahr, wahrscheinlich auch um vom Pfad der Tugend abzukommen. Natürlich bin ich enttäuscht, aber wirklich verübeln kann ich es ihnen nicht. Deshalb bleibt mir jetzt nur noch meine kleine Tochter. Wir hoffen schon seit langem auf Hilfe unseres Freiherrn oder des Herzogs, aber bisher stehen wir alleine da.“

      Der Wirt wirkte sichtlich niedergeschlagen, als er seinen Bericht beendet hatte. Eine beklemmende Stille breitete sich im Raum aus. Natürlich