Nadja Christin

Samuel, der Tod


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Tod zu berühren.

      Um das Erlebte zu vergessen, versucht er es einfach im Whisky zu ertränken. Francesco schätzt, dass er noch einige Flaschen braucht, um die Erinnerungen erfolgreich zu verdrängen.

      Der Pfarrer dreht den Schlüssel herum und rüttelt an der Türe, ob sie auch wirklich fest verschlossen ist. Er löscht noch einige Kerzen, die in Wandhaltern stecken, aber beinahe niedergebrannt sind. Sie können kein Feuer entfachen, doch ihr Wachs ist auf dem alten Steinboden nur schwer wieder zu entfernen. Francesco geht das Mittelschiff entlang, auf seine privaten Gemächer zu. Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen, beinahe kann er schon den Whisky auf seiner Zunge schmecken, fühlt, wie er ihm ölig die Kehle hinabfließt.

      Abrupt bleibt er stehen.

      Eine Vorahnung befällt ihn, ein seltsames Gefühl, als geschehe gleich etwas Ungeheuerliches. Francesco streckt die Hand aus, sie zittert leicht, er stützt sich an der dritten Sitzreihe ab, horcht in sich hinein. Aber es ist nur dieses seltsame Gefühl, das seine Eingeweide zusammenzieht und ein Kribbeln über seinen Körper jagt. Die Haare stellen sich auf, die Haut wird kalt und Schweiß drückt sich durch die Poren.

      Wie in Zeitlupe dreht sich Francesco um, wirft einen Blick auf die verschlossene Kirchentüre. Sie wölbt sich nach innen, so als drücke etwas von außen mit einer enormen Kraft dagegen. Der Pfarrer hält den Atem an, fasziniert starrt er auf die Tür, sie zittert, sie ächzt und knarrt und wölbt sich immer mehr.

      »Was in Gottes Namen ist das«, flüstert Francesco heiser. Dann beginnt das Holz zu glühen, feurig rot und orange leuchtet es von der Mitte her auf, zieht kreisförmige Bahnen und hinterlässt schwarzes, verkohltes Holz.

      Francesco hält sich die Hand vor Mund und Nase, der Geruch nach verbranntem Holz mischt sich mit Schwefelgestank und etwas, das ihn an einen Wohnungsbrand erinnert, zu dem er vor zwei Jahren gerufen wurde, um drei, in den Flammen umgekommenen Kindern, die letzte Ölung zu erteilen. Die zwei Mädchen und das Baby waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, sahen aus, wie Steaks, die jemand auf dem Grill vergessen hatte und sie stanken bestialisch. Ein Geruch, der an einem haften bleibt, wie oft man sich auch duscht und den man sein Lebtag nicht vergisst, egal, wie viel man trinkt.

      Francesco spürt die Übelkeit, seine Beine geben nach. Gerade noch rechtzeitig wendet er sich ab und erbricht sich lautstark zwischen den Sitzreihen.

      Mit zitternder Hand wischt er sich über den Mund, wirft einen weiteren Blick auf die schwelende Kirchentür. Sie ist nahezu komplett verbrannt. Francesco zwinkert einmal, dann explodiert die Türe vor seinen Augen.

      Doch es ertönt kein lauter Knall, wie er es erwartet hätte. Die schwere Kirchenpforte zerfällt beinahe lautlos in Millionen einzelne Holzsplitter.

      Der Pfarrer traut seinen Augen nicht. Wie kleine Geschosse fliegen die Splitter in seine Kirche und auch um ihn, herum. Einer landet auf seinem Arm. Francesco betrachtet ihn, hellgrauer Qualm steigt von dem Holz auf. Angewidert schüttelt er ihn ab. Es dauert nur Sekunden, bis die Fragmente sich verteilt haben und der Rauch sich verzieht, aber Francesco kommt es wie Stunden vor. Er will gar nicht auf die Stelle blicken, wo einst die Türe war, um seine Kirche gegen ungebetenen Besuch zu schützten. Aber er kann einfach nicht anders, als dreht jemand gewaltsam seinen Kopf in die Richtung, und zwingt ihn, das Schauspiel zu betrachten.

      Draußen ist es bereits dunkel, ein schwarzes Rechteck, wie das Maul eines gierigen Monsters, prangt mitten in der Wand.

      Dort steht jemand. Francesco kann ihn sehen, doch nicht erkennen, wer das sein soll, er nimmt nur die Umrisse wahr.

      Scheinbar ein Mann, groß, mit einem langen Mantel und breitem Hut bekleidet. Sein Gesicht wird völlig von der Dunkelheit verborgen. Der Pfarrer zwinkert ein paar Mal, er versucht verzweifelt das was er sieht, auch zu glauben. Es wirkt wie ein Film, als sehe Francesco sich einen billigen Western an. Jetzt fehlt nur noch ein Recorder, der im Hintergrund Spiel mir das Lied vom Tod abspielt, denkt er und unterdrückt krampfhaft ein hysterisches Kichern, das seine Kehle emporsteigen will.

      Die Gestalt geht einen Schritt nach vorne.

      Dem Pfarrer ist einen Moment so, als könnte er sogar das Klirren von Sporen hören und Leder, wie es gegeneinander reibt und dabei ein leises Quietschen ertönen lässt. Der lange Mantel weht um den Körper des Eindringlings.

      Er vollführt einen weiteren Schritt in die Kirche hinein. Jetzt trifft ihn das helle Licht und Pfarrer Francesco kann seinen ungebetenen Besucher endlich richtig sehen.

      Aber der Geistliche wünscht sich nichts sehnlicher, als das er das nicht könnte, dass er jetzt nicht erkennt, WER ihn da heimsucht. Mit zitternden Lippen betet Francesco das Vater Unser und wünscht sich blind zu sein.

      »Guten Abend, Pater«, sagt der Fremde und zieht den Hut von seinem Kopf.

      Darunter kommen blonde, feine Haare zum Vorschein, die seinen schmalen Kopf wie eine Gardine umgeben. Sie fallen ihm über die glutroten Augen und verbergen sie beinahe. Dennoch erkennt der Pfarrer, durch die blonden Strähnen hindurch, das Feuer.

      Er blickt rasch zu Boden, kneift die Lider fest zusammen, um nur nicht in diese grausamen und alles verschlingenden Augen sehen zu müssen.

      »Wisst Ihr wer ich bin?« fragt der Eindringling. Francesco hört, wie er langsam auf ihn zukommt, doch er ist unfähig, sich zu bewegen, geschweige denn wegzurennen, oder etwas zu erwidern.

      Kurz ist es still in der kleinen Kirche, Francesco ist schon versucht, seine Augen zu öffnen, um nachzusehen, ob der Dämon verschwunden ist.

      Vielleicht war das ja alles nur ein böser Traum, überlegt der Pfarrer, möglich, dass ich in den letzten Tagen einfach dem Whisky zu sehr vertraut habe. Genau in der Sekunde, als der Geistliche schon seine Lider einen Spalt breit öffnen will, ertönt erneut das seltsame Klirren, wie von Sporen, unmittelbar vor ihm.

      Rasch kneift er die Augen noch fester zusammen.

      Bedauernd schnalzt der Fremde dreimal mit der Zunge.

      »Was sind denn das für Sitten?«, fragt er leise, seine Stimme bohrt sich regelrecht in Francescos Ohren. Lässt ihn den Kopf noch weiter zwischen die Schulter ziehen. Er wünscht sich, der Boden würde sich unter ihm auftun, um ihn zu verschlingen.

      »Heißt es nicht, die Kirche steht jedem offen?« Die Worte dringen in den Pfarrer ein, er ist jedoch nicht fähig, darauf zu antworten.

      Francesco fühlt, wie sich eine Hand auf seine linke Schulter legt, er stößt ein erschrecktes Keuchen aus.

      »Wieso also schließt Ihr dieses Gotteshaus ab?«

      Die Hand presst die Schulterknochen zusammen.

      »Was fürchtet Ihr so sehr, dass Ihr Eure Kirche verschließt?«

      Der Druck auf Francescos Schulter wird unerträglich, der Daumen des unheimlichen Kerls, drückt gegen das Schlüsselbein. Der Pfarrer stöhnt laut auf, er erwartet jeden Moment, dass seine Schulter wie ein trockener Ast einfach bricht. Ich darf nicht schreien, ermahnt sich Francesco selbst, ich darf nicht zeigen, dass er mir Schmerzen zufügt, das darf ich nicht. Ich nähre nicht seine Gier nach Leid.

      »Oder sollte ich besser sagen: WEN fürchtet Ihr?«

      Es erschallt ein hohles Knacken.

      Auch wenn Francesco sich noch so sehr vorgenommen hat, nicht zu schreien, dieser Schmerz ist mit nichts zu vergleichen. Der Pfarrer reißt die Augen auf, lässt sich fallen und brüllt seinen Schmerz, seine Qualen hinaus. Als er auf dem harten Steinboden landet, durchzuckt ihn eine erneute Schmerzenswelle. Er greift mit der Hand an seine Schulter, der Schmerz rast durch seinen Körper, konzentriert sich in der linken Schulter und scheint dort, wie eine Bombe, einfach zu explodieren. Das Echo von Francescos erstem Schrei ist noch nicht ganz verklungen, als er bereits weitere Schmerzenslaute ausstößt. Sie prallen von den Wänden ab, kommen vervielfältigt zu ihnen zurück, um sofort wieder auf die Reise geschickt zu werden.

      Es dauert ein paar Minuten, bis Francesco sich etwas beruhigt hat. Er hat gehofft, durch die Qualen ohnmächtig zu werden, um sich so weiteres Leid zu