Nadja Christin

Samuel, der Tod


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      Der Fremde steht über ihn gebeugt, die blonden Haare hängen wild um seinen Kopf, um den Mund spielt ein spöttisches Lächeln, mit glutroten Augen blickt er den Pfarrer an.

      »Wer … sind … Sie?« Francescos Stimme ist rau und heiser vom Schreien.

      »Ich heiße Gerome«, antwortet der Mann und beugt sich noch etwas tiefer. Seine blonden Haare berühren beinahe Francescos schweißnasses Gesicht. Die feurigen Augen bohren sich in den Blick des Geistlichen.

      »Was ich bin, brauche ich Euch wohl nicht zu erklären.«

      Gerome packt den Pfarrer mit einer Hand am Hals, zieht ihn langsam hoch. Francesco lässt seine schmerzende Schulter los, legt sie auf das Handgelenk und will so den Griff um seinen Hals ein wenig lockern. Aber der Fremde stellt den Pfarrer lediglich auf die Füße, bevor er ihn loslässt. Laut keuchend taumelt Francesco einige Schritte zurück, fasst sich zuerst an den Hals, dann an seine schmerzende Schulter. Sein linker Arm hängt wie leblos an ihm herab, er kann ihn nicht mehr bewegen und spürt ihn auch nicht mehr.

      Gerome beobachtet den Geistlichen genau, beim geringsten Anzeichen einer Flucht, wird er erneut zupacken. Das wird jedoch das Letzte sein, das der Pfarrer spüren wird.

      Soweit möchte es der Fremde nicht kommen lassen, zuerst benötigt er noch einige Informationen von dem Pfaffen, was dann mit ihm geschieht, wird sich zeigen.

      »Was wollen Sie von mir?«

      Panisch hält Francesco Ausschau nach einem Fluchtweg, obwohl er ahnt, dass ein Entkommen nicht möglich ist. Er kann sich ausmalen, dass er diesen Abend nicht gemütlich bei etlichen Gläsern Whisky beschließt, eher wird gleich sein Blut über den heiligen Boden spritzen. Mit viel Glück wird es rasch zu Ende sein. Daran glaubt Francesco, darauf hofft er. Ist sein Glaube doch das Einzige, das ihn im Moment noch aufrecht hält.

      »Ich benötige einige Informationen von Euch.« Die Stimme des Fremden ist leise und beinahe freundlich.

      Francesco runzelt fragend die Brauen.

      »I-I-Informat-t-tionen?«, stottert er. »Was könnte ich schon wissen? Ich bin nur Pfarrer einer kleinen Gemeinde, ich weiß gar …«

      »Schweig!« Unterbricht ihn Gerome mit donnernder Stimme, die sich in der Kirche sofort in ein dröhnendes Echo verwandelt. Augenblicklich presst Francesco die Lippen zusammen, zieht ängstlich den Kopf zwischen die Schultern, ignoriert dabei den grausamen Schmerz.

      Gerome schließt für einen kurzen Moment die Lider, fährt sich mit beiden Händen durch die blonde Mähne, bevor er die glühenden Augen erneut auf Francesco richtet.

      »Ich bin auf der Suche nach einem Abtrünnigen«, meint er mit leiser Stimme und so geduldig, als erklärt er einem Kind den Weg der Welt.

      »Einem Verräter unter den Meinigen. Du verstehst?« Bedeutungsvoll sieht Gerome den Geistlichen an.

      Der begreift nicht sofort, aber nach ein paar Sekunden nickt Francesco eifrig mit dem Kopf.

      »E-Einem Verräter unter den … den Sensenmännern.«

      »Ja, genau.« Gerome verzieht den schmalen Mund zu einem Lächeln. Das gibt seinem harten Gesicht etwas Weiches und lässt es bedeutend freundlicher erscheinen. Für den Bruchteil von einer Sekunde verändern sich seine Augen. Sie wechseln von diesem glühenden Rot zu einem schönen Dunkelblau. Es geht so rasch vor sich, dass sich Francesco nicht sicher ist, ob das gerade eine Einbildung war.

      »Ihr habt es erfasst, Pater.« Seine Stimme klingt erfreut.

      »Warum sollte ich etwas über einen Verräter wissen?«

      Der Pfarrer versucht Zeit zu schinden, er ahnt, dass der Fremde niemand anderen als Samuel meint, dennoch befürchtet er, dass der Sensenmann kurzen Prozess mit ihm macht, sobald er die gewünschten Informationen von ihm erhält.

      Gerome verschränkt die Arme vor seinem schmalen Körper, erneut hört Francesco dieses leise Geräusch, das er anfangs für das Klirren von Sporen gehalten hat. Jetzt erkennt er den wahren Ursprung des Tones.

      Um Geromes Handgelenk, das so schmal ist, das es wie eine Skeletthand wirkt, hängt locker eine silberne Kette. Deren dicke Glieder und die vielen Anhänger, schlagen leise klirrend gegeneinander.

      »Er war hier«, meint der Sensenmann schlicht.

      »Ich kann ihn noch riechen und auch fühlen.«

      Gerome geht einen Schritt auf Francesco zu, dieser weicht ängstlich keuchend nach hinten aus.

      »Also«, meint Gerome leise, aber mit drohendem Unterton. »Werdet Ihr mir jetzt sagen, was er hier wollte und wo er hiernach hingegangen ist? Oder muss ich Euch auch noch die andere Schulter brechen?«

      Der Fremde hebt seinen Arm an, der Pfarrer weicht kreischend einen Schritt nach hinten aus.

      »Nein!«, schreit er laut, »Bitte, alles, nur das nicht. Ich … ich will ja alles sagen.«

      Francesco stolpert über seine eigenen Füße. Reflexartig versucht er seinen Fall abzubremsen. Als seine linke Hand den Boden berührt, löst das eine erneute, grausame Schmerzenswelle aus. Der Pfarrer hält sich die Schulter, lässt sich gänzlich auf den Steinboden fallen. Wimmernd bleibt er liegen, Tränen fließen wie Sturzbäche aus seinen Augen, verwischen seinen Blick, der gerade anfängt, an den Rändern schwarz zu werden. Francesco erwartet diese Ohnmacht voller Freude, er möchte sich in sie hineinstürzen, wie in einen herrlich klaren See.

      Als Francesco aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht, findet er sich, zu seinem Erstaunen, in seinen eigenen Gemächern wieder. Er liegt auf dem Sofa, lang ausgestreckt. Einen Augenblick überlegt der Pfarrer, dass das alles vielleicht nur ein böser Traum gewesen sein könnte, aber im selben Moment durchschießt ihn der Schmerz seiner gebrochenen Schulter und Francesco weiß, dass es leider die Realität ist.

      »Ah, ich habe schon befürchtet, dass Ihr sterbt, bevor Ihr mir etwas erzählen könnt.«

      Erschrocken dreht Francesco sich um.

      Gerome lehnt lässig gegen den Wohnzimmerschrank, ein Glas, mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit, in der einen und einem Bilderrahmen in der anderen Hand.

      »Wer ist das?« Der Sensenmann dreht die Fotografie um und zeigt sie Francesco. Das Lächeln, des blonden Mädchens auf dem Bild, scheint etwas gezwungen, ganz so, als sitzt sie bereits seit Stunden vor der Kamera.

      Der Geistliche schlägt beschämt die Augen nieder. »Niemand. Das … das Bild war da schon drin, als ich den Rahmen kaufte.«

      Laut lachend stellt Gerome den Bilderrahmen zurück ins Regal.

      »Ihr stellt Euch also ein Symbolbild ins Zimmer, nur damit Ihr euch mit einem Weibsbild schmücken könnt? Ich dachte, Ihr müsst enthaltsam leben.«

      Erneut dieses Lächeln, das sein Gesicht weicher und liebenswürdiger erscheinen lässt.

      Stöhnend versucht Pfarrer Francesco sich in eine sitzende Position zu erheben.

      »Ich wollte nur ein freundliches Gesicht in meinem Zimmer haben.« Erklärt er fast entschuldigend.

      »Ihr Menschen seid doch alle gleich«, meint Gerome abfällig. »Nun wieder zurück, zu unserem eigentlichen Thema«. Der Sensenmann wedelt mit einer Hand locker durch die Luft.

      »Also, ich will wissen wer von den Meinigen bei Euch war und zu welchem Zweck. War etwa Euer Dasein abgelaufen aber er hat Euch weiterkeuchen lassen? Und in welches Mauseloch ist er hinterher verschwunden.« Bevor Francesco antworten kann, fügt Gerome noch hinzu:

      »Und es wäre besser für Euch, wenn Ihr mir diesmal antwortet.«

      Beschwichtigend hebt der Pfarrer die rechte Hand, seine andere gehorcht ihm nicht, sie hängt bloß wie ein totes Stück Fleisch an ihm herunter.

      »Er heißt Samuel und kommt seit nunmehr 40 Jahren jedes Jahr im November zur Beichte in meine Kirche. Wo er herkommt und wohin er geht, weiß ich leider nicht.« Francesco zuckt vorsichtig