Nadja Christin

Samuel, der Tod


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Feuerdecke verbrennt Samuels Hemd, legt sich wie glühende Lava auf seinen nun nackten Oberkörper. Frisst sich durch die Haut, verbrennt und verzehrt alles, bis nur noch die blanken Knochen zu erkennen sind. Dann erlischt das Feuer von selbst.

      Was zurückbleibt ist ein skelettierter Oberkörper und ein Knochenschädel, von dem noch Rauch aufsteigt. Der Geruch nach verbranntem Fleisch und Haaren hängt satt in der Luft, wie bei einem Barbecue, bei dem niemand auf die Steaks achtet.

      Aus den schwarzen Augenhöhlen glühen zwei feurige, rote Klumpen, Kohlenstücken gleich. Sie funkeln Liam wütend an.

      »Sieh in meine Augen und fahr zur Hölle, Blutsauger.«

      Samuels Stimme vervielfältigt sich in Liams Kopf, beinahe so, als habe der Vampir ein Echo in seinem Schädel.

      Auch wenn er sich noch so sehr dagegen wehrt, er schafft es einfach nicht, die Augen geschlossen zu halten. Wie in Zeitlupe öffnet er sie, dreht den Kopf noch vorne und sieht in die Augen des Todes.

      »Nein …«, haucht er tonlos und ist doch nicht mehr Herr seiner Gedanken und Gefühle.

      »Bitte …«

      In diesem Moment geht mit Schwung die Eingangstüre auf. Das Glöckchen bimmelt heftig und noch bevor die Türe wieder ins Schloss zurückfallen kann, ruft jemand laut:

      »Was zum Teufel ist denn hier los?«

      Mit einem wütenden Brüllen, lässt Samuel sein Opfer los und dreht sich um.

      Liams Beine geben nach, er rutscht langsam an den Schränken entlang zu Boden, wo er mit geschlossenen Augen sitzen bleibt.

      Vor dem Tod steht ein Mädchen, lange schwarze Haare, die zu einem Zopf zusammengebunden sind, sie ist klein und von schmaler Statur, aber die Wut, die in diesem Moment von ihr ausgeht, lässt sie viel größer erscheinen, als sie ist. Sie hebt den Arm, zeigt mit ihren schmalen Fingern auf Samuel und brüllt mit einer solch lauten Stimme, die man ihr gar nicht zutraut:

      »DU! … Raus hier!«

      Innerhalb von Sekunden verwandelt sich Samuel. Es ist so, als gebe das alles zerfressende Feuer ihm sein Fleisch, seine Haare und die Haut zurück. Nur sein Hemd bleibt verschwunden, das kann das Feuer ihm nicht mehr wiedergeben.

      Alice atmet erschrocken ein, aber sie versucht sich diese kurze Schwäche nicht anmerken zu lassen.

      Auch Samuel ist über ihr Auftauchen erschrocken, er runzelt für eine Sekunde nachdenklich die Stirn, dann bückt er sich, hebt seine Lederjacke auf und streift sie sich über. Als er Alice wieder ansieht, lächelt er schief.

      »Verzeiht mir, Eure Hoheit. Ich vermutete Gefahr.« Mit dem Daumen zeigt er hinter sich, in die ungefähre Richtung, wo Liam noch immer stumm und wie tot gegen die Schränke gelehnt auf dem Boden sitzt. »Ausgehend von diesem Tier.«

      Alice schüttelt den Kopf. Ihr ist so, als stehe sie neben sich und beobachtet eine völlig überzogene Theaterszene. Noch einmal schüttelt sie mit dem Kopf, um wieder klarer denken zu können.

      Sie blickt Samuel direkt ins Gesicht.

      Was für angenehme Augen er doch hat, denkt sie, selten habe ich jemanden getroffen, dessen Augen so wunderschön sind.

      Dieses Blau, wie ein Gebirgsbach so rein, wie die See so tief und dunkler als ein nächtlicher, sternenübersäter Himmel.

      Dann setzt sich Samuel die Sonnenbrille auf und der Augenkontakt reißt ab. Alice fühlt sich, als werde sie zurück in ihren Körper katapultiert, als fliege ihr Geist zu ihr zurück. Sie kann sich an die vergangenen Sekunden kaum noch erinnern.

      Samuel deutet eine kleine Verbeugung in Alice Richtung an und sagt:

      »My Lady. Ich wünsche Euch einen schönen Tag.«

      Die Werwölfin antwortet nicht, sieht Samuel erstaunt hinterher, wie er in einem kleinen Bogen, um sie herum, dem Ausgang entgegen geht.

      Er öffnet die Türe nur einen Spalt breit, gerade weit genug, damit er hindurch passt. So berührt die Oberkante der Tür die kleine Glocke nicht und sie muss keine weiteren Laute ausstoßen. Samuel dreht sich ein letztes Mal um, bevor sich die Türe hinter ihm ganz geschlossen hat. Aber Alice beachtet ihn überhaupt nicht, sie hockt bereits vor Liam und versucht ihn wieder von den Toten aufzuwecken.

      Die Tür fällt ins Schloss, Samuel überquert die Straße und geht in sein Haus.

      Erst als er versucht seine Wohnungstür aufzuschließen, fällt die ganze Anspannung von ihm ab. Seine Hände zittern, er trifft das Schloss kaum. Verdammt, reiß dich zusammen, redet er sich selbst gut zu. Und tatsächlich, nach ein paar Sekunden hat er sich soweit beruhigt, dass er wenigstens aufschließen kann. Er donnert die Tür hinter sich zu, sodass es im gesamten Treppenhaus nachhallt. Schwer atmend lehnt er sich dagegen.

      Das darf doch alles nicht wahr sein, denkt er, zuerst finde ich dieses … dieses Wesen, den verdammten Blutsauger, und dann holt mich auch noch meine Vergangenheit ein. Er stößt sich ab und eilt ins Esszimmer. Dort hat er eben ein halbvolles Whiskyglas stehen gelassen. Er nimmt es und stürzt die bernsteinfarbene Flüssigkeit in einem Schluck hinunter. Verzweifelt greift er nach der Flasche, schüttet den restlichen Inhalt in sein Glas. Es ist nicht mehr viel, knapp einen Fingerbreit, aber es wird reichen, um seine Seele wieder zu beruhigen. Samuel hängt die Jacke über die Stuhllehne und setzt sich an den Esstisch. Düster starrt er durch das Fenster, in den trüben Himmel.

      Dass sie aber auch ausgerechnet jetzt und hier auftauchen muss, überlegt er wütend, dabei kann die Kleine gar nichts dafür. Doch sie sieht ihr so verdammt ähnlich, selbst ihr Geruch ist derselbe. Wenn ich nicht genau wüsste, dass sie damals starb, würde ich schwören können …

      Samuel schüttelt den Kopf und trinkt sein Glas leer. Aber ich weiß es, weil ich sie selbst getötet habe.

      Aufseufzend nimmt er sich eine Zigarette aus dem Päckchen, seine Hand, die das Feuerzeug hält, zittert immer noch ein wenig. Tief inhaliert er den Rauch, lehnt sich zurück und stößt kleine Rauchkringel in die Luft.

      Meine süße, kleine Emilia, erinnert er sich, in meinem Leben habe ich schon viele Schandtaten begannen, aber dich zu töten, war wohl das Schlimmste, das ich je vollbrachte. Dabei warst du so zart und noch so jung und dabei so verflucht … schuldig.

      Aber mein Herz brannte lichterloh, meine gequälte Seele schrie immerzu deinen Namen, doch mein grausamer Verstand hörte nicht zu und stieß dich in die ewige Verdammnis. Einhundert Jahre büßte ich für meine Tat, ich zog als Tod durch die Gegend, verwandelte mich in all der Zeit nicht mehr zurück. Sprach mit niemandem, lachte nicht, trank und aß nichts.

      Ein gesamtes Jahrhundert hindurch, bereute ich, bedauerte und beweinte dich, meine kleine Emilia. Mein süßes Kind, meine Geliebte, meine Freundin. Wieso war nur deine Zeit so kurz bemessen? Die Sanduhr des Todes, sie war viel zu rasch für dich abgelaufen. Und warum musste ausgerechnet ich dein Todesengel sein. Samuel ballt die Hände zu Fäusten, dass es nur so knackt, er hat für seine unbändige Wut kein Ventil, so lässt er die Fäuste krachend auf den Tisch donnern. Das leere Glas hüpft hoch und kippt auf die Seite. Langsam rollt es umher und beschreibt dabei einen Kreis. Samuels Finger tippen das Glas an und es dreht es sich schneller um die eigene Achse. Nach ein paar Minuten wird dem Tod dieses Spiel zu langweilig. Er stellt das Glas wieder aufrecht hin, geht in sein Schlafzimmer, nimmt sich frische Anziehsachen aus dem Schrank und verschwindet im Bad. Er dreht die Dusche auf die höchste Stufe, zieht sich die Jeans aus und seine Short. Er stellt sich unter den heißen Wasserstrahl, lässt ihn sich über die Schultern und in den Nacken prasseln.

      Während sich das kleine Badezimmer in eine dampfende Sauna verwandelt, denkt der Tod an alte, längst vergangene Jahrhunderte zurück und an die einzige Liebe seines Daseins und dass er sie am Ende tötete.

      *

      Alice schlägt dem Vampir mit Wucht auf die Wange.

      »Liam, verdammt. Komm wieder zu dir.«

      Seine Lider flattern, die Lippen zucken leicht. Er reißt