Nadja Christin

Samuel, der Tod


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hofft er, dass Alice wirklich bis zum nächsten Morgen auf Shoppingtour geht, zu gerne möchte er auch mal eine Nachtschicht alleine übernehmen. Bisher hat die Werwölfin ihm das noch nicht zugetraut. Wahrscheinlich auch, weil jede Nacht ihre süchtige Kundschaft hier antrabt und nach Nachschub schreit. Liam ist sich nicht sicher, ob er dieses Teufelszeug ohne Gewissensbisse an seine Kollegen verkaufen kann. Auch wenn Alice ihn an ihrem Gewinn teilhaben lässt, ihm wäre wohler, wenn sie ihre Drogengeschäfte einstellen würde.

      Er sieht sich im Wunderland um. Ja, denkt er, nun ist alles wieder in Ordnung, die normale Kundschaft kann kommen.

      Er hat den Satz kaum zu Ende gedacht, als die Tür aufgeht und das Glöckchen heisere, verzweifelte Laute von sich gibt.

       Mit einem Lächeln hebt der Vampir den Kopf, will den neuen Kunden begrüßen.

      Aber jedes Wort bleibt ihm im Hals stecken. Mit einem Schlag fühlt er seine Beine nicht mehr, über seine Haut fließt ein eisiger Schauer, so als habe ihm jemand einen Eimer mit Eiswasser übergegossen. Liam spürt, wie ihm alle Nackenhaare zu Berge stehen, sein Kopf schreit laut: Lauf! Renn um dein Dasein! Nur ein kleiner Teil seines Verstandes, der nicht heulend und wimmernd in der Ecke hockt, sagt ihm, dass er vernünftig mit dem Kerl reden muss, dann wird schon alles gut werden.

      Der Vampir ist sich nicht sicher, auf wen er hören soll.

      Ängstlich betrachtet er den Fremden, der selbst auch einige Probleme zu haben scheint. Er sieht so aus, als wollen seine Füße ebenfalls den Rückzug antreten, dennoch geht er mutig weiter in das Wunderland hinein. Er löst die Hand von der Tür, die mit einem erneuten, heiseren Gebimmel ins Schloss fällt.

      Nun ist Liam zu Mute, als wäre er mit dem Teufel persönlich in der Hölle eingesperrt.

      »B-Bon jour Monsieur«, stottert Liam, er räuspert sich.

      »Ce que je peux faire pour vous?«

      »Du bist ein verfluchter Blutsauger«, antwortet Samuel mit donnernder Stimme, ohne auf Liams Frage, nach seinen Wünschen, einzugehen.

      Der Vampir schluckt trocken und geht einen Schritt zurück. Er stößt gegen die Schränke, in denen Tassen und Gläser untergebracht sind, sie klirren leise gegeneinander.

      »Wer … bist du?«, fragt er heiser.

      Samuel geht mit steifen Schritten auf die Theke zu, stützt seine Ellenbogen auf die Holzplatte und beugt sich zu Liam hin. Betont langsam nimmt er die Sonnenbrille ab, lässt sie einfach fallen. Seine feurigen Augen fixieren den Vampir, der verzweifelt versucht, seinen Blick nicht zu erwidern.

      Liam weiß sich nicht mehr zu helfen, er dreht den Kopf so weit wie möglich von Samuel weg und kneift seine Augen zu.

      »Ich bin der Tod«, grollt Samuel und seine Stimme scheint sich in dem kleinen Geschäft zu vervielfältigen. Wenn es der Vampir nicht besser wüsste, so würde er behaupten, vor ihm stehen mehr als eine Person.

      Samuel lehnt sich noch weiter nach vorne, seine Hand schießt vor und packt den Vampir am Hemd. Mit einer unglaublichen Kraft zieht er ihn zu sich, zerrt ihn halb über die hölzerne Theke.

      Liam ist so erschrocken, dass er entsetzt die Augen aufreißt.

      »Sieh mich an, Blutsauger«, sagt der Tod und zieht den Dämon noch ein Stück näher. »Blicke in meine toten Augen und … stirb.«

      »NEIN!«, schreit Liam und hält sich mit einer Hand die Augen zu. Die andere tastet hilflos unter dem Tresen umher.

      Mit einem Mal spürt er etwas zwischen den Fingern, kalter Stahl. Liam weiß, was das ist. Er schließt seine Hand um den Griff, zieht sie langsam unter dem Tresen hervor.

      »Wage es ja nicht…«, meint Samuel, noch bevor Liam sein Vorhaben zu Ende gedacht hat.

      Blitzschnell nimmt der Vampir die Hand von seinen Augen, wirft das Messer von der rechten in die linke Hand und stößt es Samuel tief in die Halsseite.

      Der Tod ist so überrascht, dass er den Vampir tatsächlich loslässt. Der bückt sich rasch, springt zur Seite und taucht in der nächsten Sekunde mit einer Pump-Gun wieder auf.

      Liam lädt das Gewehr durch, es hört sich, in dem kleinen Geschäft, bedrohlich laut an.

      Samuel beachtet ihn überhaupt nicht, er packt den Griff des Messers, es entsteht ein reißendes und fast knarrendes Geräusch, als er die Waffe aus der enormen Wunde herauszerrt.

      Angewidert verzieht Liam sein Gesicht. Es fließt kein Blut und die Wunde verschließt sich in Sekundenschnelle.

      Samuel besieht sich kurz die Waffe, es ist ein kleines Bowiemesser, mit einer zwanzig Zentimeter langen Klinge und frisch geschliffen.

      Der Tod wirft es in die Luft, fängt das Messer geschickt an seiner Spitze wieder auf und schleudert es in Liams Richtung. Wenn er ein Mensch wäre, so hätte er in der nächsten Sekunde blutend und wahrscheinlich sterbend auf dem Boden gelegen, aber so vollführt der Vampir lediglich einen kurzen Ausfallschritt und das Messer bohrt sich hinter ihm in den Schrank. Erneut klirren die Gläser hilflos gegeneinander.

      »Verschwinde von hier, Totengräber.« Liam gibt sich alle Mühe seiner Stimme einen Befehlston zu verleihen, aber so ganz will ihm das nicht gelingen. Zu tief steckt in ihm die Furcht, vor diesem Jäger der Anderswesen.

      Ohne den Vampir aus den Augen zu lassen, zieht sich Samuel die Lederjacke aus, lässt sie achtlos hinter sich fallen. Liam ahnt, was als nächstes folgt.

      Er drückt ab. Die Waffe vibriert, der Knall ist unerträglich laut und der Rückstoß reißt ihm das Gewehr beinahe aus den Händen. Samuel wird herumgerissen, aber eine Lidschlaglänge später, steht er bereits wieder dem Vampir gegenüber. Sein Hemd ist an der linken Schulter versengt und hängt in Fetzen herunter, sein Fleisch wird darunter sichtbar.

      Verkohlt wie ein Schweinebraten, der zu lange im Backofen verbrachte, doch immer noch kein Blut. Samuel wirft einen Blick auf die Wunde, dann sieht er Liam böse an.

      »Das war nicht nötig«, knurrt er.

      Rasch lädt Liam die Pump erneut durch.

      »Ich sagte: verschwinde von hier«, ruft er. »Das nächste Mal treffe ich deinen Kopf, Totengräber. Dann fährst du in die Hölle zurück, wo du hingehörst.«

      Betont langsam knöpft sich Samuel das Hemd auf. Er fixiert den Vampir und sagt:

      »Und ich sah ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war Tod und die Hölle folgte ihm nach. Und ihm ward die Macht gegeben zu töten.«

      Liam packt das Gewehr fester, lehnt es sich gegen die Wange. Er fühlt den kalten und tödlichen Stahl, das gibt ihm Kraft.

      »Deine Bibelsprüche werden dir nichts nützen«, meint er laut. Dann erinnert er sich selbst an einen der Verse aus dem neuen Testament.

      Er kneift ein Auge zu, zielt auf Samuels Kopf und sagt.

      »Der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus. Doch sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken. Sie fanden ihr Ende im Feuersee.«

      Samuel duckt sich rasch. Keine Sekunde zu spät, die Schrotkugeln zischen knapp über ihn hinweg. Aus seiner geduckten Haltung springt er den Vampir an, packt den Lauf der Pump und Liams Schulter. Samuel rammt den Blutsauger förmlich in den Gläserschrank hinein.

      Liam gibt ein erschrecktes Keuchen von sich.

      »Du bist ein Anderswesen«; schreit Samuel ihn an. »Du wagst es und nimmst Gottes geheiligte Worte in dein abstoßendes Maul? Dafür wirst du bezahlen.«

      Samuel reißt den Mund auf, stößt einen heiseren Schrei aus. Aus seiner Kehle quillt Rauch, selbst aus seinen Nasenlöchern und den Ohren beginnt es zu qualmen. Liam kann die Hitze, die von dem Tod ausgeht, spüren, er versucht verzweifelt sich aus der stählernen Umklammerung zu befreien. Feuer ist das Einzige, das einen Vampir vom Diesseits ins Jenseits befördern kann.

      Ein Feuerstrahl schießt aus Samuels