Nadja Christin

Samuel, der Tod


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mit dem frechen Mundwerk. Leider beruhte das nicht auf Gegenseitigkeit, aber Liam blieb dennoch in ihrer Nähe. Sie freundeten sich an, und als die Zeit reif war und Alice einen Partner für ihr Geschäft brauchte, sagte der Junge sofort zu.

      Obwohl sie nun täglich aufeinander hockten, bemerkte der Vampir erst nach ein paar Jahren, was Alice in Wirklichkeit war. Bis dahin hatte er sich keinerlei Gedanken darüber gemacht, sie einfach nur so akzeptiert, wie sie war. Dass in dem zarten Mädchen ein waschechter Werwolf stecken soll, konnte Liam zuerst gar nicht glauben. Bis ihn eines Nachts die Wahrheit beinahe zerfleischte.

      Seit dem hält er etwas Abstand zu ihr und geht lieber wieder seine eigenen Wege. Immerhin ist auch er, trotz seiner einhundert zwanzig Jahre, ein verdammt gutaussehender Blutsauger. Groß gewachsen, schlank, mit kurzen schwarzen Haaren und solch dunklen Augen, dass sich bisweilen der Mond darin spiegelt.

      Die Tatsache, dass Alice einige Dinge auch unter dem Ladentisch verkauft, hat Liam fast mehr geschockt, als die Werwolfsache. Das Mädchen verteilt doch wirklich scharfe Waffen, und Drogen an diverse Dämonen. Auch der Vampir war in seinem vergangenen Dasein alles andere als nett, aber die Menschen mit einer Ingram 10, MP-5 oder gar einer Glock Kaliber 40 Smith & Wesson umzubringen, davon hält er herzlich wenig. Liam ist immer noch für die altmodische Methode: Ein beherzter Biss in den Hals und alles wird gut – Jedenfalls für ihn selbst.

      Als er mitbekam, dass sie an Dämonen Drogen verkauft, war er kurz davor alles hinzuschmeißen, und Alice und dem Laden Lebewohl zu sagen.

      Aber das Mädchen bat ihn doch zu bleiben und so konnte er nur über seinen Schatten springen und weiter mitmachen.

      Das Teufelszeug, dass sie verkauft heißt: Sanguinem Medicamento, es bedeutet so viel wie ›BlutDroge‹, auch kurz Samento. Allerdings nennen es die Süchtigen nur Das höllische S.

      Es besteht aus drei Blutsorten und ruft eine starke halluzinogene Veränderung, einen extremen Rauschzustand und das Gefühl zu fliegen, hervor. Das ist im Prinzip nichts Neues, viele Drogen wecken solche Empfindungen. Aber da es nur an Dämonen verkauft wird, wirkt es bei ihnen gänzlich anders, als bei einem Menschen. Ihre Kunden sind Untote, Vampire, Gestaltwandler und einige mehr.

      Es hat ein paar Jahre gedauert, bis sie sich in dieser Welt einen Namen machte, aber heute zählt sie zu dem einzigen Vertreiber von Samento.

      Alice kam eigentlich nur durch Zufall darauf, dass sie drei Sorten von Blut zusammen mischen muss um diese Wirkung zu erhalten.

      Man nimmt zu gleichen Teilen den Lebenssaft von einem Vampir, einem Gestaltwandler und einem Werwolf. Es wird getrocknet, zu Pulver verarbeitet und in kleine Flakons gefüllt. Man kann es entweder durch die Nase ziehen oder mit reinem Wasser vermischen und sich spritzen. S macht schon nach dem ersten Versuch süchtig. Allerdings ist es nicht ein Verlangen, welches man durch eine kurze Abstinenz wieder los wird. Es ist eine Sucht, als hinge das eigene Leben davon ab, die Junkies können gar nicht anders, als sich die nächste Portion zu verschaffen, weil sie einfach die grausame Empfindung haben, ansonsten qualvoll zu sterben.

      Liam erkundigte sich vor ein paar Jahren einmal danach, wie Alice das alles mit ihrem Gewissen vereinbaren kann, immerhin verseucht sie ihre eigene Spezies. Doch Alice antwortete nur spöttisch: »Was sind sie schon? Dämonen, die Menschen töten. Warum soll ich nicht ein wenig nachhelfen, dass die Bevölkerung weiterhin in Ruhe leben kann? Ein süchtiger Vampir hat kaum noch die Zeit, sich an einem Menschen zu vergreifen, er ist immer auf der Jagd nach dem nächsten Tropfen S. Ein Gestaltwandler kann sich nicht mehr in ein Raubtier verwandeln, weil er ständig auf Wolke sieben schwebt und auch die Ghoule interessieren sich nicht mehr sonderlich für menschliche Wesen, sondern nur noch für die Drogen.« Sie zuckte mit ihren schmalen Schultern. »Also, was soll‘s.«

      Über solche Kaltblütigkeit konnte Liam nur den Kopf schütteln. Er schwor sich, dass er niemals auch nur ein Körnchen von diesem Teufelszeug probiert, er wollte seine Eigenständigkeit und seinen Willen gerne behalten. Auch Alice verfiel nie dem höllischen S.

      Alices Wunderland ist beinahe rund um die Uhr geöffnet, was Tagsüber ein schäbiger Kuriositätenladen ist, verwandelt sich des Nachts in eine kleine Schenke. Kurz nach Dunkelwerden kommen die ersten Dämonen und trinken hier etwas, oder kaufen heimlich ihr höllisches S.

      Der größte Wunsch der Werwölfin ist, dass sie genug Geld zusammenspart, um sich in England ein Haus zu kaufen und dort, ohne zu arbeiten, gut lebt. Jede noch so kleine Einnahme, die sie nicht an Liam oder einen ihrer zahlreichen Lieferanten auszahlen muss, trägt die kleine Wölfin auf ihr Sparbuch. Sie hat schon eine beträchtliche Summe zusammen, aber für den Lebensabend, der ihr vorschwebt, reicht es noch lange nicht. Der Vampir hofft, dass Alice ihm dann ihr Geschäft überschreibt, er würde sich in Paris gerne niederlassen, er will nie wieder nach England zurückkehren. Hier fühlt er sich wohler, seine Freunde wohnen in Frankreich und die Menschen sind einfach netter und schmecken besser.

      Alice hält ihm ein dickes Buch unter die Nase.

      »Das stellen wir ins Fenster, das wird sofort weg sein.«

      Liam wirft nur einen Blick auf das Cover und den Namen des Autors. Er ist derselben Meinung wie die Werwölfin, Stephen King verkauft sich immer gut und sein Bestseller ›ES‹ wird wahrscheinlich noch heute einen Abnehmer finden.

      »Ist von King noch was dabei?«, fragt der Vampir, weiß aber im gleichen Augenblick, dass das nicht der Fall ist. Hat er doch selbst bereits die Kiste durchwühlt.

      »Nein«, erwidert Alice auch einige Sekunden später. »Sonst keins mehr. Aber hier sind noch ein paar DVDs von Hitchcock, die kannst du auch in die Auslage legen. Alles für je einen Fünfer, dann sind wir sie schnell los.«

      »Okay«, Liam nimmt ihr das Buch und die drei CD-Hüllen aus der Hand und geht zum Fenster. Nach einigen Überlegungen räumt er die Bücher, die sich dort bereits wundliegen weg und ersetzt sie durch den Roman und die DVDs. Auf kleinen Zetteln schreibt er Fünf Euro und legt sie jeweils vor die Artikel.

      Er geht durch die Eingangstür und prüft von außen, ob alles so liegen bleiben kann.

      In diesem Moment fährt jemand aus der Garage heraus, die ihrem Geschäft gegenüberliegt.

      Liam hat den Kerl in seinem Mercedes bereits ein paar Mal gesehen, und er musste sich eingestehen, dass ihm jedes Mal ein Schauer den Rücken herunter läuft. Der Wagen ist das neuste Modell, aber daran liegt es nicht, dass der Vampir sich bei seinem Auftauchen so unwohl fühlt. Es ist eher der Fahrer, der angsteinflößend ist. Obwohl er ganz normal aussieht, schlank mit dunklen Haaren, so löst er doch bei dem Vampir einen sofortigen Fluchtreflex aus. Liam muss sich zusammen nehmen, um nicht laut zu knurren. Dabei würdigt der Fahrer ihn noch nicht einmal eines Blickes. Rasch zieht er sich wieder zurück in den Laden, schließt hastig die Türe hinter sich, als wäre der Teufel persönlich scharf auf ihn. Die Türklingel stößt nur ein heiseres Krächzen aus, zu mehr ist sie nicht fähig.

      »Was ist denn mit dir?«, fragt Alice amüsiert. »Hast du ein Gespenst gesehen?«

      »So etwas Ähnliches«, Liam atmet laut und keuchend. »Unser Nachbar scheint wegzufahren und das ausgerechnet, wenn ich mal draußen bin.«

      »Was hast du denn gegen ihn?«

      »Nichts«, meint der Vampir. »Er ist nur …«, hilflos zuckt er mit den Schultern.

      »Ich weiß nicht. Er ist mir einfach unheimlich.«

      Alice lacht hinter vorgehaltener Hand.

      »Dir? Das ist ja zu komisch.«

      Liam gibt ein abfälliges Schnaufen von sich und beginnt die Bücher aus der riesigen Holzkiste in die Regale einzuräumen.

      Alice kichert noch ein wenig vor sich hin, dann meint sie langsam:

      »Ich kenne den Typen, der mit ihm zusammenwohnt. Der war schon mal hier.«

      Liam hebt interessiert den Kopf.

      »Ach ja? Und?«

      Die