Jörn Holtz

Paradies am Teich


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schreckte er aus seinen Tagträumen gerissen hoch und konnte so noch gerade rechtzeitig seinen Camper nach links auf die freie Gegenfahrbahn lenken. Ansonsten hätte er den Wandersmann umgefahren, der seelenruhig, aber mit steifen Gliedern und mit den markanten weißen Kopfhörern im Ohr, vor ihnen mitten auf der Straße entlanglief.

      „Hey du Penner, glaubst du etwa, du bist allein hier auf Gottes weiter Erde!“, grölte er dabei durch das offene Beifahrerfenster, sowie Anne genau ins Ohr, die ihn daraufhin böse anschaute.

      Der Wandersmann hingegen schien von dem Vorfall, nichts mitbekommen zu haben, da er freundlich lächelnd seine rechte Hand kurz zum Gruß erhob.

      „Stopp Ole, halte bitte mal an!“, stammelte Anne einen Augenblick später, während sie ungläubig in den rechten Außenspiegel starrte.

      „Wieso das denn? Willst du diesem lebensmüden Penner etwa persönlich noch dazu beglückwünschen, dass er den morgigen Tag doch noch erleben darf!“, sah er sie überrascht an, wobei er sich am Lenkrad festkrallte, ohne die Geschwindigkeit zu verringern.

      „Nein, natürlich nicht! Obwohl, letzten Monat hätte ich es mir nicht nehmen lassen“, sah sie ihn erst verständnislos an, bevor sie amüsiert mit dem Kopf schüttelte. „Komisch, irgendwie kommt der Typ mir bekannt vor! Aber so wie der sich bewegt? Hm“, starrte sie danach erneut in den Außenspiegel, wobei sie sich nachdenklich auf die Unterlippe biss.

      Der karnivore Geliebte

      „¡Holà, mis amorcitos!“, sagend kam Lotta durch das Restaurant gelaufen, kaum dass Ole seinen Camper im Hinterhof geparkt hatte. Ungeachtet der vielen Gäste fiel sie Anne um den Hals und küsste sie leidenschaftlich. „Na, wie ist es dir denn heute so ergangen?“, betrachtete sie Anne dann eingehend. „Ich habe Gisela von deiner Übelkeit gestern Abend erzählt und sie hat sich schwere Vorwürfe gemacht, dass sie euch ausnahmsweise das ungesunde L-Carnitin haltige Fleisch gebraten hatte“, strich sie dabei Anne sanft über ihren Bauch. Dann führte sie die beiden zu einem freien Tisch und fegte mit einer gekonnten Handbewegung ein paar Brotkrümel von der Tischdecke. „Heute stehen eine fantastische Tomatensuppe und ein ebenso toller Thunfischsalat auf der Tageskarte. Na, wie klingt das?“, wanderte ihr Blick zwischen Ole und Anne hin und her.

      „Meinst du nicht, dass es eher an der grünen Mojo Soße gelegen hat, die sie sich gestern fast literweise rein gelöffelt hatte?“, grinste er sie an, bevor er ihr einen flüchtigen Kuss zur Begrüßung gab und sich anschickte, sich setzen zu wollen. Was ihm aber nicht gelang, da Lotta mit dieser flüchtigen Begrüßung gar nicht zufrieden war und ihn erst einmal Vereinnahmte.

      „So, so, da ist die grüne Mojo Soße also abgeblieben!“, sah sie danach Anne gespielt ernst an, die daraufhin nur unschuldig mit den Schultern zuckte, was Lotta mit einem Lächeln quittierte, während sie sagte: „Nun gut, dass erklärt einiges und wonach gelüstet es euch heute?“.

      „Hm?“, kratzte Ole sich unentschlossen am Kopf. Denn bei den derzeitigen Temperaturen hatte er eigentlich keine Lust auf eine Tomatensuppe und außerdem verlangte es ihm gerade nach Eiweiß. Nach tierischen Proteinen, um genau zu sein und mit ein bisschen Thunfisch hier und da verteilt über einen allzu gesunden Salat, damit war er gar nicht zufrieden.

      „Ach Ole! Fleisch macht Fleisch, wie man hier unschwer sieht“, erriet Lotta seine Gedanken und knuffte ihm in seinen Bauch.

      „Ja, aber…“, setzte Ole gerade dazu an, seinen Unmut darüber kundzutun, als sich Lottas kleiner Zeigefinger wieder mal mahnend erhob. „Okay, ist ja schon gut!“, nickte er daraufhin, um den Frieden zu wahren, ehe er nach einer kurzen Gedankenpause anfügte: „Nur eines kapiere ich bis heute nicht: Hätte uns die Natur als Vegetarier vorgesehen, hätte sie uns doch nicht evolutionär das Fleischverdauen angedacht!“, hörte er sich daraufhin selbst sagen, bevor ihm sein derzeitiger Aufenthaltsort bewusstwurde. Denn mit einem Mal war es Mucksmäuschen still auf der Gastterrasse und er hatte das Gefühl, dass alle ihn anstarrten.

      „Ja dann: Moin erst einmal!“, sagte er einen Augenblick später, wobei er sich verblüfft umsah. Dabei meinte er, bei einigen der anwesenden Männer stille Zustimmung in ihrem Blick erkennen zu können.

      Die Einzige, die nicht verblüfft schaute, war Lotta, stattdessen lachte sie herzhaft, bevor sie sagte: „Ach Ole, wie ich es liebe, dass du dein Herz auf der Zunge trägst. Auch wenn es dich ab und an, sagen wir mal, in recht interessante Situationen bringt. Und ja, das stimmt wohl so. Doch seitdem sich der Mensch das Feuer nutzbar gemacht hat, braucht er ja nicht mehr sein Gehirn für die Verdauung. Daher hat er nun Ressourcen frei, mit denen er sich Gedanken über seine Umwelt machen kann, wenn er will!“. Dann räusperte sie sich amüsiert und fuhr in normaler Stimmenlage fort: „Am besten wir gehen einfach mal nach hinten zu Mama und schauen, was sie für dich tun kann!“, ergriff sie seine Hand, wobei sie Anne zuzwinkerte, die sich gerade eine Träne aus dem Augenwinkel wischte.

      „Also, mein karnivorer Geliebter, hier haben wir jede Menge erstklassigen Tofu und Saitan in den verschiedensten Sorten. Welche wählst du und was dürfen wir dir damit zubereiten?“, öffnete Lotta die Kühlkammer und machte eine einladende Handbewegung.

      „Oh, ein Steak Medium bitte, am liebsten mit gebratenen Pilzen!“, grinste er sie daraufhin mehr ungehalten, als belustigt an.

      „Okay, kein Problem“, küsste Lotta ihm auf die Wange, bevor sie sich an ihre Mutter wandte: „Für den Herrn hier ein Tofu suteiki Medium, bitte“. Dann betrachtete sie ihn eine Weile forschend, während er sich neugierig umschaute. Schließlich legte sie einen Arm um seine Hüfte und sagte: „Ist es nicht interessant, wie viele verschiedene Tofusorten es gibt! Dies hier beispielsweise ist ein Seidentofu, dessen Konsistenz ganz zart ist und so wunderbar für Süßspeisen geeignet ist. Ganz im Gegensatz zu diesen Schwamtofu hier, den kann man bspw. je nach Geschmack füllen und dann frittieren“, hielt sie ihm noch ein paar Sorten hin.

      Bei einem, der so präsentierten Bohnenquarks, musste er spontan die Nase rümpfen. „Okay und das, was ist das für ein kleiner Stinker?“, zog er reflexartig seinen Kopf zurück, da dieser einen sehr strengen Geruch verbreitete.

      „Oh, das ist ein Seidentofu, der mit einer speziellen Gemüse- und Fischlake behandelt worden ist und diese Art werden, wie du richtig festgestellt hast, als stinkende Tofus bezeichnet“, lachte sie erneut. „Hier koste mal, ist der nicht lecker?“, zog sie ein Messer aus der Tasche und schnitt ihm ein Stück ab, dass sie ihm in den Mund schob, ohne eine Antwort abzuwarten.

      Ole verschluckte sich fast, als er das faulig anmutende Stück, fast ohne zu kauen, einfach runter schlang, wobei ihn der Geschmack etwas an Käse erinnerte. „Ähm ja, gar nicht mal so schlecht!“, räusperte er sich daraufhin. „Nur noch eins: Ihr esst doch auch Fisch und den bietet ihr ja auch hier im Restaurant an. Jedoch dachte ich immer, dass richtige Vegetarier überhaupt keine Tiere essen, egal ob diese vom Land oder aus dem Wasser stammen. Richtig?“

      Wieder lächelte Lotta ihn milde an, bevor sie antwortete. „Ja, das ist fast richtig. Überzeugte Vegetarier essen auch kein Fisch. Fisch und Schalentiere stehen nur bei den Pescetarier auf dem Speisezettel, die manche Vegetarier abwertend auch als Pseudovegetarier bezeichnen. Doch das wir darauf nicht verzichten wollen, hat seine Gründe, die sich wunderbar in deine Theorie zur Entwicklungsgeschichte der Menschheit einfügen. Denn bevor der Mensch jagte, um an Fleisch zu kommen, nutzte er Fisch- und Muschelbestände, um seinen täglichen Eiweißbedarf zu decken, und um an die lebenswichtigen und lebensverlängernden Omega3 Fettsäuren zu kommen. Daher finden wir nichts Verwerfliches an dieser gesunden und naturgemäßen Ernährung, vor allem, weil wir nur Fisch aus freier Wildbahn anbieten, die mit nachhaltigen Fangmethoden gefischt worden sind. Doch natürlich bieten wir auch rein vegetarische Gerichte an“, erklärte sie ihm ruhig ihre Beweggründe. Dann presste sie sich an ihm ran, um ihn zu küssen, wobei sie deutlich seine kalten Lippen spürte. „Okay, dann lass uns jetzt mal besser raus hier, sonst verkühlst du dich noch!“, zog sie ihn zur Tür hinaus, bevor sie diese sorgsam verschloss.

      Ole war überrascht, wie gut sein Pseudo-Steak schmeckte. Dennoch grunzte